Bauwerk

Rolex Learning Center
SANAA - Lausanne (CH) - 2009
Rolex Learning Center, Foto: Hisao Suzuki
Rolex Learning Center, Foto: Hisao Suzuki

Der Kraftakt zum Wohlgefallen

«Seht her!», ist die architektonische Mitteilung des EPFL-Learning Centers in Lausanne. Der Umgang mit dem neuen Raumerlebnis will noch erlernt sein.

15. April 2010 - Axel Simon
Der Raum des «Learning Centers» ist neu. Wir kennen keinen gleichartigen. Doch was wir zur Genüge kennen, sind die Mechanismen der «iconic buildings»: Der Auftraggeber bestellt bei einem «Stararchitekten» kein Gebäude, er bestellt globales Medieninteresse. Die gebauten Räume werden den visuellen Versprechungen, die schon zum Wettbewerb gemacht werden, nur selten gerecht. Patrick Aebischer, Neurologe und seit zehn Jahren Präsident der EPFL, macht aus seiner Strategie keinen Hehl. Spricht er vom Architekturwettbewerb, den er 2004 für das «Learning Center» initiierte, so fehlt ein Hinweis nie: dass sich unter den zwölf geladenen Architekturbüros fünf Pritzkerpreisträger befanden. Ein «Nobelpreis der Architektur» müsse her, da mit die EPFL internationale Forschergrössen nach Lausanne locken kann, die wiederum für den lang ersehnten «richtigen» Nobelpreis sorgen würden. Gewonnen haben den Wettbewerb die Japaner SANAA (Kazuyo Sejima und Ryue Nishi zawa) — keiner der Pritzkerpreisträger, aber ein Büro, das mit seinem Lausanner Werk diesem Preis einen grossen Schritt näher gekommen ist. So geht das Spiel namens «How to be a Star».

Rolex zahlt Mehrwert

Die globale Medienaufmerksamkeit gehörte also zum Programm und die Rechnung des EPFLPräsidenten ging auf: Das filigrane Modell des Siegerentwurfs betörte nicht nur die Jury, sondern auch die Chefetage von Rolex. Zusammen mit weiteren Sponsoren steuerte die Uhrenfirma 50 Millionen der 110 Millionen Franken Baukosten bei, weshalb der Bau nun offiziell den Namen «Rolex Learning Center» (RLC) trägt. Der Bund, als Betreiber der EPFL, bezahlte mit 60 Millionen ungefähr so viel, wie ein konventioneller Bau kosten würde.

Den üppigen Raum und die aufwendige Konstruktion zahlen also die Sponsoren, und somit trägt sich die mediale Aufmerksamkeit selbst. Das RLC ist jedoch nicht nur das neue mediale Gesicht der EPFL. Es ist auch eine wissenschaftliche Bibliothek mit 500 000 Bänden (ein Viertel davon im Hauptgeschoss, der Rest im Untergeschoss zugänglich) und 700 Arbeitsplätzen, mit Büros und Archiven, mit Räumen des Hochschulverlags und von Craft, einem Labor, das neue Lerntechnologien erforscht und zukünftig direkt im RLC testen will.

Neben dem Auditorium locken ein Restaurant, Cafés und eine Buchhandlung mit Kiosk auch Auswärtige auf den Campus. Das Haus will nicht nur die kreative Zusammenarbeit der Disziplinen fördern, sondern es soll auch der Ort sein, an dem die Hochschule ihre Gäste empfängt. Ineinanderfliessende Räume des Austauschs und des Treffens, von sieben Uhr früh bis Mitternacht geöffnet. Kann die gebaute Realität diesen Erwartungen überhaupt gerecht werden? Und ihrem medialen Bild?

Schwächen und Stärken

Der erste Plan des Campus ist von Zweifel, Strickler und Partner und stammt aus den Siebzigerjahren. Der rund 170 auf 120 Meter grosse, flache Neubau breitet sich südlich seiner strukturalistischen Vorgänger aus. Dort beansprucht der eingeschossige Solitär einen Grossteil der Landreserve der Hochschule siehe HP 4 / 07. Von der Metrostation im Norden müssen sich Ortsunkundige ihren Weg durch das ineinandergreifende Flickwerk der bisherigen drei Bauetappen bahnen. Das Haus, über das momentan die Welt spricht, erscheint zunächst überraschend plump. Der Schwung, mit dem sich das einzige Geschoss noch im Wettbewerbsmodell hoch und nieder wölbte, ist, um den Faktor 500 vergrössert, weitaus weniger betörend. Der reizvolle Blick von weit oben, der schon einige Beschreibende zu Käseanalogien verführt hat, bleibt Hobbyfliegern vorbehalten. Die Stärken des RLC zeigen sich auf dem Weg zum Eingang, der überraschenderweise im Zentrum des Gebäudes liegt.

