Bauwerk

Brunnenmarkt - Umgestaltung
Ernst Maczek-Mateovics, Brigitta Maczek-Mateovics - Wien (A) - 2005

Brunnenmarkt, aufgespritzt

Er ist eine alte Wiener Institution. Eine Revitalisierungsgruppe will ihn vorm Vergammeln retten.

30. November 2002 - Ute Woltron
Rückblick: 29. Oktober 2002: Die Luft ist dick im Kent, dem türkischen Lokal in der Brunnengasse im 16. Wiener Gemeindebezirk. Ungefähr hundert Menschen füllen den Veranstaltungsraum, Rauch schwebt über den Köpfen, bald rauchen die Köpfe selbst. Der Brunnenmarkt versiegt, wir müssen handeln, darüber sind sich alle einig, die da sind: die Händler, österreichische wie türkische, die Anrainer, die Kunden, die Magistratsbediensteten, Bezirksvertreter, Baudirektoren und Architekten. Ihnen allen liegt der Brunnenmarkt am Herzen und alle sind sie betroffen, in vielfacher Weise. Die Anrainer wollen mehr Ruhe, weniger Verkehr. Die Händler sind es leid, ihre Verkaufsbuden ewig auf- und abzubauen, das Obst und Gemüse täglich neu ein- und auszuräumen. Die Kunden wollen mehr Qualität, Angebotsvielfalt in der Gastronomie und mehr Parkplätze.

Anrainer und Händler sind heute hier, um bei diesem ersten von sechs Planungstreffen jene vier Bürgervertreter zu wählen, die künftig mit den Magistratsabteilungen 19, 21a und 32 sowie politischen Entscheidungsträgern, Bautechnikern und dem Architektenehepaar Ernst und Brigitta Maczek-Mateovics bis September 2003 das Umgestaltungskonzept erarbeiten werden.

Die Umgestaltung beruht auf drei Säulen: Zuerst wird das Marktgebiet aufgewertet, dann wird der Marktraum gestaltet, und schließlich nimmt die Gebietsbetreuung Ottakring und der Stadterneuerungsfonds die Sanierung von Häusern um den Markt in Angriff.

Szenenwechsel: Kühl ist es am Brunnenmarkt, an diesem grauen, Novembersamstag. Der Atem hinterlässt bereits kleine Wölkchen in der Luft. Wenige Kunden tummeln sich am Markt. Kürbisse buhlen in ihrem Orange mit Mandarinen und Orangen um die Wette. Frische Maroni gibt es und hie und da noch eine Flasche Sturm.

Eine Gruppe türkischer Frauen prüft mit ihren kundigen Fingern einen Haufen knackig grüner Pfefferoni. So mancher davon findet keine Gnade in ihren erfahrenen Fingern. Schließlich füllen die Frauen zwei weiße Sackerln voll, bezahlen und gehen schwatzend weiter. „Heute biiilliger Madame“, ruft der Händler am Eck einer Kundin zu, die seine Ware beäugt. Als sie die Preise liest, runzelt sie die Stirn und geht. Am Würstelstand daneben lehnt ein dicker Mann im Parka an der Budel und taucht seine Burenwurst genüsslich in den Senf. Es duftet stark nach Fett und Wurst. Zu seinen Füßen rinnt seinem dicken, schon weißschnauzigen Hund der Speichel aus dem Maul. Die Würstelverkäuferin spricht angeregt mit ihm.

Eine altere Dame zieht ihren Einkaufstrolley hinter sich her, bleibt beim Fischhändler stehen und deutet auf einen großen Karpfen, der in der ovalen wassergefüllten Plastikwanne schwimmt. Sein letztes Stündlein hat geschlagen, der Händler fischt ihn heraus. Ein geübter Schlag, ein Zucken geht durch den Fischleib, noch ein Zucken, dann nichts mehr. Der Fischhändler schneidet dem Fisch den Bauch auf, mit wenigen Handgriffen nimmt er ihn aus, wäscht und verpackt ihn für seine Kundin. Ein Kind weint plötzlich. Eine kleine Türkin will sich nicht losreißen von diesen rosaroten Barbieimitaten, die ein indischer Tageshändler anbietet. Ihr Vater hat es eilig, zieht die Kleine weg, und die Tränen fließen.

