Bauwerk

Tanzhaus Zürich
Barozzi Veiga - Zürich (CH) - 2019
Tanzhaus Zürich, Foto: Simon Menges
Tanzhaus Zürich, Foto: Simon Menges

Nach dem Brand im Tanzhaus Zürich: Leichtfüssig tanzen Tonnen von Beton

Das Tanzhaus Zürich verlor 2012 seinen Hauptaufführungsraum. Mit dem Ersatzneubau gewinnt nun auch das Limmatufer. Die Architekten sehen in dem kleinen Bau sogar einen Wendepunkt in ihrer Art, Gebäude zu entwerfen.

29. Mai 2019 - Sabine von Fischer
Es scheint, als ob da vorher gar kein Gebäude gewesen wäre, nur ein Stück Böschung zwischen der ehemaligen Seidenfabrik und der unteren Lettenbadi. Der Ersatzneubau für das Tanzhaus Zürich aber ist gleich gross wie die Maschinenhalle, in der einst gewoben und später dann getanzt wurde – bis sie 2012 auf die Grundmauern ausbrannte.

Die Katastrophe war hier eine Chance: Statt der versteckten Treppe hinter einer Wand, die man leicht mit einer Stützmauer verwechseln konnte, repräsentiert nun limmatseitig die Hauptfassade das Tanzhaus als wichtige zeitgenössische Institution, entlang des verbreiterten Uferwegs.

Überraschend und auf den ersten Blick fremd reihen sich vierundzwanzig Dreieckpfeiler am Limmatweg aneinander, darüber eine Reihe von fünfunddreissig kleineren Betondreiecken. Hinter der unteren Reihe der auf ihrer Spitze balancierenden Zacken liegt über die ganzen fast fünfzig Meter der Gebäudelänge das Foyer, das dem Tanzhaus nun einen markanten Auftritt und eine klare Erschliessung gibt.

Tanzend auf den Boden aufsetzen

Die fast endlos gereihten Dreiecke sind Figuren zwischen Hoch- und Tiefbau, zwischen Schaufassade und Lawinensicherung. Keine Formen jedenfalls, die sich die Stadtzürcher gewohnt sind. Zwischen den massiven, stehenden Dreiecken liegen die Fenster. In einer der Aussparungen dreht sich ein Trapez aus Chromstahl um eine vertikale Achse: Es ist der Haupteingang. Nichts ist hier wie üblich, auch die Architektur will tanzen. Die darüber liegende, kleinteiligere Fensterreihe dient als Oberlichtband für den grossen Tanzsaal und anschliessend, flussabwärts, als geschosshohe Fenster für die kleineren Büro- und Proberäume.

«Sehen Sie, wie Catja steht, wie sie sich bewegt? So ist auch das Haus, es hat eine andere Art, auf dem Boden aufzusetzen.» Architekt Alberto Veiga zeigt auf Catja Loepfe, die künstlerische Leiterin des Vereins Tanzhaus Zürich, die im Gespräch mit einer Gruppe von Menschen die Dach- und Treppenlandschaft mit den Armen nachzeichnet und dabei spielerisch ihre Füsse bewegt. Die Spannung läuft diagonal durch den ganzen Körper. So steht der Ersatzneubau nun am Boden, wie auf einer Fussspitze und mit sichtbar gemachtem Kräftefluss, sperrig und doch agil fliesst die Schwerkraft ab.

Die starke, präzise gesetzte Geometrie der Front zum Fluss sagt: Hier ist Kultur. Der monolithische Recylingbeton voller kleiner, auch grösserer, unregelmässiger Löcher imitiert einen rohen Industriebau und könnte als Camouflage interpretiert werden. Nur, gegenüber dem Eisenfachwerk des Lettenviadukts und zwischen dem Elektrizitätswerk an der Limmatschleuse, den Holzverschlägen des Flussbads und dem Kornsiloturm wirkt dieser Beton nicht roh genug.

Technisch spannend ist erst das Konzept für den sommerlichen Wärmeschutz, das auch den Bezug zur Umgebung herzustellen schafft. Das dichte Blätterwerk der Ranken- und Staudengewächse über den liegenden Dreieckfenstern wird die Sonne filtern und sogar die Biodiversität erhöhen. Von der Kaffeebar im Foyer blickt man zwischen den vielen Betonpfeilern durch den blühenden Vorhang auf die noch grünere Böschung der Limmat. Es ist Landschaft in vielen Schichten, immer mit Aussicht auf die Wasseroberfläche, und wer sich umdreht, schaut durch die Spiegel über der Bar wieder nach draussen.

