Bauwerk

Feuerwehr- und Kulturhaus
Cukrowicz Nachbaur Architekten, Siegfried Wäger - Hittisau (A) - 2000
Feuerwehr- und Kulturhaus, Foto: Hanspeter Schiess
Feuerwehr- und Kulturhaus, Foto: Hanspeter Schiess

Wälderwagnis mit Stadtstolz

Die Vorarlberger Baukünstlerszene erneuert sich in Generationenschüben. Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm haben rasch eine dominante Position erreicht. Ihr Feuerwehr- und Kulturhaus in Hittisau: ein Leistungsbeweis aus dem Bregenzerwald.

11. August 2001 - Walter Chramosta
Wir betrachten den Ort. Wir sprechen von den Beziehungen zu seinem Umfeld. / Sägewerk, Straße. Zentrum, Tobel. / Über seine topographischen und sinnlichen Eigenschaften, / über verwendete Materialien, über vorhandene Vegetation. / Waldnähe und weite Landschaft. // Bilder von alten Bauernhäusern entstehen in unseren Gedanken. / Beim näheren Betrachten entdecken wird deren Eigenheiten. / Elemente, die dem Ankommen dienen, / dem Aufenthalt und der Kommunikation. / Und jene Bereiche, die schützen, bergen, Intimität zulassen . . . // Unser Fühlen, unser Verstehen wurzelt in der Vergangenheit . . . / Wir greifen in eine bestehende Situation ein und verändern einen Ort. / Wir wollen ein Haus bauen, / das selbstverständlicher Teil der Umgebung wird. / Ein Haus mit Eigenschaften, Ausblicken und Stimmungen."

Solchen Klartext sondert die architektonische Praxis selten ab: Nachvollziehbare Entwurfsgedanken von Andreas Cukrowicz und Anton Nachbaur-Sturm zu ihrem jüngsten Werk deuten eine neue Ära an. Eine rasch selbstgeschulte, publizitätsbewußtere Generation von Architekten beginnt das professionelle Feld zu beherrschen. Die relativ homogene, nie von Starkulten im Wiener Ausmaß zerfressene Vorarlberger Szene verträgt neue Meinungsführer.
Es eröffnen sich von den Entwerfern selbst getragene Kommunikationsebenen zu den Bürgern, nicht zuletzt radikalisiert sich der baukünstlerische Disput - in einer Sphäre des Baubooms und der Theoriedefizite durchaus kein Fehler. Zu den leicht erkennbaren Eigenarten der Vorarlberger Baukultur gehört es, bei der Systemerhaltung und -entfaltung autark zu sein: Das gut geölte System aus Bauherrn, Architekten, Ingenieuren, Handwerkern, Bauindustrie und Behörden produziert ohne politischen Auftrag und institutionellen Überbau fortlaufend evolutionär weiterentwickelte architektonische Qualität, die sich als vermarktbar erweist.

Sogar der Generationenwechsel unter den Architekten funktioniert, wenn auch manchmal aufkeimende zart revolutionäre Tendenzen als geschäftsstörender Systemfehler abgetan werden. Junge Kräfte treten unmittelbar in die Praxis ein, nehmen die Stufen der Architektenkarriere konjunkturbedingt stetiger und schneller als in anderen Bundesländern. Die Erfolgsgründe in der letzten Zeit: die gute Baukonjunktur, eine große Zahl an Wettbewerben während der neunziger Jahre für öffentliche Bauaufgaben, eine hohe Dichte an gezielten Direktvergaben durch qualitätsbewußte Bauherrn im privaten wie halböffentlichen Sektor, das Fehlen einer landesbezogenen Architekturfakultät, die den Nachwuchs zwingt, in horizonterweiternder Fremde Fach, Stadt, Land und Leute zu studieren, die jahrzehntelange Vorarbeit der Baukünstler.

Die Entwicklung von Cukrowicz, geboren 1969 in Bregenz, und Nachbaur-Sturm, geboren 1965 in Bludenz, (C/NS) zu ei- nem führenden Architekturbüro, das grob der zweitjüngsten Baukünstlergeneration in Vorarlberg zuzurechnen ist, hat also eine äußere Logik. Der ebenso maßgebenden inneren Erfolgslogik sei mit Vermutungen über ih-
re wichtigsten architektonischen Bestrebungen nachgespürt.

1. Das Tempo halten: Was als schneidiger Bildungsgang 1992 mit Wettbewerbsbeiträgen neben dem Studium im Wiener Wohnzimmer begann, findet nun in einem kleinen Atelier in Bregenz professionalisiert statt. Ein direkt aufeinander bezogen arbeitendes Team mit persönlicher Einlassung auf alle Büro- und Baustellentätigkeiten. Die Chefs befassen kaum Mitarbeiter, eher kongeniale Partner auf Zeit. Hohe Arbeitsintensität, geringe Freizeit und häufige Grenzanstrengung sind Dauerbegleiter. Der sichtbare Ertrag ist die völlige Durchdringung der architektonischen Materien.

2. Den Bestand auslesen: Die Entwürfe von C/NS wurzeln in konkreter Geschichtskenntnis - über die Aufgabe, den Bauplatz, den Bauherrn, die Nutzer et cetera. Architektur entsteht für C/NS nie auf einer Tabula rasa, was mancher ihrer Baukörper nahelegen mag, sondern aus den vorgefundenen Spuren.

