Bauwerk

Oberes Alpgut
Peter Kunz - Winterthur (CH) - 2008

Das Fenster zum Wald

Peter Kunz hat in Winterthur einen neuen Haustypus gebaut: Die Reihenvilla mit Sicht in den Wald.

25. Februar 2009 - Roderick Hönig
Beim «Oberen Alpgut» handelt es sich nicht um irgendein Grundstück, sondern um eine einzigartige Bauparzelle am Fusse des Goldenbergs, dem Zürichberg von Winterthur, zu der ein 10 000 Quadratmeter grosser Privatwald gehört. 1789 erwarben das Anwesen die Vorfahren der Familie Sulzer, der Winterthurer Industriellendynastie. Sie machten den Ort mit traumhaftem Blick über die Stadt zu einem ihrer Familiensitze. Und wie es sich für eine industriellenfamilie gehört, ist der Wald nicht Nutzforst, sondern ein romantischer Park, in welchem der Gartenarchitekt Ewartiste Mertens ab 1880 Spazierwege und Lichtungen, eine Steinbrücke und Sitzplätze anlegen liess. Soweit die Vorgeschichte.

Mitte der Neunzigerjahre beschlossen die Nachfahren, das «Obere Alpgut» weiterzuentwickeln. Der Architekt Peter Kunz hörte das, nahm Kontakt auf und machte, was Architekten in so einem Fall tun: ein Projekt. Kunz schlug vor, die einzelnen Parzellen, welche die weit verstreuten Familienmitglieder verkaufen wollten, nicht stückweise, sondern einmalig und grossflächig zu entwickeln. Tatsächlich konnten sich die Sulzer-Nachfahren darauf einigen, sodass Kunz 2001 die erste Skizze zeichnete und 2004 einen privaten Gestaltungsplan für acht Villen und die Umnutzung des ehemaligen Ökonomiegebäudes einreichte.

Unerwarteter Entwurf

Der Winterthurer Architekt, der bis anhin vor allem mit exklusiven Villen auffiel, reagiert städtebaulich unerwartet und originell auf den besonderen Ort. Sein Entwurf besteht aus einem dichten, eingeschossigen Bungalowkonglomerat. Es sind aneinandergereihte Wohneinheiten, die sich jeweils zwischen zwei weit in die Landschaft und den Wald greifenden Trennwänden Fotos Seite 48 entwickeln.
Kunz plant das Ensemble um den alten Baumbestand herum und lässt auch das ehemalige Ökonomiegebäude stehen, heute der älteste Bau auf dem Gelände. Baurechtlich möglich und sicherlich einfacher in der Vermarktung und dem Verkauf gewesen wären mehrere zweigeschossige und freistehende Villen oder Mehrfamilienhäuser. Doch die Idee des Architekten überzeugt nicht nur durch die subtile Einbettung in den Waldpark, sondern auch durch ihre Flexibilität — was sich vor allem in der Verkaufsphase als Vorteil entpuppte: Denn ob der Abstand zwischen den neun Trennmauern grösser oder kleiner ist — das Prinzip, die hohe Privatsphäre und die Wohnqualität bleiben gleich.

Ungewöhnliche Nordzimmer

Bei der Orientierung der Wohnräume schlägt Kunz noch einmal einen unerwarteten Haken. Er richtet alle Wohn- und Esszimmer gegen Norden aus, also gegen den Wald. Denn Kunz war von Anfang an überzeugt, dass der einzigartige Blick in den Privatwald der Trumpf der Häuser ist. Als seine Pläne öffentlich wurden, rümpfte die Winterthurer Architektenszene die Nase und begrub das Projekt schon vor dem Spatenstich: Eine Villenanlage mit Verkaufspreisen von bis zu 3,4 Millionen Franken in Winterthur, deren Haupträume sich — besonders an einem Ort, der sich durch seinen Panoramablick über die Stadt auszeichnet — gegen Norden und den Wald orientieren, finde keine Käufer, so der Tenor.

Doch heute ist klar, dass die «verkehrte» Orientierung des Oberen Alp­guts eine Qualität ist: Der Blick aus dem Wohnzimmer geht mit dem Licht und untermalt die Interpretation des Grundstücks als begehbares Bild: In der Abendsonne leuchtet der Waldpark und wird zum begehbaren Gemälde. Nur konsequent ist dann die klare Trennung der Räume in einen Tages- und Nachtbereich. Die Schlaf- oder Arbeitszimmer liegen auf der Südseite und sind auf einen klösterlich ummauerten Innenhof orientiert.

Zwischen dem Tag- und Nachtbereich liegt eine Raumschicht mit den Bädern, der Sauna und den Nebenräumen, durchsetzt von mediterran anmutenden, begehbaren Lichthöfen.

Unschlagbares Innen-Aussen

Und das Raumerlebnis? Was auf dem Plan aussieht wie eine profane Reiheneinfamilienhaus-Siedlung, entpuppt sich bei der Begehung auch räumlich als spannend. Es ist ein anspruchsvolles «Innen-Aussen-Innen»-Raumgewebe. Es gibt zwei Haustypen, drei 15 Meter breite Bungalows und fünf acht Meter breite Einheiten mit einem zusätzlichen Sockelgeschoss. Das halb in die Erde gegrabene Geschoss der schmalen Einheiten ist ein Patzer im überzeugenden «Alle-Wohnräume-gehen-fliessend-in-die-Landschaft-über»-Konzept. Ein Zugeständnis an die Wirtschaftlichkeit, wie Kunz zugibt, der nicht nur Architekt, sondern auch Projektentwickler war.

Die Rauminszenierung ist dramatisch und wirkungsvoll: Hinter den schweren Eichenholztüren öffnet sich eine sinnliche, abgeschlossene Welt aus Licht und Raum. Ein weisser Gang führt entlang abgestufter Deckenflächen und eleganter, indirekter Oberlichter zickzackartig in die offene Wohn-, Ess- und Küchenlandschaft auf der Waldseite. Erst hier gewährt der Architekt dem Auge wieder Raum zum Schweifen, das dafür grosszügig. Die Überraschung gelingt: Eine breite Glasfront gibt den Blick auf den romantischen Waldpark frei. Die Architektur lässt einen förmlich in die Natur eintauchen. Die Übergänge sind sorgfältig gestaltet und darauf ausgelegt, dass sie möglichst fliessend sind: Schiebt man die Gläser in ihren schweren Eichenrahmen zur Seite, geht der Innenraum nahtlos in die weitüberdachte Terrasse über. Diese schliesst direkt an den privaten Garten zwischen den gelblichen Betonmauern an, die weit in den Park hinausreichen. Draussen verliert sich der Park dann im gemeinschaftlichen Wald.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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