Bauwerk

Volksschule
Nehrer + Medek und Partner - Gänserndorf (A) - 1997
Volksschule, Foto: Manfred Seidl
Volksschule, Foto: Manfred Seidl

Der Steg durch gläserne Pforten

Die neue Gänserndorfer Volksschule der Architekten Nehrer und Medek ist schon gut eingewohnt. Das klare Vorfrühlingslicht verleiht ihr zusätzliche Brillanz und verbessert die ohnehin schon vorbildliche Energiebillanz.

6. März 1999 - Walter Zschokke
Ein unermeßlicher Marchfelder Himmel dehnt sich über Gänserndorf, wo die Bauten wenige Geschoße aufweisen und die Siedlungsgebiete weit verstreut sind. Am südlichen Rand des städtischen Kerns, neben einer niederösterreichischen Straßenmeisterei, liegt mit der Schmalseite zur Siebenbrunnenstraße die neue Volksschule.

Eigentlich liegt sie nicht an dieser Straße, von der sie etwas zurückversetzt ist, sodaß ein Vorplatz freibleibt, sondern die Schule liegt an einem Steg. Einem Steg, der sich von Osten her auf Kragstützen mit Hilfe einer sanften Bodenwelle aus der Ebene herausarbeitet, als käme der Weg, den er trägt, von weit her. Weit wie die nahe Hochspannungsleitung, deren Masten mit Siebenmeilenstiefeln übers Land staken, von irgendwoher nach irgendwohin. Der Steg, der der Morgensonne den Weg in die Schule weist, dringt also in Längsrichtung durch gläserne Pforten in das Gebäude ein und wird dort zu einem zirka 80 Meter langen Laubengang, der auf ebenfalls kragenden Trägern im ersten Obergeschoß geführt wird.

Und dann ist da eine sandgoldgelbe Wandscheibe, ebenfalls zirka 80 Meter lang, die vom Laubengang etwas Abstand hält –genau gemessen nimmt dieser von anderthalb auf vier Meter zu, sodaß sich zwischen Wand und Steg ein flach keilförmiger Zwischenraum auftut. Diese Wand könnte ein Abschnitt aus einer Trennlinie sein, die sich imaginär in Ostwestrichtung um den Erdball zieht und nur an dieser Stelle zur Materialisierung gefunden hat.

Steg und Wand sind für das räumliche Erleben elementare architektonische Setzungen. In ihrem Spannungsverhältnis definieren sie einen mehrdeutigen, gegen oben offenen Raum – eine Ganghalle, die als Achse und Rückgrat dem Schulgebäude Halt gibt. Das weitere Konzept ordnet sich diesem Prinzip in klarer Logik unter: Die Klassenzimmer reihen sich auf zwei Ebenen entlang des zum Laubengang mutierten Stegs, hinter der Wand liegen Turnhalle, Garderoben, Toiletten und die Räume fürs Werken mit für diesen Zweck bestem Nordlicht. Lehrerzimmer, Sammlung, Direktion und Nebenräume wurden in dem zur Straße blickenden Quertrakt zusammengefaßt. Zwischen diesem und der Turnhallenstirn bleibt eine hohe, verglaste Aula als Binnenraum, in den sich der Außenraum hineinzieht, nur durch Glaswände klimatisch relativiert.

Im vorderen Teil des Klassentrakts ist das Erdgeschoß leicht variiert, sodaß es die Schulküche und den Speisesaal aufnehmen kann, der sich auf einen Gartensitzplatz öffnen läßt. Überhaupt ist im vorderen Bereich die Durchlässigkeit im Erdgeschoß sehr groß, da die Platzfläche vor der Schule unter den aufgestelzten Verwaltungstrakt hineingezogen wurde und wieder nur mit Glaswänden zur Aula abschließt. Damit wird auch klar, daß der vordere Teil der Schule der eher öffentliche ist, aus dem eine Spiraltreppe zur Direktorsloggia hinaufführt, von der der freundliche Mann einen Überblick genießt, ähnlich dem eines Kapitäns auf seiner Kommandobrücke. Da wissen die Kinder jedenfalls immer, wo sie seine inspizierenden Augen zu gewärtigen haben.