Der Besucher schreitet durch weite Gewölbe aus speckig glänzendem Beton, deren Leichtigkeit vergessen macht, dass man sich unter dem Gebäude befindet. Der Kraftakt, der notwendig war, solch stützenfreie Räume zu schaffen, löst sich auf in Wohlgefallen. Dass die Hügellandschaft aus Beton eigentlich eine aus Stahl ist und ihre Errichtung eine komplexe Ingenieurleistung, berichtete Hochparterre bereits bei einem Baustellenbesuch vor bald zwei Jahren siehe HP 10 / 08: Fünf Zentimeter dicke Zugstangen in der Kellerdecke hindern die Betonschalen daran, nachzugeben. Der Stahlanteil im Beton ist fünfmal höher als üblich. Im Innern wellt sich der eine grosse Raum in weiten Bögen. Bei einer lichten Höhe von bis zu 4,5 Metern steigt er, sinkt wieder, um sich erneut in voller Breite hinaufzuwölben. Elf unterschiedlich grosse Patios durchstanzen Dach und Boden und teilen die Raumlandschaft in helle und dunklere Zonen. Die Höfe ermöglichen den Blick durch und über das Dach, vom «Hügel» am einen Ende des Raumes bis zum «Tal» am anderen. Aber auch hinaus: in die ruhigen Kieshöfe, hinüber zu den alten Hochschulbauten, bis auf die schneebedeckten Alpengipfel jenseits des Lac Léman.

Gestraffte Ausführung

Ein Blick auf den Grundriss zeigt, was sich zwischen Wettbewerbsentwurf und Bau verändert hat. Der Plan wirkt straffer, aufgeräumter, ohne an exotischer Wunderlichkeit verloren zu haben.

Manche Zeichenkürzel müssen selbst erfahrene Planleserinnen erst deuten. Die Patios, an Luftblasen unter einer Eisfläche erinnernd, sind jedoch generell kleiner geworden — die Armierungseisen brauchten Platz. Viele kleine Höfe wurden gestrichen. Weitere blasenartige Formen umschreiben als raumhohe Glaswände Besprechungszellen oder als nach oben offene Gipskartonboxen-Büroräume. Die «Hügellandschaft» ist folgerichtig mit Höhenlinien dargestellt. Im Wettbewerbsplan waren auf den «Hängen» noch Tische und Stühle verteilt, die finden sich nun konzentrierter auf Zonen in den «Talböden» oder liegen erhöht auf Podesten, die hier und da eine «Kuppe» vergrössern. Waren einst die nach oben führenden Wege mit Strichelchen nur zart angedeutet, verbinden sie nun, als markante und raumbestimmende Rampen, im Zickzack die wichtigsten Orte miteinander, unterstützt von drei Schrägliften. Die von SANAA bevorzugte Farbpalette bestimmt auch ihr Werk in Lausanne: weisser Akustikputz an der Decke, weiss gestrichene Einbauten aus Gips und ein durchgehender hellgrauer Nadelfilzteppich am Boden. Materialsinnlichkeit ist nicht ihr Thema.

Es gäbe viele Einsparungswunden, in die ein Kritiker seine Finger legen könnte. Zum Beispiel die groben Rafflamellen des Sonnenschutzes oder die facettierten Glaskurven der Besprechungszellen. Dagegen zeigen die gerundeten Scheiben beim Eingang der Lounge der Credit Suisse — ein weiterer Sponsor —, wie es geht, wenn man Geld hat.

Dass das RLC für Behinderte nicht nutzbar sei, bewegte die Gemüter schon früh. Gegen das Baugesuch reichten Behindertenverbände Einsprache ein und forderten, das öffentlichste Gebäude einer Hochschule müsse in der heutigen Zeit behindertengerecht gebaut werden. Die EPFL und die Verbände setzten eine Vereinbarung auf und passten das Projekt an. Die wichtigen Orte sind nun sämtlich über horizontale oder flach geneigte Ebenen erreichbar. Neben den Rampen und Aufzügen für Mobilitätsbehinderte zerschneiden Leitlinien für Sehbehinderte die Nadelfilzfläche.

Raumerlebnis nicht für alle

Ein Eingriff ist aber grundlegend: In der Vereinbarung verpflichtet sich die Hochschule, die schrägen Flächen, die für Rollstuhlfahrer zu steil sind, unzugänglich zu machen. Hierfür seien Elemente in der Formensprache des Projekts vorzusehen, genannt werden zum Beispiel Trennwände oder Pflanzen. Bei der Inbetriebnahme am 22. Februar standen sie noch nicht. Sie sich vorzustellen, fällt schwer, sind es doch gerade die fliessende Offenheit des Raums, die überraschenden Wege, von denen das Haus lebt. EPFLSprecher Nicholas Henchoz bestätigt, dass man über geeignete Abtrennungen nachdenke, um eine Gleichberechtigung herzustellen. Die an der Hochschule beschäftigten Gehbehinderten fühlten sich ausgeschlossen, weil sie bestimmte Wege nicht nutzen könnten.

