Bauwerk

Kulturhaus Kals
Schneider Lengauer Pühringer - Kals am Großglockner (A) - 2013

Kulinarik, Kunst und Kirche

In der Osttiroler Gemeinde Kals verbindet sich Tradition mit Zeitgenössischem auf würdige Weise. Das Architektenteam Schneider & Lengauer hat ohne Berührungsängste ein neues Kulturzentrum an einen alten Gasthof angedockt.

26. Dezember 2014 - Romana Ring
Verantwortung übernehmen – dieser Vorgang ist in der öffentlichen Wahrnehmung rar geworden. Dasüberrascht nicht, verbinden wir mit diesem Begriff heute doch eher Fehltritt und Schuld als Pflicht und Treue. Für qualitätsvolles Bauen allerdings ist Verantwortung im Sinne von Sorgfalt und Verlässlichkeit ebenso notwendig wie eine gehörige Portion an Mut und Zuversicht.

In der Osttiroler Gemeinde Kals am Großglockner trägt man diese Verantwortung seit 20 Jahren. Während andernorts gemeindeeigene Vorhaben zur Vermeidung jedweder Angreifbarkeit rasch an gewerbliche Bauträger weitergereicht werden, hat man in Kals die Aufgabe der Bauherrschaft auf sich genommen und die Gestaltungshoheit über die eigene Zukunft bewahrt.

Ein geladener, von der Tiroler Dorferneuerung begleiteter Architekturwettbewerb im Jahr 1995 stand am Anfang dieses Prozesses. Der früher dicht verbaute Ortskern von Kals war infolge einiger Gebäudeabbrüche zu einem unwirtlichen Autoabstellplatz verkommen. Man suchte Strategien zur Entwicklung einer neuen, lebendigen Ortsmitte. Die im oberösterreichischen Neumarkt im Mühlkreis ansässigen Architekten Peter Schneider und Erich Lengauer haben diesen Wettbewerb gewonnen und in jahrelanger Zusammenarbeit mit den Entscheidungsträgern des Ortes die Umsetzung seiner einzelnen Bauabschnitte begleitet. Seither sind im Zentrum von Kals der multifunktionale Service- und Informationsstandort Glocknerhaus und das Haus de Calce mit der Gemeindeverwaltung, der Feuerwehr, Bergrettung und Bergwacht entstanden; das spätgotische Widum wurde behutsam für diePfarre revitalisiert; zuletzt hat Schneider & Lengauer mit dem Kulturhaus Kals ein Objekt fertiggestellt, das dem Zusammenleben der Einheimischen wie der Verbesserung destouristischen Angebotes dient.

Die Neubauten bilden gemeinsam mit der Pfarrkirche und dem Widum einen Kern, der zeigt, wie ein Ort sein Gesicht mit der Zeit verändern kann, ohne seinen Charakter preiszugeben oder sich hinter leeren Floskeln vermeintlich traditionellen Bauens zu verschanzen. Die Themen – der Raum zwischen den Gebäuden, die ebene Fläche, die man den steilen Hängen abgewinnt oder der Blick in den Landschaftsraum – sind über die Jahrhunderte ebenso gleich geblieben wie die Frage nach dauerhaften Materialien und Technologien, die Standort und Standpunkt gleichermaßen repräsentieren.

Die Antworten, die Schneider & Lengauer darauf gibt, sind ebenso bestimmt wie ruhig im Tonfall; sie zeigen keine Berührungsängste vor historisch gewachsenen Bauformen und kommen dennoch unmissverständlich aus der Gegenwart; das Spektakel ist ihnen sichtlich kein Anliegen, wohl aber die äußerst konsequente und somit doch wieder außergewöhnliche Durcharbeitung der Entwurfsgedanken. Das zuletzt fertiggestellte Kulturhaus Kals ist ein besonders schönes Beispiel dafür. Als Bauplatz diente der Standort des alten, nun abgebrochenen Gemeindeamtes in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem ursprünglich aus den 1930er-Jahren stammenden Gasthof. Der lang gestreckte Körper des Kulturhauses ist an seiner nordwestlichen Flanke mit dem Bestand des Gasthofes verbunden. Von hier aus schiebt er sich hinaus in die enge Kurve, mit der die Kalser Landstraße ihren steilen Anstieg nach Norden bewältigt. Mit seiner südwestlichen Stirnseite stellt sich das Kulturhaus parallel zum Widum, das sich giebelständig am Scheitel der Kurve erhebt. Der massiv gemauerte und weiß verputzte, von einem hellen Steinsockel abgesetzte Körper des Neubaues mit einer einzigen, asymmetrisch gesetzten Öffnung in der Giebelwand kommt der lapidaren Funktionalität des historischen Gebäudes ebenso nahe wie seiner aus der Reduktion erwachsenden Würde. Gemeinsam bilden Alt- und Neubau ein Tor, hinter dem sich der Raum zu einem Platz mitmehreren Ebenen weitet, an dem die prominenten Gebäude des Ortes liegen.

Das Kulturhaus birgt mehrere Funktionenund wird daher von mehreren Eingängen auf unterschiedlichen Ebenen erschlossen. Den Weg in den Gasthof hat Schneider & Lengauer durch die Anordnung einer großzügigen Terrasse geebnet. Darunter liegt, vonder Straße her barrierefrei erreichbar, das Foyer des etwa 300 Personen fassenden Johann-Stüdl-Saales. Der Saal umfasst das gesamte oberirdische Volumen des nach Südwesten freigestellten Traktes und ist bis zum First mit Zirbenholz, im Sockelbereich der Wände mit bosnischem Travertin verkleidet. Dieser in seiner Farbigkeit mit dem Holz harmonierende Stein prägt auch das Foyer und die Erschließungszonen in den beiden allgemein zugänglichen Geschoßen des Kulturhauses. Während auf der unteren Ebene die Räume des Gemeindearztes mit ihrem alsSeniorentreff ausgestatteten Wartebereich liegen, schließt im Geschoß darüber ein dem Gasthof zugeordneter Raum an die Galerie des Johann-Stüdl-Saales.

Hier greifen eine schlichte, den Raum fassende Sitzbank, die Wandverkleidung aus Zirbenholz und der gemauerte Ofen vertraute Motive auf. Die unbeirrt geradlinige Behandlung der Details und Einzelheiten wie die unterschiedlich großen Fenster mit ihren abgeschrägten Leibungen schieben der Allgegenwart des Gastronomiekitsches, sei er nun nostalgisch oder zeitgeistig inspiriert, einen festen Riegel vor. So ist es Schneider & Lengauer hier wie in der gesamten Anlage gelungen, dem legitimen Bedürfnis der Nutzerinnen und Nutzer nach Gemütlichkeit ebenso gerecht zu werden wie dem eigenen Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit und planerische Konsequenz. Möglich wurde dasdurch ihre Fähigkeit, in der Vielfalt heute zu Gebote stehender Technologien zu echter Gediegenheit zu finden – und durch dieWeitsicht ihrer Bauherren, die das als Wert erkannt und die entsprechenden Entscheidungen getroffen haben.

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