Bauwerk

Slowenische Industrie- und Handelskammer
Sadar Vuga arhitekti - Ljubljana (SLO) - 1999
Slowenische Industrie- und Handelskammer © Sadar in Vuga Architekti
Slowenische Industrie- und Handelskammer © Sadar in Vuga Architekti
Slowenische Industrie- und Handelskammer © Sadar in Vuga Architekti
Slowenische Industrie- und Handelskammer © Sadar in Vuga Architekti

Ein farbiger Fassadenstapel in Ljubljana

1. Dezember 1999 - Roman Hollenstein
Dem modernen Klassizisten Joze Plecnik verdankt Ljubljana viel. Mit Brücken, Markthallen und einem antikisierenden Wehr nobilitierte er den Flussraum der Ljubljanica und verlieh der Universität mit seiner Bibliothek ein Gesicht. Bis heute kommt in Sloweniens Hauptstadt kein Architekt um Plecnik und seine Zeitgenossen Ivan Vurnik und Maks Fabiani herum. Das gilt auch für die jüngsten Stars der Szene, den 36jährigen Jurij Sadar und den 33jährigen Bohtjan Vuga. Bei ihrem bisher wichtigsten Werk, dem neuen Sitz der Handelskammer, zollen sie mit der von Grün bis Orange changierenden, leicht aus dem Lot geratenen Südfassade dem Hang der grossen Meister zum Gesamtkunstwerk Tribut und arbeiten dabei doch ganz zeitgenössisch.

Das Team Sadar & Vuga ist zweifellos ein Phänomen, hat es doch in den vergangenen Jahren fast jeden grossen Wettbewerb im kleinen Land für sich entscheiden können. In cool aufgemachten Jahresberichten dokumentieren sie den Entwicklungsstand ihrer Arbeiten vom roten Fernsehstudio in Nova Gorica über das ufoartige Sportstadion oder die gläserne Erweiterung der Nationalgalerie bis hin zum kürzlich fertiggestellten Warenhaus «Dom Mueller» in Ljubljana mit seiner reflektierenden Moiréhaut. Im Büro reicht dann der bewusst in Prada und in Retrolook gekleidete Vuga Einzelheiten nach, etwa zum slowenischen Pavillon, der mit seiner irritierend sich bewegenden Membran zu einem Highlight der Expo 2000 in Hannover werden dürfte.

Wie überlegt Sadar & Vuga mit den Gewissheiten herkömmlichen Bauens brechen, zeigt ihre von der Londoner AA inspirierte, durch Teamarbeit und Diagramme geprägte Planungsweise, die jedes Gebäude anders erscheinen lässt. Damit passt das 1996 gegründete Büro vorzüglich in die zukunftsorientierte Gesellschaft des jungen Staats. So erstaunt es nicht, dass es mit dem Neubau der Handelskammer den Wettbewerb um den prestigeträchtigsten Bauauftrag Sloweniens für sich entscheiden konnte.

Gemäss dem Credo von Sadar & Vuga, die Bedürfnisse des Auftraggebers in einem Bau zu materialisieren, der mit gezielten Effekten Benutzer und Besucher zu begeistern weiss, entwarfen sie einen «Megastore des Kapitals». Dessen funktionale Identität ist nicht mehr der Maschinenideologie Le Corbusiers verpflichtet, sondern einem auf Austausch, Interaktion und schnellen Zugriff ausgerichteten Network. Kernstück der Anlage bildet daher eine mit ihren irritierenden Perspektiven an Science-fiction-Filme erinnernde Vertikalhalle, um die herum Bibliothek und Vortragssäle angeordnet sind sowie die einem Gang folgenden Büros im Nordteil des Baus.

Möglich wurde dieser futuristische Organismus dank einem Kunstgriff: Sadar & Vuga zogen - virtuell - den Sockel unter der gläsernen Scheibe des Bürotrakts hervor, klappten ihn auf und verbanden ihn mit dem nun etwas abgesunkenen Glashaus. Dadurch verkürzen sich im Innern nicht nur die mittels Treppen, Brücken und Raumschluchten dramatisch inszenierten Kommunikationswege. Aus dieser Lösung resultierte auch eine zur Dimiheva-Strasse hin sich öffnende, nachts wie eine Landepiste erhellte Plaza, die zusammen mit dem Neubau den eigentlichen Kondensationskern des schnell sich wandelnden Quartiers mit seinen Ministeriums- und Fakultätsgebäuden bildet.

Anders als die auf Interaktion ausgerichtete Vertikalhalle wollen die spektakulären Fassaden des aus zwei unterschiedlichen Hälften bestehenden Hauses dem Unternehmen auch nach aussen hin einen effektvollen Auftritt garantieren: Der aus einer Eisenbetonkonstruktion bestehende, achtstöckige Bürotrakt besitzt eine glatte, nach Freud das «männliche» Prinzip verkörpernde Haut, die die Geschosszahl völlig verunklärt. Die halböffentliche Südseite besteht hingegen aus einem Stahlskelett, das sich zu einem chaotischen Stapel farbiger Kisten formt, wobei deren «weibliche» Auskragungen wohl unbewusst auch eine Reverenz an die Bauten Edvard Ravnikars, des Meisters der slowenischen Nachkriegsmoderne, darstellen.

Diese Mehrdeutigkeit auf formaler, materieller und konstruktiver Ebene, die im Innern des Gebäudes noch durch räumliche Durchdringungen gesteigert wird, zeugt ebenso wie die Freude am Effekt von der Innovationslust des Büros. Dass dabei Kontext und Tradition - auch in historischer Umgebung, wie etwa das Warenhaus in Ljubljana zeigt - untergeordnete Rollen spielen, ist typisch für eine Generation von Architekten, die sich im Zeichen des Retrokults wieder für die Tabula-rasa-Ästhetik der unsentimental zukunftsgläubigen Seventies begeistern kann. Wie dem auch sei: Als architektonische Vorreiter des neuen Ostens dürften Sadar & Vuga mit ihrem Schaffen künftig wohl noch für manche Überraschung gut sein.

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