Bauwerk

Sensei
Rainer Köberl - Innsbruck (A) - 2007
Sensei, Foto: Lukas Schaller
Sensei, Foto: Lukas Schaller
Sensei, Foto: Lukas Schaller
Sensei, Foto: Lukas Schaller

Unbunt und sattrot

Wenn Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese bilden: Rainer Köberls Sushi-Bar „Sensei“ in Innsbruck.

23. September 2007 - Franziska Leeb
Angesichts durchaus schwerwiegender architektonischer Probleme wie der Frage nach einer zeitgemäßen Moscheenarchitektur oder dem Beitrag der Architekturschaffenden zum Stopp des Klimawandels und in Anbetracht der Tatsache, dass heutzutage selbst die Kolleginnen von den Lifestyle-Magazinen kaum noch nachkommen, allen zeitgeistig „gestylten“ Gaststätten ihre Referenz zu erweisen, erscheint es womöglich nicht ganz angebracht, einer kleinen Sushi-Bar fast eine ganze wertvolle Seite im Wochenend-Feuilleton zu widmen.

Angesichts der Leidenschaft, mit der Bauherr und Architekt zugange waren, und in Anbetracht der Tatsache, dass im Innsbrucker „Sensei“ Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese eingehen, ist das aber wohl angemessen.

Bauherr Dil Ghamal stammt aus einer nepalesischen Goldschmiedfamilie und wurde von einem japanischen Lehrer in Deutschland zum Sushi-Meister ausgebildet. Die Innsbrucker verwöhnte er bereits in zwei anderen Lokalen mit köstlichem Sushi, ehe er sich trotz bescheidenen Startkapitals zur Selbstständigkeit entschloss. Als Architekt wählte er sich einen, der kulturellen Anspruch hat und die intellektuelle Auseinandersetzung sucht.

Architekt Rainer Köberl beeindruckte vor etwa einem Jahrdutzend damit, dass er Gebäude in Randlagen und für Randgruppen, wie ein Pflegeheim (Feldkirch-Nofels) oder ein Wohnheim für Haftentlassene (DOWAS, Innsbruck) als Orte des respektvollen Umgangs von hoher Kontemplation formulierte. Mittlerweile hat sich sein gebautes Repertoire erweitert, und man kann in von Köberl geschaffenen Konsumstätten in der Innsbrucker Innenstadt – vom M-Preis-Supermarkt am Hauptbahnhof über die Buchhandlung Wiederin am Sparkassenplatz, die neue Terrasse des Café Central bis hin zum Delikatessencafé in der Maria-Theresien-Straße und die ein Stück weiter ebendort gelegene Sushi-Bar „Sensei“ – gut und gerne einen ganzen Tag zubringen.

Am „Sensei“ läuft man untertags leicht vorbei, schließlich liegt das Lokal im ersten Stock, ausgerechnet über dem Lokal einer großen Fischimbisskette. Da dem roten Logo-Fisch der Nachbarn (der sowieso als gutes Orientierungszeichen taugt) schwerlich etwas entgegenzusetzen ist, was sich mit dem Ensembleschutz der gesamten Straße und dem guten Geschmack vereinbaren lässt, tritt das Sensei trotz gläsernem Erker nach außen optisch dezent in Erscheinung.

Oben angekommen, veranlasst der schmale Eingangsbereich mit seinen irritierend spiegelnden schwarzen Wänden dazu, das Tempo zu reduzieren, innezuhalten. Das Zelebrieren des Übergangs von außen nach innen ist eines der wichtigen Themen in diesem Lokal. Schon an der Schwelle wird es zu einer physischen Erfahrung, die darauf vorbereitet, dass das Gast-Sein im Sensei ebenso ritualisiert wird wie das Koch-Sein. Denn Schnelligkeit bringt Einbußen bei der Qualität mit sich, darin sind sich der Gastronom und sein Architekt einig.