Am Samstag und auch am Freitag finden sich auch Bauern aus der Umgebung Wiens unter den üblichen 190 Händler. Zwei ältere Waldviertler Bäuerinnen reiben sich ihre Hände. Wollene Handschuhe ohne Fingerkuppen bedecken ihre rissigen Hände, die vom Wühlen in den Erdäpfeln ganz erdig sind. Ein Stammkunde plaudert mit den beiden, sie lachen alle drei, der Kunde kauft zwei Kilo speckige Erdäpfel und verabschiedet sich. Seit 20 Jahren sind die beiden schon da, das Geschäft wir immer schlechter, aber beide beklagen sich nicht. Ums Eck in der Bäckerei erzählt der Bäcker Ähnliches. Seine Mohnstrudeln, Striezeln liegen auf der gläsernen Verkaufstheke, dahinter warten Kipferln, Krapfen, Semmeln und Brotlaibe auf die Käufer. „Ich bin schon vierzig Jahre da, aber meine Buben, die wollen das Geschäft nimmer machen, das ist ihnen zu anstrengend“, sagt Hans, der Bäckermeister aus dem Weinviertel. „Ich mache es auch eher noch aus Spaß, das Geschäft ist nicht mehr so wie es früher war.“ - „Aber geh, sag das doch net“, ruft ein blonder Mann dazwischen, „zu dir komme ich immer gern, und du verkaufst nicht so schlecht.“

Zurück in der Brunnengasse: Es sind nun deutlich mehr Kunden unterwegs. Plötzlich riecht es ganz stark nach würzigem Käse, der Käsestand von Herrn Ural ist ein Blickfang. Kostproben und Käse aus Frankreich, Spanien, Deutschland, den Niederlanden, England und mehr, der Käsehit der Woche, alles ist liebevoll präsentiert. Und dann das Dach: Darauf ist ein riesiges Käseeck, daneben eine Maus im blau-weiß-gestreiften Badetrikot, die den Käse anlacht. „Ich habe mir das ausgedacht und ein Freund hat es für mich gebaut“, strahlt Herr Ural, der junge türkische Käsehändler. Er ist für den Brunnenmarkt sehr engagiert und ist auch ein wenig der Sprecher der türkischen Händler. „Meine Arbeit hier ist hart, aber ich liebe sie, mir macht es nichts aus, wie die meisten hier vierzehn Stunden und mehr am Tag zu arbeiten, um zwei Uhr früh jeden Morgen auf den Großmarkt am Rande von Wien zu fahren, um meine Ware für den Tag zu holen; und vor allem - ich liebe Käse.“

Herr Ural ist auch einer der zwei Stellvertreter der Bürgervertreterin für die Händler, Frau Christine Böhm. Die „Christel“, wie sie die eingesessenen Händler respektvoll nennen, ist seit 30 Jahren mit ihrem Gemüsestand nahe der Thaliastraße am Markt. „Schon als kleines Mädchen bin ich mit meiner Mutter auf den Markt gefahren und habe Blumen verkauft.“ Ihre neue Aufgabe kam überraschend, aber ihre engagierte, resche und zugleich warmherzige Art überzeugte damals im Kent die meisten. „Wir müssen die ,gute Kunde' wieder zurückbringen. Die Supermärkte sind eine starke Konkurrenz, aber wir müssen am Markt endlich wieder beste Qualität bieten. Wir müssen besser präsentieren, die Ware muss frisch und g'schmackig aufgelegt sein. Was wir bräuchten, wäre ein Marktmanager, der auf das achtet, der die Händler auch schult.“

Ein wenig Angst geht auch um bei den Händlern, Anrainern und Kunden. Sie befürchten, dass der Markt sein Flair durch die Sanierung verlieren könnte oder dass er einfach zu teuer wird , wie es bei anderen jüngst sanierten Wiener Märkten der Fall war. Harry Lang, Leiter der Marktabteilung 16 des Marktamtes zerstreut diese Ängste. „Die monatliche Marktgebühr von 3,92 Euro pro m² ändert sich ja nicht. Aber wir müssen handeln. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, ist der Brunnenmarkt in ein paar Jahren abgewirtschaftet. Ich bin zuversichtlich, dass wir es gemeinsam schaffen, unseren Markt wieder aufleben zu lassen.“


