Bauwerk

Niederländische Botschaft
OMA - Berlin (D) - 2003
Niederländische Botschaft, Foto: Barbara Staubach / ARTUR IMAGES
Niederländische Botschaft, Foto: Werner Huthmacher / ARTUR IMAGES
Niederländische Botschaft, Foto: Werner Huthmacher / ARTUR IMAGES

Eine glänzende Botschaft an Berlin

Der Neubau der niederländischen Vertretung und eine Ausstellung von Rem Koolhaas

Vor wenigen Tagen wurde Rem Koolhaas' bereits viel diskutierter Neubau der niederländischen Botschaft in Berlin vollendet. Aus diesem Anlass zeigt die Berliner Neue Nationalgalerie eine Ausstellung, der es leider nicht gelingt, das Werk von Koolhaas und dessen Office for Metropolitan Architecture (OMA) verständlich zu machen.

20. November 2003 - Claudia Schwartz
Die Niederländer haben in Berlin nahe am Wasser gebaut. Ihr neues Botschaftsgebäude von Rem Koolhaas liegt an der Spree fast wie an einer Amsterdamer Gracht. Damit lässt sich die Botschaft abseits des traditionellen Diplomatenviertels im Berliner Tiergarten nieder - weit weg vom Trubel um den Reichstag. An der Klosterstrasse hat das Gastland einen malerischen Standort aufgespürt in einer fast holländisch anmutenden Stadtlandschaft am Wasser.

Jenseits vom Blockrand

Für Koolhaas, der mit seinem Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture (OMA) 1997 den Wettbewerb für die Botschaft in Berlin gewann, stellt der noch vor seiner feierlichen Eröffnung im kommenden Frühjahr viel beachtete Bau eine Genugtuung dar. Der Vordenker der internationalen Architekturszene hatte die Stadt Anfang der neunziger Jahre im Zorn verlassen, nachdem sich abgezeichnet hatte, dass der Ideenwettbewerb für den Masterplan des neuen Potsdamer Platzes - Koolhaas sass damals in der Wettbewerbsjury - zugunsten des traditionellen Berliner Strickmusters mit Blockrandbebauung und Steinfassaden ausgehen würde. Daran erinnert die niederländische Botschaft an der Klosterstrasse, die sich ausnimmt als persönliche Botschaft des Stararchitekten an diese Stadt. Sie besagt, dass zeitgemässes Bauen nicht «kritische Rekonstruktion» sein muss und dass es auch ohne Steinfassaden geht.

Koolhaas hat seine Message diskret verpackt, wie es sich für ein Haus der Diplomatie ziemt: Er stellte einen gläsernen Würfel ans Spreeufer und umrahmte ihn stadtseitig mit einem zweiten, L-förmigen Trakt, der Gästeappartements und Infrastruktur aufnimmt, mit seiner schlanken Form und gelochten Metallfassade dabei leicht wie ein Vorhang wirkt. Der Architekt entbindet das Hauptgebäude von seiner Pflicht zur Berliner Blockrandstruktur, indem sich der zweite Bau zur Nachbarschaft hin rechtwinklig stellt. Mit diesem Kunstgriff verhilft er der lokalen «Gestaltungssatzung» zu ihrem Recht und befreit sich gleichzeitig elegant von ihr: Die Botschaft selbst ist ein Solitär und hebt sich klar von der Umgebung ab. Die Architektur schafft ihren eigenen Kontext, gibt sich als exterritoriales Gelände zu erkennen und demonstriert nach aussen Geschlossenheit.

Das Ensemble der beiden durch Brücken verbundenen Bauten und das dazwischenliegende Gelände bilden ähnlich wie die skandinavischen Botschaften in Berlin eine ebenso heterogene wie harmonische Stadtlandschaft en miniature, die trotz begrenzten Platzverhältnissen im Hof und zum Flussufer hin erstaunlich viel Freifläche entfaltet, wenngleich Asphalt und verwilderte Grünfläche derzeit noch keine Augenweide abgeben. Ein Durchgang zwischen Haupt- und Nebengebäude erlaubt es hohen Gästen, direkt vor dem Eingang im Hof vorzufahren, und Passanten, wie selbstverständlich übers Botschaftsgelände zu schlendern. Die niederländische Vertretung öffnet sich den Berlinern wie keine andere an der Spree.

Die Stadt im Haus

Die Durchfahrt zwischen den beiden Gebäuden zieht gewissermassen die Strasse über den Hof bis direkt zum Eingangsbereich des Hauses. Im Gebäudeinnern setzt sie sich als Gang fort, der sich vom Foyer bis aufs Dach schlängelt. Dieser inszeniert als Lebensader der Botschaft eine Art Strassenleben: Räume, Menschen, Innen- und Aussenwelt, Aussichten und Einblicke, alles ist über die eine, zweihundert Meter lange Binnenstrasse miteinander verbunden. Man passiert Treppen und Rampen, tritt durch die Aussenhaut hindurch auf eine gläserne Gangway und geniesst mehr oder weniger den schwindelerregenden Blick durch grünen Glasboden auf die Strasse darunter. Es gibt keine Etagen mehr, sondern unzählige Ebenen, die miteinander funktional in Bezug treten. Die Räume zeigen sich kühl und zurückhaltend in Sichtbeton, Aluminium, Glas und Holzfurnier. Die Ausführung hat, diplomatisch gesagt, etwas von rohem Realismus.

