Bauwerk

Kunsthaus Zürich - Erweiterungsbau
David Chipperfield - Zürich (CH) - 2020
Kunsthaus Zürich - Erweiterungsbau, Foto: NOSHE
Kunsthaus Zürich - Erweiterungsbau, Foto: NOSHE

Steinkiste für die Kunst

Der Londoner Architekt David Chipperfield gewinnt den Wettbewerb für die Erweiterung des Zürcher Kunsthauses.

9. November 2008 - Gerhard Mack
Das neue Kunsthaus ist kein lichter Kristall, der in die Stadt ausstrahlt, sondern ein steinerner Quader, der sich nach aussen abschliesst und selbst da, wo grosse Fenster die Fassade öffnen, das gemauerte Kleid mit einem Stabwerk fortsetzt. So sieht es der Entwurf vor, mit dem David Chipperfield am Freitag den Wettbewerb um die Erweiterung des Kunsthauses Zürich für sich entscheiden konnte. Auf den beiden Computerbildern, die uns vorliegen, markiert der im internationalen Museumsbau erfahrene, 1953 in London geborene Brite mit einem wuchtigen Bau den Strassenraum. Während der Heimplatz sich vorher in das Areal vor der alten Kantonsschule mit den beiden bis vor kurzem geschützten historischen Kunsthallen verflüchtigte, wird nun zwischen dem bestehenden Gebäude-Ensemble des Kunsthauses und dem Erweiterungsbau erstmals wirklich ein städtischer Ort skizziert.

David Chipperfield hat dieses Anliegen selbst in einem Gespräch mit dieser Zeitung hervorgehoben: «Für uns bestand die grösste Herausforderung darin, ein Gebäude zu entwerfen, das selbstverständlich die Anforderungen eines erstklassigen Museums erfüllt, das vor allem jedoch einen Bezug herstellt zu dem Platz davor und dem Park dahinter. Das Museum ist ein öffentliches Bindeglied.» Auf der Computersimulation für den Wettbewerb ist diese Idee, mit dem Neubau einen öffentlichen Ort zu schaffen, noch dadurch verstärkt, dass die Fahrstrasse, die derzeit das Kunsthaus von der Pavillon-Insel trennt, aufgehoben und die Fläche als durchgehender Platz gestaltet ist.

Dialog der Bauten

Chipperfield weiss, dass das Zukunftsmusik ist: «Die Vorgaben für den Wettbewerb forderten ganz klar, dass der Entwurf realisierbar sein muss ohne eine Veränderung der Verkehrssituation.» Gleichwohl deutet der Architekt darauf hin, dass «in längerer Sicht mit dem Platz etwas geschehen muss; der Verkehr muss reduziert oder ganz verlegt werden, damit ein urbaner Ort entstehen kann».

Diesem Ziel dient auch der Dialog des geplanten Erweiterungsbaus mit dem vorhandenen Gebäude. Dazu wollten die Architekten zum einen «dem neuen Gebäude eine palazzo-ähnliche Präsenz am Platz geben», sagt Chipperfield. Zum anderen tritt neben diese Anspielung an den Bautyp der italienischen Renaissance die Orientierung an Karl Mosers historischem Gebäude, dem der Londoner Architekt eine «starke eigene Qualität und Identität» zubilligt. «Wir haben direkte Bezugnahmen vermieden, wir verwenden aber einen ähnlichen Stein und versuchen eine Balance zwischen Massivität und Öffnung herzustellen, wie sie für das bestehende Gebäude charakteristisch ist.»

Die klotzartige, auf den Animationsbildern fast erdrückende Masse des Erweiterungsvorschlags, seine betonte Wendung nach innen, versteht Chipperfield als zeitgemässe Interpretation des Moser-Baus, die auch praktische Anforderungen berücksichtigt: «Museen tendieren dazu, geschlossene Orte zu sein, sie wollen die Kunstwerke beschützen; wir versuchen, dieses Bedürfnis mit Offenheit zu verbinden und zugleich auf Gewicht und Masse des bestehenden Baus Rücksicht zu nehmen.» Dieser Öffnung sollen grossformatige Fenster, ein grosszügiger Eingangsbereich und eine Café-Bar zum Heimplatz hin dienen.

Neben dem visuellen Dialog der Gebäude gibt es auch eine reale, unterirdische Verbindung. Sie ist «sehr knapp und direkt» gehalten, so wie die Ausschreibung es verlangte. Ausstellungsräume sind unter dem Heimplatz nicht vorgesehen. «Es sollte wohl nicht zu viel Geld unter der Erde verbaut werden», vermutet Chipperfield.

Das Kunsthaus erhält mit dieser Erweiterung keinen spektakulären Bau. Der Heimplatz wird nicht durch ein Stück ikonische Architektur gekrönt, um dessentwillen Touristen aus aller Welt anreisen werden. Das war, sofern sich Stadt und Kunsthaus überhaupt dazu geäussert haben, auch nicht beabsichtigt. Der Entwurf Chipperfields bietet – den Animationen nach – eine in ihrer Wucht selbstbewusste, in ihren vielen Bezugnahmen jedoch zugleich auch bescheidene Architektur.

