Bauwerk

Siemens-Forum
Gerhard Lindner - Wien (A) - 2000
Siemens-Forum, Foto: Martin Stickler
Siemens-Forum, Foto: Martin Stickler

Kiste, Schachtel und Schatulle

Gerhard Lindners „Siemens Forum“ in Erdberg zeigt wieder einmal: Zweckbetontes verträgt sich durchaus mit architektonischen Ambitionen.

14. Dezember 1996 - Liesbeth Waechter-Böhm
Kiste ist nicht gleich Kiste. Das wird jeder bestätigen, der das Firmenareal von Siemens Österreich in die- sen Tagen genauer in Augenschein nimmt. Denn da türmen sich ungeheure Bürokomplexe auf - im besten Wortsinn: lauter Käse mit Löchern - und verstellen die Gegend, und sie tun es bar jeder architektonischen Ambition.

Firmenplanung heißt das im Klartext, denn Siemens Österreich hat eine eigene Bauabteilung. Aber: Neuerdings gibt es auf diesem Unternehmensgelände auch noch eine andere Art von Kiste zu besichtigen, eine Kiste, die von ihrer Größe her eigentlich mehr eine kleine Schachtel, eine Schatulle ist. Und die architektonische Botschaft, die sie verkündet, ist mit jener der Büroburg nicht zu verwechseln.

Siemens hat sich ein eigenes „Forum“ gebaut, einen Ausstellungs- und Veranstaltungsraum, der vielen Anforderungen gerecht werden muß, unglücklicherweise etwas versteckt liegt und nicht viel kosten durfte. Es gab eine Phase, sagt Architekt Gerhard Lindner aus Baden, da stand er vor der Wahl: Entweder wird das Projekt realisiert, und er muß kraß abspecken - oder das Projekt wird eben nicht realisiert.

Von außen ist das neue Siemens Forum ein sehr schlichtes Haus. Diese Schlichtheit ist dabei nicht unbedingt gewollt, vielmehr hat sie mit dem erwähnten „Abspecken“ zu tun. Vor die Alternative „Sein oder nicht sein“ gestellt, entschied sich Gerhard Lindner nämlich dafür, den Innenraum möglichst ohne Abstriche zu retten und dafür an den Fassaden zu sparen. Schon das ist eine Haltung, die auf dem weiten Feld des heutigen Bauens nicht unbedingt selbstverständlich ist. Aber es kommt noch besser.

Der Bauplatz selbst ist sozusagen ein Hoffnungsgebiet für Siemens: Denn man muß damit rechnen, daß sich in absehbarer Zeit einmal Büroetagen über der kleinen Veranstaltungskiste türmen. Trotzdem hat es Lindner geschafft, die Vorgabe einer Stützenreihe, von der dann links und rechts Büros erschlossen sind, konstruktiv so weit zu umgehen, daß zwar eine Überbauung des Hauses auch weiterhin möglich ist, der neue Veranstaltungsbau aber trotzdem räumlich völlig freigespielt bleibt.

Jetzt kommt man hinein und hat einen großzügigen, luftigen Raum vor sich, der linker Hand und an der Stirnseite in Geschoße unterteilt und rechts weitgehend verglast ist. Auf den ersten Blick rätselhaft: ein architektonisches Element, das sich über die volle Länge des Raums vom Erdgeschoß bis ins zweite Obergeschoß erstreckt. Es ist der sogenannte „lange Weg“, der von der temporären Veranstaltungsebene unten hinauf auf das Niveau des zweiten Obergeschoßes führt, wo die historischen Exponate der Siemens-Sammlung zu sehen sind.

Man könnte damit protzen, was dieses Haus in technischer Hinsicht alles kann. Denn es sind ungefähr 100 Kilometer Kabel darin verlegt, gar nicht zu reden von den höchstentwickelten elektronischen Vorrichtungen, die es enthält - es ist sozusagen alles da, vom gewöhnlichen PC bis zum Glasfaserkabel. Wobei es allein an PCs ungefähr 90 Stück auf den 1700 Quadratmetern Fläche gibt und dazu natürlich jede Menge Touchscreens, Projektionsflächen und ähnliches.

Das Ausstellungskonzept erscheint insgesamt, von der Flächenaufteilung her, zwar einfach: Auf der Erdgeschoßebene finden die temporären Veranstaltungen und Ausstellungen statt, im ersten Obergeschoß ist man mit aktuellen Entwicklungen konfrontiert, im zweiten mit der historischen Sammlung.

Aber wie dieses Konzept umgesetzt ist, das läßt durchaus Assoziationen mit gewissen Bereichen in La Villette zu. Denn dort kann man die Kids beobachten, wie sie interaktiv an einer Museumseinrichtung teilnehmen und gar nicht davon lassen können, und hier wird es einmal mit Sicherheit genauso sein.

Jeder Besucher erhält beim Eintritt Kopfhörer mit Infrarotsender beziehungsweise -empfänger und wird gleich zu Anfang identifiziert, auf Namen und andere Daten und Vorlieben abgefragt und während seines gesamten Rundgangs immer wieder persönlich angesprochen und in die Ausstellung einbezogen.

