Bauwerk

Gerichtsgebäude Justizzentrum Korneuburg
DMArchitekten, DIN A4 Architektur - Korneuburg (A) - 2012
Gerichtsgebäude Justizzentrum Korneuburg, Pressebild: Kurt Hörbst
Gerichtsgebäude Justizzentrum Korneuburg, Pressebild: Kurt Hörbst

Staatspreis Architektur & Nachhaltigkeit 2014

Es ist global das erste Justizzentrum, das als Passivhaus geplant und umgesetzt wurde, und es setzt in dieser Größenordnung und Nutzungsart in Baugestaltung und Klimaperformance nachhaltige Maßstäbe.

12. November 2014 - newroom
Seit 15 Jahren entwickelt sich in Österreich die bauliche und organisatorische Erneuerung der Justizzentren in allen Bundesländern. Steiermark mit Leoben (Wettbewerb 2000), Tirol mit Innsbruck (2002) machten den Anfang, setzten vielbeachtete Maßstäbe, integrierten sogar spezielle Kunstprojekte.

Ein Gerichtsgebäude, ein Gefängnis mit zeitgemäßem Strafvollzug verstehen sich heute als humane Dienstleistungszentren für die Sicherheit der Gesellschaft. Und demgemäß wirken die Neubauten in Leoben, Innsbruck/Völs, Feldkirch, Klagenfurt, Salzburg, Wiener Neustadt usw. nicht mehr drohend oder hermetisch, sondern eher wie moderne, elegante Bürozentren. In Korneuburg ging man noch einen Schritt weiter, indem auch die energetische Performance solcher Anlagen im Blickpunkt stand. Die Koppelung von Landesgerichtstrakt und der Anstalt für Untersuchungshaft ist nun weltweit das erste Justizzentrum mit Passivhausstandard – und das bei einem beachtlichen Volumen von rund 33.000 m² Netto-Nutzfläche.

Aus dem 2008 EU-weit ausgeschriebenen Architekturwettbewerb, an dem 34 Teams teilnahmen, ging die ARGE Dieter Mathoi Architekten & DIN A4 Architektur siegreich hervor. Mathoi hatte schon die Justizanstalt Innsbruck geplant und auch den Wettbewerb für Feldkirch gewonnen. Dank vieler technischer Finessen und dem auch gestalterisch hohen Anspruch ist Korneuburg nun die modernste, ökologisch avancierteste und auch „schönste“ Vollzugsanstalt Österreichs. Die beiden Trakte formen zugleich den räumlichen Fokus eines neuen Stadtteils im Verbund mit einer großen Wohnhausanlage. Damit rückt die Stadt über die Bahngeleise westwärts dicht an die Schnellstraße E 59 und an die Donauauen heran. Das Gericht – als öffentlicher, höherer Bau – ist zur Stadt und zu den anschließenden Häusern orientiert. Die Justizanstalt ist niedriger, weitläufiger und in den Grünraum der Donau eingebunden. Unterirdisch mit Tunnels verknüpft, flankieren die beiden Trakte oberirdisch einen keilförmigen Freiraum, der sich als neuer Stadtteilplatz nach Süden zu den Wohnbauten hin aufspreizt.

Die tiefe und langgezogene Eingangsloggia am Landesgericht weist den Weg. Hat man die Schleusen beim Portier passiert, findet man sich in einer strahlend hellen Halle. Der Blick schweift nach oben über alle vier Etagen zum Glasdach; ringsum wechselnd Galerien übereinander, große Glasflächen, schlanke Pfeiler, weißer Terrazzoboden, feiner Weißbeton an Stützen und Brüstungen; links unten eine Cafeteria auch in Weiß, knapp gehaltenes, doch elegantes Mobiliar; in der Höhe darüber schwebend ein künstlerisches Gespinst wie eine vergrößerte Molekular- oder Kristallstruktur – ein Empfangsraum also von kartesianischer Klarheit, hell, nach allen Richtungen weiterführend, transparent, zugleich streng, absolut geordnet: die (kaum sichtbaren) Fugen, die Teilungen und Proportionen aller Bauflächen in völlig kontrollierter Konkordanz. Justitia spiegelt sich in diesem Raum im Ideal universeller, kristalliner, inspirierter Rationalität. Und es geht seitwärts und nach oben in diesem Duktus weiter: Verhandlungssäle, Schwurgerichtssaal mit über fünf Metern Raumhöhe, lichtdurchflutet, die Akustik mit Wandpartien in hellem Kunstleder gedämpft, schlicht entspanntes Mobiliar, keine Spur von Inszenierung, keine forcierte Hierarchie oder steife Emblematik. Wir bewegen uns in einer nüchtern lichten, „aufgeklärten“ Sphäre, die aber in einer auf die Schnelle kaum erklärbaren, subtil sinnlichen Weise überhaupt nicht klinisch wirkt.

Der Jury wird auch ein Blick hinter die Kulissen der schimmernden Wände gewährt; wir tauchen in ein (sonst nur in Wartungsfällen zugängliches) fast fensterloses, niedriges Zwischengeschoß, das sich über die ganze Baufläche um die doppelthohen Säle herumschlängelt, und das in silbern verpackten Röhren, in riesigen Prismen die Heizungs- und Lüftungstechnik des Hauses enthält: Herz und Lungen der grandiosen Klimamaschine, die dieser elegante Bau auf frappierende Weise auch ist. Die Gestalt-Qualität bleibt in dem knapper gehaltenen Gefängnisteil auf vergleichbarem Niveau, enthält sogar etwas mehr Farbe, erreicht mit kreuzförmigem Grundriss um vier Hofbereiche herum eine für die limitierte Personalstärke wichtige Ökonomie der Weglängen.

Die beiden Trakte zeigen auch äußerlich leicht unterschiedliche Charaktere. Das Gericht ist höher, wird in den oberen Etagen immer offener, die Wandflächen lockern sich in synkopisch verschobene, raumhohe Fensterpartien. Die Justizanstalt ist niedriger, naturgemäß introvertierter, zeigt ausschließlich horizontalschmale Fensterbänder. Beides vermittelt auch die unterschiedlichen Wandkonstruktionen: dort Betonbau unten und darüber drei Etagen vorgefertigte Holzelemente – hier durchwegs massiver Betonbau, in beiden Fällen hoch gedämmt und mit hinterlüfteten Faserbetonplatten bekleidet. Heiz- und Kühlenergie werden über eine Erdwärmepumpe bzw. einen Gasbrennwertkessel bereitgestellt. Die zentrale Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und Vorkonditionierung der Frischluft über Sole-Wärmetauscher bietet optimales Raumklima. Alle Brauchwässer für die Gebäude werden mit Pumpen am Grundstück aus Grundwasserbrunnen gewonnen. Im Alltag ist man bestrebt und froh, solche Orte, muss man sie schon aufsuchen, so rasch wie möglich wieder verlassen zu können. Hier dauerte der Rundgang mit der versierten Gerichtspräsidentin und dem beeindruckenden Gefängnis-Boss doppelt so lang wie geplant. (Jurytext: Otto Kapfinger / Staatspreis Architektur & Nachhaltigkeit 2014)

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