Bauwerk

Festspielhaus und Kongresshaus – 2. Bauetappe
Dietrich | Untertrifaller - Bregenz (A) - 2006

Glitzernde Fassaden am See

Wiedereröffnung des erneuerten Festspielhauses in Bregenz

Vor neun Jahren wurde das 1980 eingeweihte Festspielhaus in Bregenz von Dietrich & Untertrifaller erweitert. Nun konnte der Altbau in nur zehn Monaten von denselben Architekten für 40 Millionen Euro saniert, umgestaltet und mit einer attraktiven Fassade versehen werden.

7. Juli 2006 - Roman Hollenstein
Seit geraumer Zeit erlebt Vorarlberg eine kulturelle Blüte. Dies dank seinen Musikfestspielen, seinen Museen und nicht zuletzt dank seiner Baukunst. Zwar war es ein Schweizer, der die lokale Architekturlandschaft mit dem Glaskubus des Kunsthauses Bregenz weltbekannt machte. Doch schon lange bevor Peter Zumthors städtebaulich perfekt inszeniertes Meisterwerk 1997 eröffnet wurde, gab es in Vorarlberg eine kreative Architekturszene. Diese hat inzwischen aber mit allzu verspielten Fingerübungen etwas Terrain eingebüsst. Nun soll mit einem weiteren Kulturbau in der Landeshauptstadt Bregenz die lokale Architektur neu positioniert werden. Es handelt sich dabei um das Festspielhaus, das sich mit über 400 000 Besuchern jährlich als das bedeutendste Veranstaltungs- und Kongresszentrum im Bodenseeraum anpreist. Obwohl das Bauwerk mit seiner Glasfassade und dem skulpturalen Bühnenturm ganz neu und zeitgemäss erscheint, ist es ein über die Jahre entstandenes Konglomerat. In ihm spiegelt sich die Geschichte der Bregenzer Festspiele, die 1946 ihren Anfang nahmen.

Verschmelzung sperriger Bauteile

Begonnen hatten die Bodensee-Festspiele auf zwei Ledischiffen. 1952 entstand auf dem Gelände des jetzigen Strandbads die erste Festspieltribüne. Ihr folgte 1979 etwas weiter nördlich die heutige Arena als seeseitiger Anbau an das Festspiel- und Kongresshaus des Bregenzer Architekten Wilhelm Braun, das im Januar 1980 mit einem Soloabend des Pianisten Arturo Benedetti Michelangeli eröffnet wurde. Wohl eignete Brauns Betongebäude eine gewisse Ausdruckskraft, doch der geknickte, banal durchfensterte und rein funktionalen Anforderungen gehorchende Unterbau nahm ihm jegliche Ausstrahlung. Das 1992 siegreich aus einem Wettbewerb hervorgegangene Projekt zur Erweiterung, Sanierung und innenräumlichen Ordnung des Festspielhauses der Bregenzer Architekten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller stellte dann dem Kulturtempel ein attraktives Antlitz in Aussicht. Fünf Jahre später konnte der erste Bauabschnitt abgeschlossen werden - bestehend aus dem geduckten, als Gegenstück zum aufragenden Bühnenturm konzipierten Kubus der Werkstattbühne, dem Seestudio und dem vitrinenartigen Seefoyer, welches das zuvor völlig introvertierte Festspielhaus zum Wasser öffnet. Diese Addition sperriger Bauteile wird logisch erschlossen mittels eines hoch über die ganze Anlage gespannten, brückenartigen Verwaltungsbalkens, in dessen Stahlfachwerk die industrielle Anmutung der Erweiterung ihren Höhepunkt erreicht.

Doch erst die vor zwei Jahren genehmigte, vierzig Millionen Euro teure zweite Bauphase brachte dem Haus (in nur zehn Monaten) eine identitätsstiftende Platzfassade. Mit ihrer Haut aus Glas und Putz verwandelt sie den Bau, der zuvor hermetisch wirkte, in eine «offene und kommunikative», die Passanten zum Eintreten auffordernde Architektur. Blickfang ist ein teleskopartig aus der dunklen Verglasung vorspringender, auf die neue Erschliessungsachse im Innern verweisender Erker, in dessen Stirn sich der Himmel spiegelt. Nach Süden geht die durchsichtige Aussenhülle in eine verputzte Lochfassade über, hinter der sich Garderoben und Arbeitsräume befinden. Zum See hin aber weicht der Glasvorhang allmählich dem auskragenden Teil der Seetribüne, durch deren Stahlkonstruktion hindurch die Ufer des Bodensees leuchten. Über dieser kosmetisch aufgeputzten Eingangsfront erhebt sich weiterhin der alte, nun mit Glasfaserbetonplatten und einem Fensterband verschönerte Theaterbau. Seeseitig wurde ihm ein über der Freiluftarena schwebender dreigeschossiger Glaskasten mit Stadtfoyer und Lounge vorgehängt, der dem Festspielhaus zusammen mit dem bereits 1997 eingeweihten Seefoyer auch zum Wasser hin ein Gesicht gibt.