Aussen roh und schwer, innen lichtdurchflutet – im Tanzhaus erprobt die Architektur einen Balanceakt zwischen Kraft und Schwerelosigkeit, harter Arbeit und Leichtigkeit. Dass es im Innern so viel Tageslicht gibt, ist (neben betrieblichen Erleichterungen wie Liftfahren) eine der Neuerungen gegenüber der früheren Maschinenhalle. In jedem Raum sind nun Tages- und sogar Jahreszeiten erlebbar. Und trotzdem ist es nicht Ost oder West, sondern die Bewegungsrichtung des Flusses, die zur Referenz der Raumfolge wird. Der rigide Rhythmus der Fassade verliert sich im Rauschen der Limmat.

Unsichtbarer Prestigebau

So selbstbewusst und von weitem sichtbar das Tanzhaus nun limmatseitig geworden ist – hangaufwärts bleibt alles beim Alten. Nach den Regeln des Brandstattrechts (gemäss Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich) muss der Ersatzneubau «dem zerstörten Gebäude hinsichtlich Art, Umfang und Lage weitgehend entsprechen». Deshalb ist der Tanzhaus-Neubau wie die einstige Maschinenhalle von der Wasserwerkstrasse her unsichtbar.

Trotz diesen Restriktionen reiht sich das Tanzhaus in den Worten des Hochbauamts in die in neuerer Zeit erstellten prestigeträchtigen städtischen Kulturbauten ein, nämlich zwischen den 2015 eröffneten Erweiterungsbau des Landesmuseums am Platzspitz und dem erwarteten neuen Kunsthaus am Heimplatz. Vielleicht ist das hier, zwischen Industrie- und Wohnquartier und ohne direkte Anbindung an den öffentlichen Verkehr, doch keine gleichwertig schwergewichtige Institution, aber die kleine Schweizer Tanzszene freut sich. Und das Limmatufer gewinnt ebenfalls, wenn sich die Kultur neben den ständig wachsenden Bricolagebauten der Partyszene mit einer repräsentativen Fassade bemerkbar macht.

Auch für die italienisch-spanischen Architekten Fabrizio Barozzi und Alberto Veiga ist das Tanzhaus ein kleines Projekt neben zwei grossen Schweizer Museen, nämlich ihrer 2016 eröffneten Erweiterung des Bündner Kunstmuseums in Chur und dem Lausanner Musée cantonal des Beaux-Arts, das zurzeit eingerichtet wird.

Ihr Projekt war das einzige unter den sechs eingereichten, das den oberen Teil der Fassade zurückversetzt hat und so den Bau dem Verlauf des Hangs angepasst hat. So schafft es zusätzlich eine öffentlich zugängliche Zwischenebene über dem Limmatweg, unter der grossen Terrasse zwischen der ehemaligen Seidenfabrik, den denkmalgeschützten Wohnhäusern und dem Gewerbebau mit dem kleineren Saal des Tanzhauses.

Wendepunkt im Denken über den Raum

Die industrielle Ästhetik des Architekturbüros aus Barcelona kommt nicht immer gut an. Gegenüber ihrem Lausanner Museum wurde bereits der Vorwurf laut, es gleiche einem Heizungsradiator. Ob der Ort hier zwischen Eisenbahnviadukten und Industriebauten sich für ihre Arbeiten besser eigne? «Es ist der Ort, der Landschaftsraum, der wichtig ist, wie diese Terrasse, auf der wir nun hier sitzen.» Alberto Veiga will nicht mehr über die Ästhetik einzelner Objekte sprechen. Die Architektur als einzelnes Objekt sei zu Beginn der Karriere sicher wichtig gewesen, jetzt aber fange etwas Neues an: «Bei diesem Bau haben wir begonnen, uns zu überlegen, welche Räume aus unserer Jugend in Erinnerung geblieben sind. Es sind die Plätze und Zwischenräume, der öffentliche Raum.»

Ist das kleine Gebäude also ein Wendepunkt in ihrer Haltung im Entwurf? Der Architekt sagt: Ja. Nun gilt es abzuwarten, was da noch kommt, wenn ein in die Böschung der Limmat versenkter Tiefbau zum Wendepunkt einer so erfolgreichen Karriere wird. Ihren Sinn für klare Formen haben die Architekten ja in keiner Weise aufgegeben – nur eben wohldosiert so in den Hang gesetzt, dass nicht nur die inneren Räume, sondern auch die Wege und Terrassen darum herum zum Tanz auffordern.

[ Das neue Tanzhaus Zürich wird im September 2019 eröffnet. Bis dahin werden Veranstaltungen wie bisher in den Räumen des Gewerbebaus an der Wasserwerkstrasse 129 durchgeführt. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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