Bauwerk

Festspielhaus
Klaus Kada - St. Pölten (A) - 1997
Festspielhaus, Foto: Pallier - Rosenberger

Wenn es funkelt in St.Pölten

Wie ein Opal in räumlich differenzierter Fassung leuchtet das Festspielhaus in St. Pölten, entworfen von Klaus Kada, in sein Umfeld. Es steht für das neu sich entwickelnde Architekturverständnis Niederösterreichs.

1. März 1997 - Walter Zschokke
Städtebaulich bildet das Festspielhaus die westlichste Eckbastion des neuen Regierungsviertels. In attraktiver Übereckstellung tritt es dem unbeirrbaren Besucher entgegen, der von der stillgelegten Lederergasse her - an der die ehemalige Synagoge steht - zum Kulturbezirk vordringt. Diese zumindest für Fußgänger nicht unwesentliche Verbindungsachse aus dem historischen Zentrum zu Kulturbezirk und Regierungsviertel wurde seitens der Stadt bisher stiefmütterlich behandelt.

Wie unrecht diese hat, an jener Stelle noch die kalte Schulter zu zeigen, wird beim Nähertreten klar, denn das Haus weist in ihrer Richtung ein offenes und lebendiges Gesicht auf: Signalhaft dunkelblau kragt ein hoch auf hyperschlanken Stützen aufgestelzter, geschuppt verglaster Körper über die Fassadenflucht hinaus. Er beschirmt zugleich die darunter befindliche offene Galerie des Pausenfoyers, die den Blick in die nahen Kronen alter Bäume freigibt.

Weiter Richtung Osten an dieser spannungsvoll-plastisch aufgebauten Fassade liegt der Haupteingang. Schlanke Scheiben aus Stahlbeton sind zu einem vier Geschoße hohen, monumentalen Portikus gefügt. Trotz des massiven Materials steht das fragil wirkende Raumgebilde, das mit gläsernen Membranen klimatisch abgedichtet ist, zum ruhigen Bauwerk der Landesbibliothek, das ostseitig die dazwischenliegende, ansteigende Platzfläche faßt, in volumetrischem Bezug.

Zu diesem öffentlichen Raum entwickelt das Festspielhaus den stärksten Ausdruck: Ein riesiger, mit Mattglas bespannter Körper drängt aus dem flach quadrischen Hauptbau heraus. Seine hochaufragende, überhängende Front wirkt geheimnisvoll, macht neugierig auf das, was dahinter liegt. Der Raum darum herum ist einsehbar. Galerien, Stege und Treppen sind von außen zu erkennen. Am Tag treten sie hinter den spiegelnden Glasflächen etwas zurück; nachts, wenn das Haus von innen herausleuchtet, sind sie deutlicher zu sehen.

Das verheißungsvolle Äußere, das mit Einblicken nicht geizt, birgt im Inneren eine klare, dreidimensionale Struktur, die weniger durch ihre relative Symmetrie als durch weiträumige Übersichtlichkeit leicht verstehbar und begehbar wird. Den Kern bildet der breite, fast bullig wirkende große Saal, der auf den Bühnenkomplex mit Hinter- und Seitenbühnen ausgerichtet ist, über dem der Bühnenturm aufragt. Nach Westen und Nordwesten ist fast beschützend eine Schicht Büroräume winkelförmig davorgestellt. Sie erzeugt zur vorbeiführenden Zufahrtsstraße einen ruhigen, neutral wirkenden Abschluß. Nach Norden, der Ankunftsseite von der Stadt, liegen Foyers und Wandelgänge sowie der schon erwähnte kleine Saal, der sich hinter der blaugeschuppten Glashaut verbirgt. Im Osten verläuft die Eingangshalle unter Treppenläufen und Stegen und unter dem vom Boden her auf verhältnismäßig schlanken Streben hochgespreizten Heck des großen Saales durch das ganze Gebäude. Analog zu dem Platz davor steigt hier der Fußboden merklich an. Der öffentliche Raum wird auf diese Weise weit ins Foyer hineingezogen.

Dieser relativ ungewohnte Sachverhalt verstärkt das Gefühl, sich noch gar nicht in einem Innenraum zu befinden, sondern im Schutz des kragenden Glaskörpers vor allem von dessen räumlicher Abstrahlung zu profitieren. Wie zwei Ecktürme markieren die selbständigen Raumgebilde aus schlanken Stahlbetonscheiben die beiden Gebäudekanten zum ansteigenden Platz. Sie enthalten Fluchttreppen, Stiegen sowie einen Lift mit dazugehörigen Plattformen. Von diesen führen Stege zu den zwei versetzt übereinanderliegenden, tunnelartigen Galerien im Rücken des großen Saales.

Die leicht gekrümmten, expressiv-dynamischen Räume mit ihren schiefen seitlichen Begrenzungsflächen führen zu den hinteren Zugängen. Sie durchstoßen das Heck des verheißungsvoll exponierten Körpers, dessen erwartungsgespannte Aufladung durch die gewölbten Seitenflächen, die von keiner Decke berührt werden, symbolisiert wird. Die Treppen, Stege und Galerien dienen eigentlich der Exposition dieses Körpers, zu dem lediglich einige kurze Stege hinführen. Tiefe Laibungen fassen die doppelten Türen, durch welche die Besucher, nachdem sie draußen promeniert sind, sich gezeigt und genügend andere, ebenfalls promenierende, festlich gekleidete Menschen gesehen haben, in den großen Saal gelangen können.