Bei der heutigen Eröffnung wird die politische und kulturelle Prominenz das frisch wie ein Neubau glitzernde Haus unter dem als Pendant zum Verwaltungsbalken entworfenen Teleskop-Erker betreten. Wo früher alles unübersichtlich war, erblickt man nun rechts im elegant gestalteten Eingangsbereich das Ticketcenter, links die Garderobe und das ganzjährig bewirtschaftete Restaurant. Geradeaus steigt man über die zentrale Treppe hinauf zum Hauptfoyer. Dort gewährt eine neu geschaffene, durch den Teleskop-Balken angedeutete Raumachse freie Sicht auf Wasser und Bäume - vom Seefoyer bis zum ganz in poliertem Holz gehaltenen Propter-Homines- Saal im Eingangserker. Dieser neue Pausenraum kann wie die beiden anschliessenden, ebenfalls auf den begrünten Vorplatz ausgerichteten Säle für Kongresse genutzt werden.

Leichter als zuvor sind nun im Hauptfoyer die Eingänge zum kleinen Seestudio, zur Werkstattbühne, zur 7000 Sitze umfassenden Arena sowie zum grossen Saal auszumachen. Dieser 1700 Plätze bietende multifunktionale Raum wurde mit dunklem Akazienfurnier und roten Sesseln herausgeputzt, technisch auf den neusten Stand gebracht und so zum Juwel des ganzen Bauensembles geschliffen. Besondere Bedeutung kommt der von Dietrich & Untertrifaller zusammen mit dem Münchner Akustikingenieur Karlheinz Müller entwickelten Decke zu, die es erlaubt, die Nachhallzeit den akustischen Anforderungen von Musikdarbietungen, Theateraufführungen oder Kongressen anzupassen. Neu ist auch die nunmehr fest eingebaute Rangtribüne, von der aus man ins Stadtfoyer und in die VIP- Lounge - beide mit Sicht auf Freiluftarena und See - gelangen kann.

Elegante Zurückhaltung

Die Architekten haben ihr Ziel, «dem Haus ein neues Gepräge innerhalb der vorgegebenen Rohbaugeometrie» zu geben, nie aus den Augen verloren. So kommt das mit Respekt vor Brauns alter Baustruktur verjüngte Festspielhaus ohne grosse modische Konzessionen aus, sieht man einmal vom wolkenbügelartigen Verwaltungsbalken und vom kubischen Eingangserker ab, die aber neben der zeichenhaften auch eine funktionale Aufgabe erfüllen. Störend ist höchstens die etwas dunkle und leblose Glashülle, die der Eingangsfront einen Hauch von banaler Kommerzarchitektur verleiht. Hier hätte der kulturelle Inhalt gestalterisch besser hervorgehoben werden können. Schwerer wiegt aber die Tatsache, dass mit dem umgebauten Festspielhaus ein neuer architektonischer Ort am Bodensee geschaffen wurde.

Gefasst wird das neue Wahrzeichen durch die puristische Aussenraumgestaltung des Zürcher Büros Vogt Landschaftsarchitekten. Schon von weitem schimmert der mit ockerfarbenem Splittmastix belegte Platz, auf dem sich das Festspielhaus wie auf einem Präsentierteller erhebt, durch den lichten, von den Auenwäldern des Rheindeltas inspirierten Grünbereich. Gleichzeitig bringen die Kronen der 373 in inselartigen Gruppen gepflanzten Eschen, Pappeln, Kiefern und Kirschen die hässlichen Bauten des Casinos und des Hotels «Mercure» hinter einem Blättervorhang zum Verschwinden und fokussieren damit alle Aufmerksamkeit auf den von Bescheidenheit und Ehrlichkeit geprägten Umbau.

[ Am 8. Juli findet für alle Interessierten ein volksnaher Tag der offenen Tür statt; am 19. Juli werden im Festspielhaus die Bregenzer Festspiele eröffnet, und am 20. Juli wird der «Troubadour» auf der Seebühne gespielt ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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