Der Brunnenmarkt

Der Markt ist über hundert Jahre alt und der letzte permanente Straßenmarkt Europas. Er liegt im 16. Wiener Gemeindebezirk, beginnend von der Thaliastraße im Süden bis zum Yppenplatz im Norden 800 m entlang der Brunnengasse. Drei Straßenbahnlinien, 46er, J, 44er - sind mit dem langen Markt verbunden, aber keine einzige nennt ihn als Haltestelle. Ein Gemisch aus 17 Sprachen ist hörbar. 190 permanente und 13 ambulante Verkaufsbuden, d.h. ihre Platzlizenz wird täglich neu vergeben, eifern mit 200 Geschäftslokalen um täglich 2000 Kunden. Drei Viertel davon sind Einwanderer.


Der Markt des Architekten

Das Architektenehepaar Brigitta und Ernst Maczek-Mateovics über die Umgestaltung des Brunnenmarkts im 16. Wiener Gemeindebezirk.

Der Brunnenmarkt ist unser Lebens- und Arbeitsplatz, eines Tages, als wir wieder bis spät nachts gearbeitet haben, gingen wir von unserem nahen Büro hier ins Cafe C.I am Yppenplatz. Das hatte um Mitternacht noch eine warme Mahlzeit für uns", Brigitta Maczek-Mateovics schmunzelt und nimmt einen Zug von ihrer selbst gedrehten Zigarette. Ihr Mann Ernst fährt fort: „Vor einigen Jahren haben wir den Yppenplatz im Rahmen der EU-Gürtel-Plus-Förderung nach vielen Gesprächen mit den Händlern und Anrainern neu gestaltet.“ Wo einst wackelige Holzbuden standen, prägen neue fixe, hölzerne Verkaufsräume mit großen Blenden, in harmonisch abgestimmtem Blau und Grün gestrichen, die Nord- und Südseite des Yppenplatzes. Davor sind die flexiblen Verkaufsbuden.

Das künftige Konzept, den ganzen Brunnenmarkt umzugestalten, sollen die beiden im September 2003 vorlegen. Bis dahin gibt es sechs Planungstreffen mit gewählten Vertretern der Anrainer und Händler sowie mit Vertretern der Behörden. Im März 2003 werden sie ein Zwischenergebnis veröffentlichen. Während der Umgestaltung wird der Markt nicht ruhen. Während kleinere Adaptierungsarbeiten schon bald beginnen, ist der Abschluss bestenfalls 2005 zu erwarten. „Wir wollen die Vorteile des Brunnenmarkts, sein spezielles Flair hervorheben und die teilweise Verwahrlosung und schlechte Infrastruktur wegbringen. Immer weniger Leute kaufen hier ein. Die Menschen empfinden Supermärkte als praktischer. Und dann ist die Ware am Markt nicht immer einwandfrei und nicht immer gut präsentiert. Ein Marktmanager, der auf gute Präsentation schaut, fehlt einfach. Dabei erlebe ich hier am Markt Flair, Kontakt, Genuss und Buntheit, das finde ich nicht im Supermarkt“, meint Brigitta Maczek-Mateovics.

„Es ist viel Arbeit, einen Platz, einen Markt zu gestalten“, so ihr Mann Ernst. „Es braucht Zeit, bis ich weiß, was gut, schön und zugleich funktionell für den Platz ist. Mir scheint manchmal, dass die Leute meinen, der Architekt weiß auf Anhieb, welcher Belag, welche Farben, Einbauten passen. Die sechs neuen Bäume hier am Yppenplatz zum Beispiel, haben wir nicht nur einfach so gepflanzt. Wir haben Raum, Beschattungsfläche, Bewässerungsmöglichkeiten, Kurvenradien für Lastwagen ebenso berücksichtigt wie genügend Freifläche für ein Freiluftkino oder einen Schanigarten. Und letztendlich zeigen die Bäume genau die alten Grenzen der Marktbuden an.“ Dass viele Besucher die mannigfachen Funktionen der Gestaltung zumeist übersehen, stört Ernst Maczek-Mateovics wenig. „Wichtig ist, dass die, die es benutzen, auch zufrieden sind. Und alle Übrigen haben zumindest ein ganz anderes Erlebnis, wenn sie über einen gestalteten Platz gehen, statt über eine Asphaltfläche.“

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