Weitere Besucher des Hauses, die soeben mit dem Automobil in die Tiefgarage eingefahren sind, gelangen von dieser zu einem Aufgang, der vom Untergeschoß unmittelbar in die Eingangshalle führt. Auf einer Rolltreppe fahren sie nach oben; baldachinartig ist die klare Glashaut darüber hinausgezogen, schräge Pendelstützen stemmen sich über die langgezogene Bodenöffnung. Etwas höher folgt dann die überhängende Rückwand.

Den Kopf neugierig hochgereckt zum urbanen Raum, fährt man als neuangekommener Besucher aus dem Untergrund herauf: ein Auftritt auf der angeschrägten Bühne des öffentlichen Lebens von besonderer Art.

Nun betreten die Besucher den Saal, wo sie nicht von dunkelrotem Samt empfangen werden, sondern von erfrischend gestreiften Sesselbezügen in Silberweiß und Anthrazitgrau. Zu dem hellen Holz der Wände gesellt sich an den vorderen Seitenwänden ein Farbimpuls in Smaragdgrün. Der sehr kompakt wirkende Saal verspricht von allen Plätzen gute Sicht zur Bühne; die Aufführung kann beginnen.

Klaus Kada, der in Leibnitz geborene und aufgewachsene Südsteirer, der in Graz Architektur studiert hat und mittlerweile in Aachen einem Lehrstuhl für Entwerfen vorsteht, verfügt, wie nur wenige, über eine Architekturpranke, mit der er kräftig und sorgfältig zugleich den Raum teilt und für Besucher erschließt.

Betrachtet man das gesamte Bauwerk von seiner räumlichen Struktur her, von innen nach außen vorgehend, ergibt sich folgendes Bild: Als Kern des Bauwerks ruht, schlank aufgestützt, der geheimnisvoll aufgeladene Körper, einem Asteroiden gleich. Er ist das Ziel der Inszenierung des Ankommens, das Objekt der Begierde.

Um diesen Körper herum zieht sich, wie eine virtuelle zweite Hülle, ein Leerraum, der nur von den kurzen Zugangsstegen durchstoßen wird. Fast in Greifweite - aber eben nur fast - spannt sich die in der Tiefe mattierte gläserne Haut über den betonierten Kern und verleiht dem Objekt seine geschlossene äußere Form.

Von den Raumstrukturen aus Stahlbetonscheiben in den Gebäudeecken wird eine weitere Raumschicht markiert, die nur klimatisch durch Glasmembranen von der Außenwelt getrennt ist. Sie ist die Bühne für den urban verdichteten Auftakt zum Veranstaltungsbesuch, jenen wichtigen Aspekt des Sehen-und-Gesehenwerdens, der bei Veranstaltungen der Hochkultur unabdingbarer und integrierter Bestandteil ist.

Die kompakte, flach-quadrische Großform des aus verschiedenen Teilen agglomerierten Gebäudes wird von zwei Elementen durchbrochen, die den Hauptzweck des Bauwerks entscheidend bestimmen: dem großen und dem kleinen Saal. Während die blaue Hülle des kleinen Saales nach außen Objekthaftigkeit signalisiert, spiegelt der große Körper tagsüber die wechselnden Lichtverhältnisse, um bei einbrechender Dunkelheit selbst zu leuchten. Beide sind sie in einen scheinbaren Schwebezustand versetzt, ein Effekt, der einerseits von der Materialisierung in Glas, andererseits von den überschlanken Stützelementen herrührt, die eher wie Zugelemente wirken, die ein Abheben verhindern sollen, denn als tragende Rundstützen.

Die leicht gewölbte vielflächige Glashaut des Auditoriums stellt für hiesige Verhältnisse insofern ein herstellungstechnisches Novum dar, als der Zuschnitt der einzelnen, teils viereckigen, teils dreieckigen flachen Glaselemente vollkommen computergesteuert ablief. Die exakte Zeichnung in elektronischer Form ging an das Werk, wo der maschinelle Zuschnitt direkt ab Diskette erfolgte.

Dieses Vorgehen setzt exaktes Maßnehmen - ebenfalls mit elektronischen Meßinstrumenten - am Rohbau voraus, erlaubt aber bei der Montage ein zügiges Arbeiten, weil die Elemente wie Teile eines Puzzles zur gewölbten Fläche zusammenpassen, mithin die darunterliegende Montagekonstruktion auf die in sich stimmende Glashaut auszurichten war.

Nur auf diese Weise ist es möglich, derartig komplexe, doppelt gekrümmte Flächen höherer mathematischer Ordnung exakt und zu vertretbaren Kosten auszuführen. Was bei Glas funktioniert, gilt bei anderen Bauten auch für Holz oder Naturstein.

Sowohl in architektonisch-kultureller als auch in technisch-herstellungsmäßiger Hinsicht hat Klaus Kada ein eminent zeitgenössisches, aber auch ein außerordentlich offenes öffentliches Kulturbauwerk geschaffen, das bereits jetzt über ausgeprägte Identität verfügt. Die Identifikation der Niederösterreicher mit „ihrem“ Festspielhaus wird wohl nicht lange auf sich warten lassen. Das Gebäude selbst und seine architektonische Qualität sind eine Herausforderung für die weitere Arbeit auf dem niederösterreichischen Kultursektor.

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