Aber, so betont Henchoz, es brauche Zeit, um den Umgang mit diesem neuartigen Raum zu erlernen, das betreffe auch die Behinderten. Die offizielle Eröffnungsveranstaltung habe man auch daher erst für Ende Mai geplant.

Raum braucht Beinkraft

Die Studenten und die Mitarbeiter der Hochschule haben ihr neues Haus in Besitz genommen. Der Ansturm an den ersten Tagen war ebenso gross wie die Neugierde. Die Studierenden werden sich kaum an irgendwelche Absperrungen halten. Zu reizvoll ist der Gang über die Hügel, das Erlebnis, diese ungewohnte Indoor-Landschaft zu erkunden. Der Raum — und das ist die grosse Überraschung — funktioniert im Gebrauch besser als auf den Fotos. Die Raumlandschaft ist physisch, sie verlangt vom Nutzer körperlichen Einsatz. Man spürt seine Waden, wenn man länger auf einer der schrägen Flächen steht — zur Unterhaltung setzt man sich einfach auf den Boden oder lehnt zurück und geniesst die Übersicht. Es ist schade, dass Menschen im Rollstuhl diese Erfahrungen nicht machen können. Schaut man jedoch auf die enorme Kraft und Neuartigkeit dieses Raumes, kommen einem kaum Restriktionen in den Sinn, sondern Möglichkeiten: Die junge Generation nimmt die «Hügel» in Besitz, erfindet im grossen offenen Raum, in dem nichts im Verborgenen geschieht, neue Formen der Begegnung, der Bewegung, der Solidarität. Und bezieht Behinderte dabei selbstverständlich mit ein. Hoffentlich bleibt das kein blosses Bild.


«Das Gebäude erzeugt Behinderungen»

Für die Schweizer Behindertenverbände ist das Learning Center diskriminierend. Sie reichten Ein Sprache ein und setzten zahlreiche Anpassungen durch. Hochparterre sprach mit Joe Manser, dem Geschäftsführer der Fachstelle für Behindertengerechtes Bauen.

Wie beurteilen Sie das neue Learning Center der EPFL?
Das Gebäude ist nicht nachhaltig, weder in ökologischer, ökonomischer, noch in sozialer Hinsicht. Das Raumprogramm hätte man mit der Hälfte des Volumens und Geldes bauen können. Für Menschen mit einer Seh- oder Gehbehinderung ist das Gebäude schwer nutzbar. Die steilen Schrägen und weiten Distanzen sowie die komplexe Orientierung erzeugen Behinderungen bei der Nutzung.

Während dem Bewilligungsverfahren hat die Fach stelle mit anderen Behindertenorganisationen Einsprache eingereicht. Mit welchem Ergebnis?
Der Bau ist ein Flickwerk, wie wir es von einem bestehenden Gebäude kennen, nicht von einem Neubau. Die mäandrierenden Rampen und langsamen Schräglifte werden Mobilitätsbehinderten keine gleichwertige Nutzung ermöglichen. Sie brauchen täglich mehr Kraft und Zeit, um beispielsweise ins Café zu kommen.

Hat die EPFL neben diesen baulichen Anpassungen auch mit veränderten Nutzungen auf Ihre Einwände reagiert?
Der Entwurf sieht eine Hügellandschaft vor, über die man kreuz und quer gehen kann — was für einen «Modulor-Menschen » auch stimmt. Auf den Vorwurf der Diskriminierung sagte die EPFL: Die wichtigen Verbindungswege sind auch für Behinderte möglich, mit Lift oder Rampe, der Rest, also alle anderen Schrägen, sei sowieso nicht begehbar. Die Frage, mit welchen Mitteln das umgesetzt wird, blieb offen.

Wenn diese Absperrungen nun den Charakter des Raums zerstören, was sagen Sie dann?
Ich sage: Der Vorschlag kam nicht von uns.

Ist die Einschränkung aller besser als die Benachteiligung weniger?
Das ist eine grundsätzliche Frage: Dürfen Diskriminierungen aus rein gestalterischen Gründen legitimiert werden? Ich hatte den Eindruck, schon die Jury ging mit dem Thema Behindertengerechtigkeit nachlässig um. Es ist Mode geworden, dass man sich in einem Gebäude nicht nur horizontal bewegt. Das mag für eine Expo oder ein Museum in Ordnung sein, aber hier geht es um das tägliche Leben, um die für behinderte Menschen besonders wichtige Ausbildung. Gerade für eine Ausbildungsstätte wird hier ein völlig falsches Zeichen gesetzt.

Wie viel Prozent der EPFL-Studenten und Mitarbeiter sind behindert
Das ist irrelevant. Menschenrechtlich gesehen ist egal, ob Sie einen Menschen diskriminieren oder viele.

[Joe A. Manser, Architekt, Geschäftsführer Schweizerische Fachstelle für Behindertengerechtes Bauen.]

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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