Die Eingangsfrage nach dem Lieblingsfilm - es gibt mehrere zur Auswahl - mag zunächst sinnlos erscheinen, ebenso die Frage nach Gewicht, sportlicher Betätigung und so weiter. Aber wenn man dann im Synchronstudio angelangt ist und eine Szene aus dem eigenen Lieb- lingsfilm sieht - in Verbindung mit der Aufforderung, diese Szene selbst zu synchronisieren, und der Möglichkeit, diese Synchronisation nachzubessern und zu kontrollieren -, dann erklärt sich die Technologie des Hauses wie von selbst.

Ebenso ergeht es einem, wenn man auf der Ebene der aktuellen Entwicklungen im medizinischen Bereich ankommt und auf der Basis des eigenen Körpergewichts und anderer Angaben, die beim Eintritt abgefragt wurden, eine Diagnose der individuellen Befindlichkeit erhält.

Diese Strategie zieht sich durch die ganze Ausstellung: Das Bakelit-Telephon läutet, über Display wird der Besucher namentlich aufgefordert abzuheben und erhält dann eine Nachricht; die Radios spielen und verkünden je nach der Zeit, aus der sie stammen, jeweils über Originallautsprecher eine authentische Botschaft.

Es handelt sich also um ein durch und durch interaktives Konzept, das den Besucher im echten Wortsinn zum Bestandteil der Ausstellung macht. Wie das technisch möglich ist, das wissen die Kids von heute sicher besser als ich. Ich habe nur verstanden, daß irgendwo im tiefen Keller alle Daten gespeichert sind und daß es spezielle Einrichtungen braucht, um die Verfügbarkeit dieser Daten in einem gewissen Tempo zu gewährleisten. Es scheint hier also ein gewaltiges Netzwerk zu geben - und wie es aussieht, funktioniert dieses Netzwerk.

In architektonischer Hinsicht ist wichtig, daß die räumliche Konzeption von Architekt Lindner diesen Gegebenheiten in jeder Hinsicht Rechnung trägt. Denn er hat einen sehr offenen, neutralen Raum geschaffen - nicht zuletzt im Hinblick auf künftige Umbauten, die bei einem solchen Ausstellungsgegenstand wohl gar nicht zu vermeiden sind -, und er hat die räumliche Disposition so entwickelt, daß sie auf einer anderen, eben auf der architektonischen Ebene das nachvollzieht, worum es hier inhaltlich geht.

Es gibt natürlich auch einen „kurzen“ Weg durch die Ausstellung, und jeder kann sich aussuchen, wie er die Räume passiert, aber spannend ist vor allem der „lange“ Weg. Denn er führt über die Rampe durch die volle Länge des Hauses und läßt einen schon aus der Distanz mit- und nachvollziehen, was drüben, auf den Ausstellungsflächen, passiert. Man sieht auch die anderen Besucher, man sieht, was rundherum passiert, und man gehört dazu. Und das ist sicher nicht das schlechteste Ausstellungskonzept.

Jedenfalls nicht für eine solche Ausstellung, die ja irgendwo zwischen „Technischem Museum“ und „Ars Electronica Center“ angesiedelt ist, wobei letzteres ein Vielfaches an Geld zur Verfügung hatte. Verglichen damit war Gerhard Lindner genügsam: Es gibt zwar die Tageslicht-Umleitungsprismen von Bartenbach, die Siemens ursprünglich erzeugt hat, an der Fassade; aber drinnen behilft sich Lindner mit einem von Peter Kogler entworfenen Vorhang als einfachster und preisgünstigster Maßnahme zur Abdunkelung und schalltechnischen Verbesserung des Raums.

Andererseits kann der Raum gerade in schalltechnischer Hinsicht wirklich allerhand, weil er durch ein verstellbares Lamellensystem und die Bespannung an der Decke sowohl schallweich als auch schallhart gemacht werden kann, und das in zwei Richtungen - über die gesamte Länge ebenso wie in der Breite. Kleinigkeiten fallen noch auf: Wenn Schulklassen kommen, dann finden sie Garderoben mit Schließfächern vor, die sie selbst bedienen können; wenn aber eine spezielle Veranstaltung stattfindet, dann läßt sich aus dem Garderobenbereich ein nahtlos in der Wand versenktes Pult herausziehen, hinter dem die Garderobieren agieren können. Auch Seminarräume sind da - durch Schiebewände trennbar oder eben zusammenlegbar, wie man es braucht. Das Stellwandsystem für den temporären Ausstellungsbereich ist überaus praktikabel. Und ein Abdunkelungselement an der Fassade, das die Fensteröffnungen aufnimmt und nur verschoben werden muß, stellt eine reizvoll einfache architektonische Maßnahme dar.

Daß gute Architektur nicht teuer sein muß, wäre ein lächerliches Fazit aus diesem Bau. Sinnvoller scheint es, darauf zu verweisen, daß die Einbeziehung eines freien, frei denkenden und agierenden Architekten ganz offensichtlich selbst für sol- che Unternehmen von Vorteil ist, die über eine eigene Bauabteilung verfügen.

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