Bauwerk

Hauptsitz des Gyldendal Verlags
Sverre Fehn - Oslo (N) - 2007

Neubau hinter alter Fassade

Hinter der 100 Jahre alten Fassade des Gyldendal Verlags galt es, ein Konglomerat verschiedener Gebäudeteile zu entflechten und gleichzeitig mehr Mitarbeitern Platz zu bieten. Das Gebäude wurde entkernt, anstelle vieler kleiner Büros entstanden flexibel zu nutzende Großraumbüroetagen.

9. April 2008 - Clemens Bomsdorf
Architekturfans in Oslo dürften derzeit vermehrt in seltsamen Haltungen am Sehested Platz anzutreffen sein: Den Rücken ans Gebäude des Aschehoug Verlags gelehnt, die Köpfe nach oben gereckt und den Blick auf die andere Straßenseite gerichtet, stehen sie da. Denn nur in dieser Position ist zu erkennen, dass sich der gegenüberliegende Gyldendal Verlag einen neuen Hauptsitz gegönnt hat. Da der Denkmalschutz vorschreibt, dass die Fassaden im historischen Viertel von Oslo im ursprünglichen Zustand belassen werden müssen, dürfen Umbaumaßnahmen von außen nicht sichtbar sein. So sind die zusätzliche Etage und das neue Dach des rund 100 Jahre alten Hauptsitzes des Verlags von außen kaum zu erkennen.
Wie weit die baulichen Veränderungen tatsächlich gehen, wird nach dem Eintreten deutlich. Sobald die schwere Kupfertür des Haupteingangs – eines der Wahrzeichen des Verlags – elektrisch aufschwingt, wird der Blick in den Lichthof frei: Beeindruckend hell und großzügig ist das vollständig entkernte Gebäude mit dem lichtdurchfluteten Atrium. Bis zur vierten Etage erheben sich Galeriegeschosse mit Sichtbeton-Brüstungen – die Materialwahl soll absichtlich in starkem Kontrast zu den Baumethoden und verwendeten Materialien von vor 100 Jahren stehen. Die Decke besteht aus einem Betonraster mit 18 aufgesetzten Betonelementen in Pyramidenform, deren Spitze abgeschnitten und durch Glas ersetzt wurde.

Das Projekt, das dass Büro Sverre Fehn für den Gyldendal Verlag realisiert hat, ist eigentlich kein Umbau eines Bürogebäudes, sondern ein Neubau hinter alter Fassade. »Für uns konnte die Geschichte ein Hemmnis sein oder zu einer identitätsstiftenden Kraft werden«, beschreibt Verlagschef Geir Mork die mit dem Bau verbundene Herausforderung. Der ursprünglich aus Dänemark kommende Verlag – neben dem Aschehoug der bekannteste norwegische Buchverlag – hat seinen Sitz seit der Etablierung in Norwegen im Jahr 1925 zwischen Universitetsgatan und Sehested Platz. Es ist eine der ersten Adressen im Zentrum von Oslo, gegenüber liegt die Nationalgalerie.

Der Umbau ging mit einer Veränderung einher: Wegen eines Zusammenschlusses mit einem anderen Verlag arbeiten in dem Hauptsitz nunmehr knapp 300 Mitarbeiter statt wie zuvor nur 150. »Das bis vor einigen Jahren hinter der Fassade existierende Gebäude bestand ursprünglich aus mehreren Häusern, die Gyldendal nach und nach gekauft hat. Es hatte viele Treppen und Korridore sowie lauter Einzelbüros«, sagt Kristoffer Moe Bøksle, der den Bau als Projektarchitekt für Sverre Fehn betreut hat. Das »neue« Gyldendal Haus wurde Ende 2007 bezogen, Anfang März wurde in Oslo ein weiterer Fehn-Bau eröffnet, das Architekturmuseum in einem umgebauten Bankgebäude. Bøksle hat mittlerweile mit zwei Kollegen von Sverre Fehn ein eigenes Architekturbüro gegründet, das unter dem Namen Kima Arkitekter firmiert. Fehn selber wird dieses Jahr 84, arbeitet aber immer noch in seinem Büro mit. Er ist international wohl am ehesten für den nordischen Pavillon auf dem Biennale-Areal in Venedig bekannt.