Zurückhaltung

Der Brite hat diese Haltung des Understatements in anderen Materialien bereits in Entwürfen für das Folkwang-Museum in Essen, in seinem Masterplan für die Museumsinsel in Berlin sowie in dem Glashaus am Mississippi für das Figge Art Museum in Davenport (Iowa) entwickelt. Am nächsten kommt dem Zürcher Entwurf das Ensemble aus steinernen Kuben für das Liangzhu-Kultur-Museum in China.

Zurückhaltung und Nüchternheit ist dem pragmatischen Geist Zürichs vielleicht auch angemessen. Visionen, herausragenden Setzungen begegnet man hier ohnehin mit Skepsis. Chipperfield hat das wohl gewusst; sein Entwurf fürs Kunsthaus vermeidet ebenso die auratische Aufladung, die er seinem Literaturmuseum der Moderne in Marbach mitgegeben hat, wie auch das Mondäne seiner mehrgeschossigen Schaubühne «Veles et Vents» für den America's Cup in Valencia. Was er vorschlägt, ist die bekannte Schweizer Kiste in Stein statt Beton.

Es wird interessant sein, zu sehen, wie sich Chipperfields Entwurf zu den Überlegungen verhält, welche die anderen 19 Bewerber angestellt haben, die im Frühjahr aus den 214 Teilnehmern der Präqualifikation ausgewählt wurden. Unter ihnen befanden sich so renommierte Bewerber wie Caruso St. John Architects aus London, Luis Mansilla & Emilio Tuñón und Josep Lluis Mateo aus Spanien sowie die Schweizer Diener & Diener, Gigon/Guyer und Meili & Peter. Alle 20 Projekte werden ab 15. Dezember der Öffentlichkeit vorgestellt. Erst dann lässt sich Chipperfields siegreicher Vorschlag über den ersten Augenschein hinaus beurteilen.

Immerhin war zu erfahren, dass die Qualitätsdichte der eingereichten Entwürfe so hoch war, dass die Jury mehrmals tagen musste. «Wir hatten sehr viele gute Projekte, die Jury hat des-halb sorgfältig diskutiert», sagte Urs Spinner vom städtischen Hochbaudepartement. Bis letzten Freitag konnten fünf Projekte ausgewählt werden, die den Erwartungen besonders entsprachen, so Björn Quellenberg, der Pressesprecher des Kunsthauses. Von diesen hoben sich wiederum zwei positiv ab. Wer im Kopf-an-Kopf-Rennen Chipperfield unterlag, war nicht zu erfahren. Der Engländer sei jedoch, so Spinner, «mit grosser Mehrheit gewählt» worden, und man sei auch seitens der Stadt «von der Qualität des Projekts überzeugt».

Wenn im Dezember die Diskussion um Chipperfields Erweiterungsprojekt mit der Wettbewerbspräsentation eröffnet ist, wird sich auch zeigen, welche Realisierungschancen es hat. Der Neubau soll 150 Millionen Franken plus Teuerung und die übliche Schwankungsbreite von 10 bis 15 Prozent kosten, die Hälfte will man privat, die andere Hälfte soll die öffentliche Hand erbringen. Eine Entscheidung über diesen Beitrag muss vors Volk. Das wird sich bei aller Liebe zur Kunst überlegen, ob es in der sich abzeichnenden Weltwirtschaftskrise zustimmt und unter welchen Bedingungen. Der Heimatschutz wird gegen den Abbruch der inzwischen aus dem Inventar geschützter Bauten entlassenen Turnhallen mobilisieren. Welchen Status die private Sammlung Bührle, die Chipperfield von aussen bruchlos ins Ganze einbindet, in der Kunstsammlung des Zürcher Gemeinwesens einmal einnehmen soll, ist der Öffentlichkeit bis dato ebenso unbekannt wie die interne Bespielung von Alt- und Neubau. Christoph Beckers flapsige Andeutung von vor einiger Zeit, das nicht Genehme (unter anderem die Schweizer Kunst) im alten Komplex zu versorgen und den Neubau als Plattform für grosse Auftritte zu nutzen, kann wohl nicht das letzte Wort gewesen sein.

Der Direktor würde damit zumindest beiseite setzen, was David Chipperfield bei seinem Entwurf zentral ist: den Dialog zwischen dem bestehenden Gebäudekomplex und seiner Erweiterung so sorgfältig auszutarieren, dass keiner dem anderen die Schau stiehlt. Der Masterplaner der Berliner Museumsinsel sieht, dass die Zukunft des Kunsthauses in einem Ensemble liegt, das den Heimplatz in einen grossen öffentlichen Raum, in ein urbanes Kulturforum einbindet. Dieses Potenzial nicht auch programmatisch zu nutzen, wäre eine vertane Chance.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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