3. Die Gedanken terrassieren: Aus der intensiven Ortslektüre leiten C/NS im internen Gespräch eingehende Entwurfs-optionen ab, ohne gleich zu visualisieren - eine lange Annäherung an dann rasch konkretisierte Entwürfe.

4. Den Ort stimmen: Entwurfsprozesse bei C/NS nähern sich vorsichtig dem Ort an, aber das Entwurfsprodukt will dann den Ort beherrschen, umformen, umstimmen.

5. Das Gelände schichten: Eine der die Arbeit auszeichnenden Techniken ist das Ausnützen von Höhenunterschieden am Bauplatz zur sinnstiftenden Organisation des Raumprogramms, die topologische Bindung.

6. Die Figur schließen: Die Architekturgestalten von C/NS tendieren, noch über das Regionaltypische hinausgehend, mehr zu Kompaktheit, zu Einfachheit, zu Binnenmustern und Aus-
sparungen statt zu Zerfaserung oder Ausstülpung.

7. Das Äußere kompaktieren: Sofern ihre Baukörper den Freiraum inniger einbeziehen wollen, setzen C/NS zunehmend gestische Bauelemente zur fernwirksamen Fassung des Außenraums ein - Faltungen, Kantungen, Raumborten.

8. Das Signal geben: Keines der Projekte von C/NS verzichtet auf die Ankündigung seiner Zwecke, auf die Behauptung der in Vorarlberg nicht immer wichtig genug genommenen städtebaulichen Zusammenhänge. Zentripetalkraft kommt ins Siedlungsgefüge!

9. Das Innere verflüssigen: C/NS interpretieren funktionale Vorgaben so frei wie möglich, fassen Funktionen auf radikale Art zusammen, im Sinne über-lagerter Nutzungen, optisch assoziierter, aber nicht immer funktional zusammenwirkender Räume.

10. Die Aufmerksamkeit drehen: In den Nutzungszonen konstruieren C/NS mit paradoxen Brüchen in der Gerichtetheit von Räumen, mit wechselnden Lichteinfällen und Blickausfällen in oft lapidaren Grundrissen komplexe Raumwirkungen.

11. Den Raum dominieren: Fließend angelegte Großräume erhalten Spannung durch nützliche Störgrößen, gewissermaßen spielen C/NS städtebauliche Kategorien von der Beziehung urba- ner Solitäre im Innenraum aus.

12. Das Material purifizieren: Die Bauten zeigen und die Entwürfe versprechen fortschreitende Materialkonstanz und - über das Landläufige hinaus - Signifikanz. Weniger eingesetzte Baustoffe, aber mehr Spielarten in Feintextur und Veredelung.

13. Die Konstruktion auflösen: Die tektonischen Notwendigkeiten werden raumimmanent, die Tragwerke gehen in den Raumhüllen auf.

14. Die Vorbilder klären: Die digitale Plangraphik und Bildsprache von C/NS ist knapp, zeitgenössisch und hinreichend als Anschub zu Ansatztransparenz und Anmutungserwartung.

15. Den Subtext beherrschen: Kaum muten sich Architekten sogar das Poetische anreißende Aussagen über ihr Tun zu. C/NS haben wiederholt ihrem nicht nur auf das Wort gemünzten Bekenntnis „Die Zahl der Sätze reduzieren, nicht die Aussage“ Text folgen lassen.

Das eingangs geschilderte und die genannten Bestrebungen exemplarisch ausführende Objekt ist das Feuerwehr- und Kulturhaus im Bregenzerwald. Nach dem hier schon rezensierten Veranstaltungszentrum Cubus in Wolfurt, dem Einfamilienhaus Hein in Fraxern und dem Wohnhaus der Lebenshilfe in Feldkirch ist das der vierte und reifste Bau von C/NS. Ihre schlüssige Schichtung von eigentlich schwer mit dem Stützpunkt der Freiwilligen Ortsfeuerwehr zu vereinbarendem Stadt- saal samt Probelokal der Bürgermusik und Ausstellungszentrum überzeugte 1998 die Wettbewerbsjury. Bestechend die Situierung am Rand eines steil abfallenden Tobels und die differenzierende Materialwahl: Die Feuerwehr fährt von der Hauptstraße in ihren aus Beton, verzinktem Stahl und Glas gefertigten Gebäudesockel; ein Geschoß höher und um neunzig Grad gedreht, öffnet sich der in unbehandelter, heimischer Weißtanne ausgeführte Kulturbereich zum Dorfzentrum.

Der haptisch besonders ansprechende Holzbau atmet die regionale Handwerkstradition, der perfekt ausgeführte Sichtbetonbau verspricht kompetente Hilfeleistung der Gemeinschaft. In der zergliederten Wäldergemeinde so einen ortsstimmigen und zugleich städtisch wirkenden Bau aufzuführen, der den handwerklichen wie gesellschaft- lichen Rahmen restlos in gute Architektur überführt, zeigt deutlicher als viele Arbeiten im urbanisierten Rheintal: Die Vorarlberger Szene hat nicht nur Spitzenkraft zur Statuspflege, sondern auch zu schärfenden Thesen in Wort und Tat.

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