Entflechtung des Labyrinths

»Es war ein Labyrinth, und immer wieder erzählte man sich Geschichten von verwirrten Schriftstellern, die sich darin verlaufen haben«, sagt Bøksle über den alten Verlagssitz. Wie anders die Übersichtlichkeit, die der Neubau mit sich bringt. Dank des Lichthofs und der Großraumbüros, die bis an die als Flure dienenden Balkone heranreichen, muss keiner der Angestellten von seinem Arbeitsplatz mehr als ein paar Schritte gehen, um die verschiedenen Einheiten des Verlags zu überblicken: Im Erdgeschoss sind außer dem Eingangsbereich mit Rezeption noch vier Konferenzräume, Sanitäranlagen, die Cafeteria und das Auditorium angesiedelt. Hier sollen künftig Lesungen und andere Veranstaltungen stattfinden, um die Käufer von Gyldendals Publikationen mehr mit dem Haus zu verbinden. Die erste, zweite und dritte Etage sind die Hauptarbeitsbereiche und ähneln einander vom Aufbau her. Dort sind je rund 80 Personen in Großraumbüros untergebracht, daneben etwa zehn Büros für ungestörtes Arbeiten sowie drei große Konferenz- und zwei kleine Kopierräume. Die oberste Etage besteht zu einem großen Teil aus einer Dachterrasse sowie – meist über kleinere Räume verteilt – Arbeitsplätzen für weitere 50 Mitarbeiter. Die Großraumbüros überzeugen vor allem, weil sie nur so vielen Mitarbeitern Platz bieten, dass sie trotzdem überschaubar bleiben. Auf den zur Verfügung stehenden Flächen arbeiten je nach Größe der Abteilung nur drei bis fünfzehn Leute. Die Hektik eines Großraumbüros kommt deshalb gar nicht erst auf. Will man in völliger Ruhe arbeiten oder sich mit einigen Kollegen zu einer Besprechung zusammensetzen, ist der Weg zum nächsten abgetrennten Raum oder Konferenzzimmer nie weit. Die Konferenzräume haben eine gläserne Front. Sollte ein konferierender Kollege dringend gebraucht werden, ist er schnell erreichbar und kann per Handzeichen herausgerufen werden, ohne dass die anderen gestört werden. Nachteil der Großraumlösung ist allerdings, dass – wie meist bei solchen Bürokonstellationen – Licht und Luft nur bedingt individuell reguliert werden können. Zwar können die am Fenster platzierten Kollegen diese öffnen, das aber stört die Ventilation. Die einzige Möglichkeit, andere Lichtverhältnisse zu schaffen als der Nachbar sie hat, geht über die eigene Schreibtischlampe.

Verweis auf die VerlagsGeschichte

Beim Blick von einem der Balkone fällt sofort das im Lichthof stehende »Danskehuset« (das dänische Haus) ins Auge. Es handelt sich um die im Originalmaßstab nachgebaute Front des Verlagshauses Gyldendal in Kopenhagen, wo das Unternehmen seine Wurzeln hat. »Als Verlagschef Mork sich die ersten Male mit Sverre Fehn traf, kamen die beiden auf die Idee, dass das neue Haus ein Stück von Gyldendals Historie enthalten sollte, indem die Fassade im neuen offenen Raum gezeigt wird«, sagt Camilla Frølich, die das Bauprojekt von Verlagsseite her betreut hat. Nun steht die Kopie der alten Eingangspartie im Erdgeschoss. Bereits vor dem Umbau hatte im Osloer Büro eine rund hundert Jahre alte Kopie der Fassade gestanden. Die jetzt errichtete ist allerdings neu und das sieht man ihr auch an. Die Front ist beinahe klinisch rein. Der Nachbau erinnert daher leider ein wenig an jene Wohnhäuser, die versuchen, mit ein paar Säulenelementen an klassische Baustile anzuknüpfen. Die Aufgabe, an die Geschichte des Verlages zu erinnern, erfüllt die Kopie aber. Als Neubau fällt sie zudem in dem neuen Lichthof weniger auf als es die alte Fassade getan hätte. Die Angestellten werden die die Historie des Hauses symbolisierende Kopie deshalb zwar ständig wahrnehmen, sie aber nicht als Fremdkörper empfinden.

Dem Büro Fehn ist ein funktioneller und ansprechender Bau gelungen, der es den Verlagsmitarbeitern dank der durchdachten Büroaufteilung erleichtert, miteinander zu arbeiten ohne einander zu stören. Der im inneren dominierende Sichtbeton steht in einem interessanten Kontrast zu der historischen Fassade. Dennoch: Das Danskehuset im Atrium wirkt etwas fehl am Platze.

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Für den Beitrag verantwortlich: deutsche bauzeitung

Ansprechpartner:in für diese Seite: Ulrike Kunkelulrike.kunkel[at]konradin.de

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