Bauwerk

Wohnanlage ´Kanalstraße´
Helmut Wimmer - Wien (A) - 1998

Geschichtete Übergänge

Architekt Helmut Wimmer möchte mit seinen Wohnbauten Strukturen schaffen, in denen sich das Leben dynamisch entwickeln kann

15. Mai 1999 - Franziska Leeb
"Eine Architektur, die dem Anspruch des „schönen“ Bauwerkes im Sinne der klassischen Architekturauffassung verpflichtet ist, wird den Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gerecht", meint Helmut Wimmer, der mit seinen Wohnbauten der letzten Jahre versucht, neue Wege im (sozialen) Wohnbau zu beschreiten. Wimmers Bauten entziehen sich der Diskussion um Wohnungsmix und Zimmergrößen. Sein Anliegen ist es, Strukturen vorzugeben, innerhalb derer sich das Wohnen flexibel und dynamisch entwickeln kann.

Nicht vom Bewohner wird verlangt sich an eine schnellebige Zeit anzupassen, die Wohnung als Konsumgut zu sehen und je nach Lebenssituation die Bleibe zu wechseln, sondern an die Wohnung selbst wird die Anforderung nach Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit gestellt. Nur wenige Fixpunkte (Naßzellen und Nebenräume zum Beispiel) werden im Wohnungsgrundriß festgelegt. Der Rest ist räumliche Demokratie. Gleichwertige, neutrale Räume ohne jede Funktionszuordnung werden durch Schiebewände aus Holz voneinander getrennt oder besser gesagt, miteinander verbunden. Damit entstehen Wohnungszuschnitte, die nicht für bestimmte Nutzergruppen maßgeschneidert sind, sondern vom Single, dem kinderlosen Paar, der Familie oder der Wohngemeinschaft gleichermaßen genutzt werden können.

Bei der Anlage in der Kanalstraße verknüpft Helmut Wimmer zwölf „Stadtvillen“ durch ein Erschließungssystem von Wegen, Treppen und Stegen. Die zeilenförmige, von Grünflächen und Bäumen durchsetzte Bebauung schließt an die Siedlungsstrukturen der Umgebung an. Das Wegenetz auf mehreren Ebenen wird damit zum raumbildenden Element, zu einer eigenen Gebäudestruktur im Dialog mit den Kuben der Wohngebäude. Den Wohnungen sind Servicebalkone mit einem kleinen Lagerraum vorgelagert. Hier bietet sich vor der eigenen Haustür die Möglichkeit für häusliche Notwendigkeiten wie das Aufhängen der Wäsche, ohne damit den Wohnbereich zu belasten. Die einfachen Wohnungsgrundrisse entwickeln sich um einen zentralen dienenden Servicekern mit Sanitäreinheit und Küche. Die Raumtrennung erfolgt auch hier wie bei fast allen Wimmer-Bauten durch Schiebewände, die eine schnelle Adaptierung des Grundrisses ermöglichen. Bei Bedarf nach Ruhe ist es so zum Beispiel möglich, sich in seine Zelle zurückzuziehen, untertags jedoch können alle Räume miteinander verbunden werden.

Die Holzschiebewände gewähren also ständige Flexibilität, offen ist jedoch, wieweit der an starre Zwischenwände gewöhnte Bewohner dieses Angebot bereit ist wahrzunehmen. Selbst wenn die Schallschutzwerte der dünnen Schiebeelemente jenen einer viel dickeren Gipskarton-Zwischenwand entsprechen, ist wahrscheinlich eine mentale Hürde zu überwinden, um dies tatsächlich so zu empfinden. Innen und Außen, privater Raum und Gemeinschaftsfläche, zweckdefinierte und nutzungsneutrale Flächen gehen sachte geschichtet ineinander über. Es entsteht in der städtischen Anonymität ein eigener kleiner Stadtorganismus, der auf den privaten Freiflächen und in den transluzent verglasten Veranden Gelegenheit zur Kommunikation und Selbstdarstellung nach außen gewährt, ja sogar provoziert. Helmut Wimmer unterbindet individuelle Manifestationen der Bewohner nicht, sie stören ihn nicht einmal.

Architekt DI Helmut Wimmer
Schönbrunner Straße 26
1050 Wien, Tel. 587-85-33

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