Bauwerk

Coca-Cola Beverages
Elsa Prochazka - Wien (A) - 1998
Coca-Cola Beverages, Foto: Margherita Spiluttini
Coca-Cola Beverages, Foto: Margherita Spiluttini

Erlebnisraum Stiegenhaus

Vorher: eine Fünfziger-Jahre-Ruine an der Wiener Südausfahrt. Nach der Adaptierung durch Elsa Prochazka: ein ausgetüfteltes, lichtdurchflutetes Büro-und Betriebsgebäude. Wo Umbau mehr bedeutet als routinierte Innenraumorganisation und Facelifting.

4. Dezember 1999 - Liesbeth Waechter-Böhm
Die schlichte Aluminium-Kiste des umgebauten Coca-Cola-Werkes von Elsa Prochazka steht an einem – aus städtebaulicher Sicht – neuralgischen Punkt im Wiener Süden. Das ursprüngliche Gebäude wurde in den fünfziger Jahren errichtet und formulierte früher einmal gemeinsam mit dem Philips-Haus auf der gegenüberliegenden Seite der Triester Straße eine Art Tor zur Stadt. Danach kam nur noch der Abhang des Wienerberges mit seiner gewaltigen Industriebrache und einer keineswegs reizlosen Teichlandschaft, die die Ziegelwerke hier gegraben hatten.

Nun, die Zeiten ändern sich, und Städte entwickeln sich. Am Wienerberg schritt diese Entwicklung ohnehin vergleichsweise langsam voran. Aber jetzt ist sie in dynamischer Bewegung. Die Baukräne des Fuksas-Doppelhochhauses beweisen es: Hier wird die Grenze der Stadt sichtbar hinausgeschoben, das dicht bebaute urbane Gebiet wächst.

Unter diesen komplexen Voraussetzungen kann man den Umbau eines solchen Büro-und Betriebsgebäudes nicht nur als routinierte Innenraum-Organisation, verbunden mit einem äußerlichen Standard-Lifting, auffassen. Allerdings hätte sich Elsa Prochazka wohl auch in einer weniger empfindlichen Situation nicht für Allerweltslösungen der gängigen Art bereit gefunden.

Die Aufgabenstellung war so: Es gab zwei, keineswegs besonders große Betriebs- und Bürogebäude vorne an der Triester Straße, der Südausfahrt Wiens. Das erste, jetzt umgebaute, stammt aus den fünfziger Jahren: Seinerzeit, als man durch eine riesige Glasscheibe im Erdgeschoß auf ein Fließband schauen konnte, über das die leeren Cola-Flaschen zum Befüllen wanderten, war es vor allem für Kinder eine Sensation. Später dann, in den sechziger oder frühen siebziger Jahren, kam das zweite Gebäude hinzu. Verbunden waren diese Bauten durch ein Stiegenhaus, das allerdings nur bis zum zweiten Obergeschoß reichte. Übrigens verdecken die beiden Häuser – quasi als „Kopfbauten “– ein dahinter liegendes, sehr ausgedehntes Betriebsareal mit zahlreichen Lagerhallen und einer – im wörtlichen Sinn – eindrucksvollen „Kistenlandschaft“.

Man kann ruhig sagen, daß beide Häuser unter architektonischen Gesichtspunkten immer schon als Trivialität abzuhaken waren. Das ist noch nicht einmal boshaft. Aber nun hat sich das geändert.

Und diese Veränderung wurde mit schlichten, dabei höchst raffinierten, also intelligent eingesetzten Mitteln bewerkstelligt. Was man sieht, ist eine Aluminiumhaut mit einer auf den ersten Blick markant unregelmäßig erscheinenden Fensterlösung. Da sitzen schmale, lange Öffnungen über teils quadratischen, teils im Format halber, hochgestellter Quadrate zugeschnittenen Fenstern. Da gibt es aber auch schmale, eher kurze „Unterfenster“ (Prochazka). Klar, daß daraus ein Muster entsteht; ein unregelmäßiges Muster, aber doch geometrisiert, systematisiert, digitalisiert? Das System ist nicht gleich durchschaubar.

Wer die Arbeiten von Elsa Prochazka kennt, der wird natürlich folgerichtig schließen, daß das, was man von draußen sieht, mit dem, was sich drinnen abspielt, zu tun hat. Und so ist es auch. Die Fassadenlösung wurde so entwickelt, daß sie optimale Arbeitsplätze in den Büros garantiert. Und das heißt bei der heutigen Bildschirmarbeit: Oberlichten, Unterfenster und Fenster, die individuell beschattbar sind, die aber nicht unbedingt beschattet werden müssen, weil sie so angeordnet sind, daß sich der Arbeitsplatz im Raum entsprechend situieren läßt. Es fällt das Licht nie direkt auf den Bildschirm.

Bei einer solchen Fassadenlösung fragt man sich heutzutage automatisch: Ja, aber wie trägt das dem Anspruch Rechnung, daß ein Bürohaus flexibel sein soll? Wenn die Fensterlösung derartig maßgeschneidert ist, wie kann sie dann noch funktionieren, wenn sich die Büroaufteilung im Inneren eines Tages ändert? Das Zauberwort heißt: „computergenerierte Fassade“.

Das bedeutet, daß alle möglichen Umbauvarianten schon im Vorfeld der Planung durchgerechnet wurden; es bedeutet, daß solange herumgetüftelt wurde, bis eine Lösung herauskam, die den jetzigen Ansprüchen genügt und auch allen erdenklichen Varianten künftiger Nutzungen gerecht wird. Auch rein zeichnerisch ließe sich eine solche Planung entwickeln. Nach dem Aufwand darf man allerdings nicht fragen, denn der ist auch schon bei der Computervariante groß.

