Bauwerk

Wohnhaus Mollardgasse
Heinz Lutter - Wien (A) - 2011
Wohnhaus Mollardgasse, Foto: Heinz Lutter
Wohnhaus Mollardgasse, Foto: Heinz Lutter
23. November 2012 - Az W
Das Haus an der Linken Wienzeile springt aus der Reihe der Wohnbebauungen im Wiental. Dem Haus ist eine Lochwand aus Stahlbeton vorgelagert. Dahinter befinden sich großzügig dimensionierte Balkone, die alle zum Straßenraum orientiert sind, der stark befahrenen – und daher lauten Straße – zum Trotz.

Die Standardlösung für das Grundstück wäre laut Flächenwidmung eine Blockrandbebauung mit mittig liegender Freifläche gewesen. Ein Innenhof hätte auf dem schmalen Grundstück jedoch wenig Aufenthaltsqualität geboten und für den Investor wären zwei Baukörper mit mittiger Hofzone auf Grund des erhöhten Flächenverbrauchs (zwei Erschließungszonen statt einer) wenig rentabel gewesen. Als Lösung wurde der Baukörper von der Grundstücksgrenze abgerückt und statt eines Innenhofs wurden zwei straßenseitige Außenhöfe angelegt, die sich hinter der Lochwand befinden. Die Wand erfüllt das vorgeschriebene „Anbauen“ laut Flächenwidmung. Damit die Wand zum Gebäude gerechnet wird, darf der Lochanteil im Verhältnis zur Wandfläche nicht zu groß sein. Die Anordnung der Öffnungen ist auf den ersten Blick regelmäßig, tatsächlich wurde die Abfolge der Maueröffnungen vom Architekten wohlüberlegt und unregelmäßig komponiert. Im Straßenverbund wirkt das Gebäude mit seinem auffälligen Raster zwar streng, doch nicht rigid.

Für die hinter der Wand liegenden Balkone erweist sich die vorgelagerte Schicht als Bereicherung, indem sie den privaten Freiraum rahmt. Spätestens seit der geförderte Wohnbau in Wien Balkone und ähnliche private wohnungsbezogene Freiflächen zum Standard erhoben hat, ist der private Freiraum bei frei finanzierten Neubauten ein Muss. Da das Gebäude aus oben angeführten Gründen über keinen Innenhof verfügt, sind alle Balkone und Terrassen zwangsläufig zum Straßenraum hin orientiert (im Südosten zum Wiental, im Nordwesten zur Mollardgasse). An anderen vergleichbar lauten Straßen werden keine Balkone, sondern Lärmschutzwände errichtet. Den Balkonen kann der Experimentcharakter nicht abgesprochen werden. Ein Experiment, das geglückt ist, denn bereits kurze Zeit nach der Schlüsselübergabe wurde die Aneignung der Balkonflächen sichtbar: die Balkone werden nicht als Abstellkammer zweckentfremdet genutzt, sondern dienen tatsächlich als Freiraum. Der weite Blick über das Wiental, die vorbeiziehende U-Bahn, die mächtigen Brücken, die den Wienfluss queren – all das bietet einen urbanen Mehrwert, für den der Lärm bereitwillig in Kauf genommen wird.

Alle Wohnungen – bis auf die Dachgeschosswohnungen – sind einseitig orientiert (Nordwesten oder Südosten) und entsprechen hinsichtlich Größe und Ausstattung typischen „Vorsorgewohnungen“ (Vorraum, Wohnküche mit offenem Küchenbereich, Schlafzimmer mit Bad und Abstell-/Schrankraum). Mit einem Unterschied: die Balkone erstrecken sich über die gesamte Wohnungsbreite, wobei Wohn- und Schlafzimmer ins Freie führen. Beim Betreten der Wohnung wird der Blick hinaus auf den Balkon gelenkt. Der Außenraum wird als unmittelbare Erweiterung des Wohnraums wahrgenommen. Auf dem Dach bildet eine Gemeinschaftsspielfläche den Abschluss des Gebäudes. Überraschende Hörerlebnisse eröffnen die oberen Stockwerke: hier sieht man nicht nur den Wienfluss, sondern kann ihn auch hören, wie er im überdimensionierten steinernen Flussbett Richtung Donaukanal plätschert.

Für die Erschließungswege plante der Architekt eine elegante Atmosphäre mit speziellen Beleuchtungskörpern und Verputz. Am Ende fiel diese Planung dem Sparstift zum Opfer und die Standardausführung kam zum Zug. Die Projektleiterin setzte sich dafür ein, dass die simplen Details ordentlich umgesetzt wurden und – wenn auch mit reduzierten Mitteln – eine elegante Atmosphäre erzielt werden konnte. Das Experiment ist geglückt: die Wohnungen sind vergeben, die Balkone – sofern die Witterung es zulässt – mit Leben erfüllt und das Wiental, dessen architektonisches Erscheinungsbild in weiten Strecken seiner Entstehungszeit geschuldet ist, hat einen beachtlichen Schritt in Richtung Gegenwart unternommen. (Text: Martina Frühwirth)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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