Der niederländische Botschafter wird zukünftig in einer aus der Fassade hervorschiessenden Skybox Sitzungen abhalten oder Diners geben - atemraubender Ausblick auf die Stadt inklusive. Hier ist kein Gegensatz von Architektur und Stadt mehr, man flaniert und sieht plötzlich durch einen Fassadeneinschnitt des zweiten Botschaftsgebäudes hindurch: Je nach Blickwinkel rückt die silberne Kugel des Fernsehturms am Alexanderplatz ins Bild oder der Turm des Stadthauses. Der beschauliche Spaziergang endet hoch oben in der Kantine, die sich durch Öffnen des Dachs in ein lauschiges Atrium verwandeln lässt und mit der Dachterrasse einen Ort für Empfänge gibt, wie ihn sich ein Botschafter wohl nur wünschen kann.

Koolhaas hat einen Schauplatz der diplomatischen Vermittlung geschaffen, wie er im Bilderbuch steht, voller Überraschungen, mit grossen Gesten und kleinen Rückziehern, mit einem Gefühl für den Rhythmus zwischen wagemutigem Antrag und Zurückhaltung. Es ist überdies eine Liebeserklärung an Berlin, ein Plädoyer dafür, mit den historischen Brüchen dieser Stadt zu leben und ihr nicht falsche Nostalgie ins Gesicht zu schminken. Diese Botschaft kommt zur rechten Zeit, da sich seit dem endgültigen Beschluss für den Abriss des Palastes der Republik in den lokalen Medien über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses hinaus eine Rekonstruktionswut aufbläht, die an jedem freien Plätzchen in Berlins Mitte ein untergegangenes Kutscherhaus aufspürt. Es bleibt zu hoffen, dass die vor wenigen Tagen erfolgte Verleihung des Berliner Architekturpreises an Koolhaas und das Aussenministerium der Niederlande für ihr Botschaftsgebäude nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern eine konkrete Zusammenarbeit mit dem Architekten für die Zukunft mit sich bringt. Ein Preis ging übrigens auch an die Schweizer Botschaft in Berlin der Basler Architekten Diener & Diener.

Problematische Koolhaas-Ausstellung

Die Fertigstellung der niederländischen Vertretung gibt Koolhaas Gelegenheit, in der Berliner Neuen Nationalgalerie die Show «Content - Rem Koolhaas. OMA/AMO. Bauten, Projekte und Konzepte seit 1996» zu präsentieren. Man kann das kreative Wirrwarr dieser Multimedia-Installation eigentlich nur Anhängern des Beschleunigungstheoretikers empfehlen. Gegen die Koolhaas'sche Erkenntnis, dass die Architektur dem Lauf der globalen Gesellschaft hoffnungslos hinterherhinkt, scheinen hier Modelle, Entwürfe, T-Shirt-Shop, Kommentare zu Politik und Gesellschaft in einem gewaltigen Überholmanöver anzusetzen. Man hört buchstäblich Mies van der Rohe ein väterliches «Less is more» flüstern.

«Content» illustriert die Grenzen einer derartigen Präsentation von Architektur, nicht nur dort, wo die Schau die Entwürfe kaum in Raum und Zeit stellt und offen lässt, was tatsächlich gebaut worden ist. Der Zwiespalt, den die Ausstellung von Architektur als frei im Raum schwebender Kunst birgt, tritt spätestens dann zutage, wenn auf die plakative Kritik an der westlichen Irak- Politik gleich um die Ecke stolz das derzeit ehrgeizigste Projekt von Koolhaas folgt: Das Modell eines oben zusammengewachsenen Zwillingshochhauses für Peking ist effektvoll beleuchtet, und seine schwierige statische Ausbalancierung wird vielfältig belegt. Aber nirgends wird ausgeführt, dass das Architekturspektakel für das chinesische Staatsfernsehen entsteht im Auftrag eines Unterdrückungssystems, das dort später seine mediale Wirklichkeit konstruieren wird. Vielleicht klärt der Katalog über die Einbettung der Architektur in solch globale Zusammenhänge auf. Der aber erscheint erst in einigen Wochen, wie uns der Mitarbeiter des Meisters vertröstet. Dann werde es übrigens «noch einmal eine ganz grosse Präsentation» geben. Wer nun an PR und Shopping denkt, hat zu viel Koolhaas gelesen.

Draussen in der angebrochenen Winternacht leuchtet derweil der zauberhafte Glaskasten des Botschaftsgebäudes in Weiss, Gelb, Orange am Ufer der Spree und richtet seinen Blick ins Berliner 21. Jahrhundert. Rem Koolhaas widerlegt in Berlin gerade seine eigene These von der Überlegenheit des geistigen Konstrukts gegenüber der Realität. Noch ist sein neues Haus schneller, als Berlin träumt.

[Die Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin dauert bis zum 18. Januar 2004. Ein Katalog ist angekündigt.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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