Ursprünglich hat das Haus im Erdgeschoß und auf dem ersten Obergeschoß Produktionsräume beinhaltet, darüber war ein Lagerraum, und wieder darüber waren Büros. Zu diesen vier Ebenen kommt nun eine fünfte, neue dazu, und das alte Stiegenhaus wurde weggerissen und durch ein neues ersetzt, das beide Gebäude des Bestands optimal verbindet.

Optimal heißt, daß durch dieses Stiegenhaus auch unterschiedliche Geschoßhöhen miteinander verknüpft sind. Und das mit einem Minimum an Raum: Da mußte zum Teil mit Rampenlösungen ausgeglichen werden, die Sichtbetonstiege ist überdies verhältnismäßig steil. Es war sehr wenig Platz. An ein Stiegenauge, an vielgeschoßigen Luftraum war unter diesen Umständen nicht zudenken.

Elsa Prochazka hat etwas entwickelt, was einen solche Zwänge vollständig übersehen läßt. Sie hat statt einer Brüstung eine Wand kreiert, die in Leichtbauweise errichtet und mit petrolfarben lasierten Platten verkleidet ist. Durch den signifikanten Zuschnitt – es gibt „ausgeschnittene“Durchsichten und „Oberlichten“, wo es einen geradezu weiterzieht, und die Beleuchtung ist überaus minuziös gesetzt – schafft es diese Wand, aus dem engen Treppenhaus, das allerdings lichtdurchflutet ist, weil es nach außen optimale Fensterflächen hat, einen Erlebnisraum zu machen.

Man kommt gar nicht auf die Idee, daß man hier durch ein – mit höchsten Brandschutzauflagen bedachtes – „Notstiegenhaus“ geht, es ist ein Raum, ein Baukörper, dessen Position und Außenansicht ein eigenständiges Statement darstellt.

Man muß überhaupt sagen: Elsa Prochazka hat für diesen Umbau eine Lösung und auch eine ästhetische Sprache entwickelt, die zwar eindeutig und selbstbewußt sind, die aber den nebenstehenden Banalbau nicht irgendwie „blamieren“.Nur en passant angemerkt: Möglicherweise läßt eine solche Haltung auch gewisse Rückschlüsse auf die Berechtigung jener angeblich kompromißlosen Zwanghaftigkeit der Selbstverwirklichung von Architekten zu, mit der man es immer wieder zu tun hat, wenn es um „anspruchsvolle“ Architektur geht.

Natürlich ist es so: Elsa Prochazka agiert kompromißlos. Aber auf einer anderen Ebene. Daß die Sache funktioniert, ist sowieso das oberste Gebot, aber daß sie sich sehen lassen kann, ist schlichtweg eine Folge davon. Aus dem Haus ist ein bemerkenswertes Bürogebäude geworden, aber nicht weil die Architektin geglaubt hat, eine neue Antwort auf das Thema Bürohaus zu erfinden.

Die Räume sind – eigentlich ganz konventionell – entlang der Fassaden organisiert, und in der Mittelzone wurden Nebennutzungen angesiedelt. Wie gesagt, solche zweihüftigen Lösungen sind durchaus üblich. Es kommt halt immer darauf an, was man daraus macht. Elsa Prochazka hat einen aufregenden Raum daraus gemacht. Sie hat für die Nebenfunktionen – von der Teeküche bis zum Besprechungsraum – Körper, Räume formuliert, die einen unglaublich spannenden Binnenraum entstehen lassen.

Denn diese Raumeinheiten stehen tatsächlich als einzelne Körper – oder Objekte – da. Und sie verleihen dem durchgehenden Geschoß eine Art Rhythmus. Sie geben den Takt an. Von den ganz einfach, aber sehr ansehnlich entworfenen Garderobenschränken für Besucher bis zu den – als Leichtkonstruktion in den Raum gestellten und beplankten – Raumeinheiten für Konferenzen. Dort herrscht übrigens die Farbe Türkis vor. Elsa Prochazka hat die simplen Sperrholzplatten also nicht einfach natur verwendet, sondern für einen gewissen „Kick “gesorgt.

Es ist wirklich höchst reizvoll, was aus diesem ausgeräumten Stahlbetonskelett, dieser auch zuvor schon mehrfach umgebauten Fünfziger-Jahre-Ruine letztlich geworden ist. Es ist ein lichtdurchflutetes Bürohaus, das atmosphärisch eine Großzügigkeit suggeriert, die sich flächenmäßig ganz gewiß nicht belegen läßt. Aber auf diesem Gebiet, man weiß es von den vielen anderen Arbeiten der Elsa Prochazka, ist sie ohne Zweifel eine Meisterin.

Wie man mit Innenräumen umgeht, was man daraus machen kann – es gibt wohl niemanden in Österreich, der das überzeugender, besser vorgeführt hätte. Bleibt das Thema der Haut. Und die Haut des Gebäudes am Wienerberg, überzeugt in ihrer subtilen Ausgetüfteltheit genauso wie zum Beispiel die Glasfassade des Schulzubaus, den Elsa Prochazka vor Jahren realisiert hat.

Es ist schon so: Gute Lösungen kommen nicht von ungefähr. Sie haben eine Vorgeschichte. Und Elsa Prochazka ist jemand, der diese Vorgeschichte nicht nur durchgestanden, sondern auch eine ganz eigene sprachliche Kraft daraus destilliert hat.

Es gibt nicht sehr viele Frauen in der Architektur, denen man Aufgaben einer großen Größenordnung zutrauen und wünschen würde. Wenn es eine gibt, dann ist es Elsa Prochazka.

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