Bauwerk

SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät - Neubau
Henke Schreieck Architekten - Innsbruck (A) - 1999
SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät - Neubau, Foto: Margherita Spiluttini
SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät - Neubau, Foto: Margherita Spiluttini
SOWI Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät - Neubau, Foto: Margherita Spiluttini

Stirnen in der Luft

Mit dem Neubau der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät definieren Dieter Henke und Marta Schreieck eine Schlüsselstelle im Innsbrucker Stadtgefüge: Sie setzten die Idee einer offenen Universität sorgsam und elegant zugleich um.

31. Dezember 1998 - Walter Zschokke
Nordöstlich des Innsbrucker Stadtkerns liegt der Hofgarten, ein ausgedehnter Grünraum, der zwischen der dichtgepackten barocken Altstadt und der offener bebauten, gründerzeitlich und später aufgefüllten Blockstruktur liegt. Entlang der Universitätsstraße reihen sich südseitig die alte Universität, die Jesuitenkirche sowie weitere öffentliche Gebäude; nordseitig sind es die Stadtsäle und dahinter das Landestheater, die diesen kulturellen Schwerpunkt imStadtgefüge mitbestimmen.

Die alte Fennerkaserne an der Ecke zur Kaiserjägerstraße bildete in diesem Kontext wegen ihrer prinzipiell introvertierten Nutzung in urbanistischer Hinsicht einen blinden Fleck. Als sie infolge Verlegung des Bundesheers nach Kranebitten leer stand, und der Bau eines Fünfsternhotels an dieserStelle von keinem Investor gewagtwurde, stellte sich daher die Frage einer anderen stadtbildenden Nutzung. In einem sehr frühen Stadium kam es nun seitens der Universität Innsbruck, die an dieser Stelle ein Fakultätsgebäude für die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften wünschte, zu einer Fokussierung des Bauwillens in einer engagierten Persönlichkeit: Manfried Gantner, Professor am Institut für Finanzwissenschaften.

Im Hinblick auf den 1988 beschlossenen städtebaulichen Wettbewerb entwickelte Gantner die Idee einer Stadtuniversität, die gedacht war als „offene Universität“ mit intensiver Vernetzung innovativer Institutionen der Privatwirtschaft –zur permanenten Weiterbildung der Führungskräfte – sowie mit Unternehmen aus dem Bereich Wirtschaftsberatung. Diese Gedanken waren bereits entwickelt, als die Architekten zum städtebaulichen Wettbewerb an-traten, um für die heikle Aufgabenstellung auf dem Eckgrundstück, wo Sillgasse und Kaiserjägerstraße versetzt auf die Universitätsstraße treffen, Lösungsvorschläge zu entwerfen. In dem zweistufigen Verfahren setzten sich Marta Schreieck und Dieter Henke, damals knapp über 35 Jahre alt, mit einem bestechend klaren Projekt durch.

Städtebaulich erzeugt der Entwurf mit einem ostwestgerichteten Längstrakt zwischen Landestheater und Kapuzinerkirche. eine innere Stadtkante zum Hofgarten. An der Südseite schließt parallel der längere Schenkel eines abgewinkelten zweiten Trakts an, dessen anderer Schenkel kühn zur Universitätsstraße vorstößt. Zwischen den beiden Längstrakten ist eine hohe, glasüberdeckte Halle eingeschoben, und vor der Südfassade weitet sich der Außenraum zum Platz, der von der Universitätsstraße durch einen Solitär abgeschirmt wird: das in Fertigstellung befindliche Management-Zentrum.

Der neu definierte innerstädtische Außenraum tritt mit dem bestehenden in doppelte Beziehung: An der Westseite führt vom Platz vor der Jesuitenkirche her eine Gasse nach hinten, um alsbald auf die großzügig gefaßte Weite zu treffen. Ostseitig stößt der Straßenraum der Sillgasse über die Universitätsstraße in den neugeschaffenen Platzraum vor und wird von einem mit elegantem Kurvenschwung aus dem Längstrakt hervorquellenden Gebäudeteil gleichsam aufgefangen.

Die heikle Situation an der Einmündung der Kaiserjägerstraße in die Universitätsstraße – der ehemaligen Ecke der Fennerkaserne – wird von einem weit vorkragenden Bauteil des abgewinkelten Südtrakts neu definiert, der auf seine Weise geschickt mit den Turmerkern zweier naher Gebäudeecken kommuniziert. Eine weitere, bestens gelüftete Gebäudestirnseite bildet, schräg abgeschnitten, das Gegenüber der Kapuzinerkirche. Hoch auf schlanken Rundstützen aufgestelzt, deutet das freie Ende des nördlichen Längstrakts die städtebauliche Kante an dieser Stelle geschickt an, läßt aber der Eingangsseite der Kirche genügend Raum.