Das Licht für die Aula und die Ganghalle entlang der Wand wird von einem südorientiert aufgesetzten Oberlichtband eingefangen. Es fällt auf die gelb eingefärbte Wand und wird in diesem Farbton diffus in die beschatteten Zonen auf und unter dem Steg reflektiert, was jenen zu einer sonnigen Stimmung verhilft. Natürlich wird auch ein Teil des Lichts in Wärme umgewandelt, die sich in der massiven Wand speichert, denn sie ist aus Stahlbeton. Daß die Architekten diese ursprünglich in Sichtbeton geplant hatten, sei nicht verschwiegen. Sichtbeton ist prinzipiell nicht negativ. Der vom Direktor induzierte Mut zur Farbe hat jedoch der gesamten Raumstimmung eine wesentliche zusätzliche Komponente verliehen.

Das Architekturbüro von Manfred Nehrer und Reinhard Medek ist bekannt für seine rationalen Entwürfe, für spursicheres Kostenbewußtsein und für exaktes Projektmanagement. Diese Diszipliniertheit spricht zuweilen auch aus der Architektur, die einen etwas spröden Charme gewinnt. Es ist gewiß richtig, daß die Kinder automatisch Leben und Farbe in ein Schulhaus bringen, doch denke ich, daß der Askes ein Weiß und Grau ein eindeutiger farbiger Akzent – wie mit der lößgelben Wand geschehen – zu einer dichteren Atmosphäre verhilft.

Ein spielerisches Element bringen die schrägstehenden Rundstützen unter dem Fronttrakt, die sich auf dem Platz davor in allerlei Variationen verselbständigen. Durch ihre Schrägstellung wirken sie aber zugleich aussteifend auf die darüber befindliche Stahlbetonplatte, die sonst nur von wenigen scheibenartigen Elementen gehalten wird.

Die Integration statisch-konstruktiver Elemente auf der Konzeptebene in diearchitektonische Wirkung des Bauwerks hat bei Nehrer und Medek Tradition. Sie erinnert daran, daß die Moderne, an der die beiden Architekten engagiert weiterbauen, eine ihrer wesentlichen Wurzeln in der Bauingenieurskunst findet. Ob die Relativierung dieser statisch-konstruktiven Idee durch den Einfall des Freispazierens der Stützen am Vorplatz nicht zu sehr überlagert wird, war an dem herrlichen Vorfrühlingsmorgen nicht definitiv zu entscheiden. Es ist aber für den positiven Gesamteindruck unerheblich.

Dem Laien wird kaum auffallen, daß bei der Tragstruktur mit Stahlbetonfertigteilen gearbeitet wurde. Damit werden Baukosten gesenkt, und die Bauzeit wird verkürzt. Ein Beweis für die zunehmende Industrialisierung des Bauwesens auch in Ostösterreich. Der Innenausbau in Leichtbauweise, mit industriell erzeugten Werkstoffen, verwandelt den inneren Ausdruck stark. Während der Rohbau – wie eine Photographie aus der Bauzeit in der Ganghalle zeigt – durchaus als Einstellhalle für die benachbarte Straßenmeisterei interpretiert werden konnte, ist davon im fertigen Schulhaus nichts mehr zu spüren.

Dies verweist auf eine weitere zeitgenössische Entwicklung: Weitgehend unspezifische Primärstrukturen erhalten ihre definitive Bestimmung durch den Ausbau. Man könnte sich in einigen Jahrzehnten, ausgehend von einem auf den Rohbau reduzierten Zustand, wieder eine andere nutzungsmäßige und architektonische Interpretation der Baustruktur denken, so wie am gedanklichen Anfang einmal ein Steg und eine Ebene allein in der flachen Landschaft standen, an denen sich in der Folge die Elemente einer ganzen Volksschule festsetzten.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Spectrum

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Gemeinde Gänserndorf

Tragwerksplanung

Fotografie