Schwarz dominiert. Köberl mag diese unbunte Farbe und entlockt ihr immer wieder neue Facetten. Im Sensei dient sie ihm dazu, den Raum größer wirken zu lassen, was aufs Erste paradox erscheint. An Wänden und Decken wurde aus exakt verlegten Schichtstoffplatten sowohl dem (auch lüftungstechnisch bedingt) niedrigeren Eingangsbereich als auch der winzige Küche und dem Gastraum ein schimmerndes Kleid geschneidert. Schon allein daraus entsteht mit einem einfachen Gestaltungsmittel ein ergreifendes Stimmungsspiel zwischen Lichtund Dunkelheit, aber auch eine Plastizität, die zwar spürbar, aber aufgrund der verschwimmenden Raumgrenzen und -kanten schwer festzumachen ist. Untertags spiegeln sich in der Decke das Tageslicht und der Straßenraum, und nachts vervielfältigen sich darin die Kunstlichtakzente. Wenn es dunkel ist, erfährt auch der Bezug zum öffentlichen Raum neue Blickwinkel: Denn dann bildet sich die Betriebsamkeit des Lokals gut von der Straße aus sichtbar in bunten Reflexionen an der Decke ab. Gäste, Passanten und die mit hoher Aufmerksamkeit und Kunstfertigkeit produzierten Speisen steuern wichtige Farbakzente bei. Sorgfältige Materialvariationen fügen sich zum stimmigen Hintergrund. Das Lärchenholz am Boden und im Inneren des Erkers erfuhr eine aufwendige Behandlung, bis sich ein flirrendes Oberflächenmuster abzeichnete: Zuerst gebürstet, dann schwarz gebeizt, leicht geschliffen und danach lackiert, präsentiert sich die kräftig zum Vorschein kommende goldene Maserung als exotisch anmutendes Flammenornament. Schwarz-golden exotisch auch die Tische, die mit indischem Apfelholz furniert wurden.

Die 26 Plätze im Gastraum sind entlang der Wände linear angeordnet, einen besonders exponierten Tisch gibt es im Erker. Das wirkt übersichtlich und großzügig. Gut strukturiert zu sein ist wichtig in einem so kleinen, meist ausgebuchten Lokal. Mangels Keller oder eigenen Lagerraums bietet ein mit einem schwarzen Vorhang abgeschirmter Wandschrank gegenüber der Theke einen wohlüberlegt bestückten Stauraum. Sichtfenster in den Wänden zur Küche erweitern den Köchen optisch den Raum und gewähren den Gästen einen flüchtigen Blick auf den Herd. Einen edlen Akzent liefert der sattrote Samtvorhang, der an der Rückwand des Lokals das Entree zu den Toiletten abschirmt. Um die Noblesse nicht zu stören, wurde sogar auf gängige Damen-Herren-Symbole verzichtet und der Unterschied auf güldenen Metallplatten, in die ein beziehungsweise zwei kreisrunde Löcher eingestanzt sind, kenntlich gemacht. Schön und klar! Asiatisch?

Das Ausbilden von Schwellen zwischen Innen und Außen, der an japanische Lackarbeiten erinnernde Glanz der Oberflächen, die Farben – ja, das Lokal verströmt durchaus ein Flair, das man als „asiatisch“ bezeichnen könnte. Rainer Köberl, der selbst betont, sich nicht besonders intensiv mit der fernöstlichen Kultur auseinandergesetzt zu haben, vermied es aber, typische Elemente japanischer Architektur offensichtlich zu zitieren. Seine Anspielungen sind flüchtig und überschreiten nie jene Grenzen, wo der Architekt die Zügel aus der Hand gibt und zum Erzähler von nicht selbst erlebten Geschichten wird. Die Erzählungen von Rainer Köberl und Dil Ghamal hingegen berichten von einer höchst produktiven und kongenialen Kooperationen von zwei Meistern ihres Faches, die sich auf fremden Terrain mit sicherem Instinkt bewegen.

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