Obwohl die beiden parallelen Trakte des Fakultätsgebäudes gegen 190 Meter lang sind, also im Stadtgefüge eine Setzung erster Ordnung bilden, wurde mit wenigen klugen Maßnahmen eine räumliche Integration ins Stadtbild erreicht: Das Neue dialogisiert mit dem Bestehenden sorgsam und elegant zugleich. Marta Schreieck und Dieter Henke beweisen mit diesem bald zehn Jahre alten Entwurf ihre städtebauliche Kompetenz, die an Ort und Stelle anschaulich erfahrbar ist.

Doch nun zum Hauptbau, dem Fakultätsgebäude für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: Zwei parallele Längstrakte nehmen also eine hohe Halle in ihre Mitte, die von einem vertikalen Erschließungskern in einen größeren westlichen und einen kleineren östlichen Abschnitt geteilt wird. Der Haupteingang liegt in der Mitte der Südfassade, am neugeschaffenen Platz. Die im alten Verlauf errichtete Mauer des ehemaligen Pflanzgartens zur Linken sowie die ausschwingende Glasfassade der Mensa und der darüberliegenden Bibliothek zur Rechten erzeugen die empfangende Geste, die architektonisch dem Haupteingang in der langen Fassade – ohne zusätzliches Lamento mit einem Vordach – Gewicht verleiht.

Wenn man den Windfangzylinder mit Drehtür durchschritten hat, befindet man sich in dem lichten Binnenraum zwischen den Längstrakten. Kaskadenartig, in vier Läufen, steigt eine Treppe längs gegen Westen unter dem Glasdach bis zum obersten Geschoß hinauf, zu ihrer Linken bleiben jeweils offene terrassenartige Raumzonen für den kurzen Aufenthalt. Schon beim Hinaufsteigen ist die Raumwahrnehmung sehr intensiv, bis dann auf der obersten Plattform der Panoramablick seitlich durch das Glasdach auf die Nordkette fällt und den kategoriellen Sprung vom Binnenraum der Halle zu dem von den Bergketten nachhaltig gefaßten Landschaftsraum des Inntals provoziert. – Die Konzeption des großen Innenraums erfolgte wie selbstverständlich im Wissen um den größeren Zusammenhang der stark präsenten Talflanken.

Das Hinuntersteigen ist ein stufenweises Eintauchen in den hohen Vertikalraum, der vor allem „Raum“ ist, da die Innenfassaden mit ihren Holzpaneelwänden, unterbrochen von verglasten Oberlichtstreifen und sichtschützenden Holzjalousien, schmucklos und glatt gehalten sind. Obwohl die eine Seite laubengangartige Erschließungskorridore aufweist, herrscht der starke räumliche Zug nach oben vor, den das trichterförmige Ausweiten erzeugt.

Diese Erweiterung nach oben bestimmt auch den Charakter der Volumen in der Querrichtung, indem die beiden Längstrakte jeweils nach außen mit jedem Geschoß einen guten Meter weiter auskragen. Die Institute weisen somit jedem Geschoß etwas mehr Bautiefe auf.

Das heißt nun nicht, daß die unteren Geschoße weniger attraktiv wären, denn hier sind die publikumsintensiveren Räume, die Hörsäle, die Mensa mit Café, die räumlich spannungsvolle Bibliothek sowie großflächige Computerarbeitsräume, angeordnet. Die Bibliothek, die, südseitig von Lamellen beschattet, aus dem Baukörper hinausdrängt, reicht andererseits durch das ganze Bauwerk hindurch, die zugehörigen Büros blicken nach Norden.

Die darüberliegende kleinere Mittelhalle ist daher weniger hoch; sie beginnt erst im dritten Obergeschoß, dafür gelangt über drei große Deckenöffnungen Tageslicht bis in den Binnenbereich der Bibliothek. Die subtile Lichtstimmung in den drei nordseitig unter den Längstrakt geschobenen Hörsälen; die intelligente, mit den Nutzern abgestimmte innere Organisation der Institute; die vielen individuellen Büroräume, etwa jene an den Gebäudeecken; sowie zahlreiche weitere architektenhandwerklich sorgfältig durchdachte Komponenten der Gesamtanlage machen diese zu einem reifen Werk.

Eine derart umfangreiche Arbeit setzt vielfältige Kooperationen voraus. Mit Johann Obermoser war ein erfahrener Projektmanager tätig; Wolfdietrich Ziesel für die Tragwerksplanung und Alexander Sommerfeld für die anspruchsvolle Klima- und Lüftungstechnik, die auf einfachen Prinzipien basiert, waren für die Architekten wichtige Gesprächspartner.

Daß sich am Schluß auch noch die Bundesimmobiliengesellschaft über eine Kostenunterschreitung freuen durfte, zeugt vielleicht direkter als manches architektonische Detail von der guten Zusammenarbeit aller Beteiligten.

Ein derartiges Arbeitsklima entsteht gewiß eher, wenn einzelne verantwortungsbewußte Persönlichkeiten agieren, weniger, wenn die Problem ein unübersichtlichen Kommissionen zerredet werden. Jedenfalls ist es einer Architektur förderlich, die ihre Ansprüche einzulösen weiß.

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