Bauwerk

Haus W.
DornerMatt Architekten - Bregenz (A) - 2003
Haus W., Foto: Bruno Klomfar
Haus W., Foto: Bruno Klomfar
Haus W., Foto: Bruno Klomfar
6. Dezember 2003 - Az W
Ursprünglich als Dachausbau eines gepflegten Bürgerhauses konzipiert, hat sich der Entwurf einer Wohnung schließlich aus seiner „honorigen“ Hülle befreit und auf die verbliebene, schmale Gartenfläche gestülpt. Diese Umkehrung spiegelt sich auch vermeintlich in den nach innen geschuppten und unbehandelten Fassadenplatten. Eine gläserne Verbindungsbrücke im obersten Geschoß zeugt noch als verbliebene Nabelschnur von diesem Prozess.

Unbeeindruckt von lokalen Gepflogenheiten hat sich Christian Matt hier bei seiner Rückkehr in seine Heimatstadt einen unbequemen Auftritt verschafft. Vier Jahre Gestaltungserfahrung in der Zusammenarbeit mit und für Jean Nouvel - ein Jahr in seinem Pariser Büro und drei Jahre als Projektpartner für den Umbau eines der Gasometer in Wien - prallten hier auf bauamtliche Gemütlichkeiten wie „Bregenz ist eine verputzte Stadt“. Ganz Vorarlberg ein Architekturwunderland? Mitnichten. Ein Gestaltungsbeirat, der in Bregenz zu Beginn der 1980er gebildet worden war und dessen Aufgabe auch sicher die Mediation zwischen Einzelgebäude und öffentlichem Raum wäre, konnte sich hier nie regelmässig etablieren, und so sind es die Diplomingenieure „Politik“ und „Besitz“, die hier seit geraumer Zeit Stadtentwicklung betreiben. Matt´s überzeugte Beharrlichkeit hat einen Aufprall sicher nicht um jeden Preis zu vermeiden versucht, doch war er immerhin deutlich genug, um hohle Stellen hörbar zu machen.

Drei Jahre sind seit den ersten Gesprächen mit den Bauherren vergangen und diese Zeit hat dem Haus und seiner gestalterischen Dichte gut getan. Gleich zu Beginn konnten sie durch eine Reihe von ausgesuchten internationalen Beispielen von den Möglichkeiten zeitgenössischer Architektur überzeugt werden. Die klassischen Wohnbedürfnisse und persönliche Assoziationen des Planers waren Ausgangspunkte für einem entspannten Reifungsprozess, an dessen heutiges Ergebnis sich Bauherr und Planer in vielen Varianten sorgsam herangetastet haben.

Aus der Beengtheit des Grundstücks und dem Wunsch nach Intimität entspann sich der Entwurf einer komprimierten und zugleich urbanen Raumstruktur, die weil grundsätzlich gedacht, zu technisch innovativen und ästhetisch spannungsvollen Lösungen fähig war. Dieses Selbstverständnis eines von Grund auf neu Denkenden, die Idee von Architektur als Erfindung, ist nicht nur ein potentieller Reibungspunkt zu einem sentimentalen Konservativismus, sondern auch zum Credo der „innovativen Tradition“ vieler ehemaliger Baukünstler. Dorner - Matt sind damit vielleicht exemplarisch für eine neue Tendenz in Vorarlberg, die sich noch dem Diskurs stellen muss.

Die Materialisierung sah für das Gebäudeinnere den strengen Dreiklang von Sichtbeton, Holz und Glas vor. Das besonders ausgewogene Verhältnis einer einheitlichen Holzoberfläche und des Sichtbetons überzeugt in seiner strengen Eleganz, und die sorgfältige Abstimmung von Schalungsbild und Holzverlauf unterstreichen subtil die Raumrichtungen. Der formalen Präzision wegen und um für Wand, Boden und die Auskleidung der offenen Dachterrasse ein durchgehendes Material verwenden zu können, wurde auch kein regionales Weichholz verwendet, sondern das sehr widerstandsfähige und stark zeichnende Afromosia, ein afrikanisches Tropenholz, das immerhin bereits strengen Handelsbeschränkungen unterliegt.

Im Drang zur Materialminimierung entschied man sich bei den tragenden Wandscheiben für Faserbeton, dessen nur 15 cm schlanker Querschnitt in kritischen Randbereichen mit Bewehrungsstahl verstärkt wurde. Solcherart ausgedünnt wurde die gesamte Installationsführung kurzerhand an die Außenseite in die Dämmung gepackt und über einzelne Durchlässe mit dem Innenraum verbunden. Eingehängte Stahlplatten bilden den oben beschriebenen Schutzpanzer nach außen.

In dem stählernen Kubus verbirgt sich ein Splitlevel, der mit einer überhohen, repräsentativen Eingangshalle beginnt, diesen Versatz durch das gesamte Gebäude schiebt und oben in der brüstungshohen Einfassung einer Dachterrasse endet. Die Raumhöhen verkürzen sich allerdings nach oben hin und die betonte Höhe von 3,15 m im Eingang und 2,90 m in den Zimmern verkehrt sich im Wohnbereich mit seinen 2,30 m zu einer auffallend flachen Proportion, die sich durch die offene Raumfolge von Wohnzimmer, Wohnküche und Verbindungssteg zu einer horizontalen Grosszügigkeit entwickelt. Die präzis gesetzten Gebäudeöffnungen holen den umgebenden Baumbestand und einzelne Ausblicke wie Bilder ins Innere, umgehen aber geschickt den direkten Kontakt mit den dicht angrenzenden Nachbargebäuden. Die Ausrichtung des Wohnens nach oben entspricht einem Lebensgefühl, trifft sich aber auch mit der funktionellen Anbindung an das ausgebaute Dachgeschoß, das - jetzt nur mehr grosszügige Reservefläche - viel Raum für zukünftige Veränderungen lässt.

Die Oberflächen des Hauses in der Plattenstrasse sind tatsächlich echte „Rückseiten“, denn der 4mm dicke Stahl wurde mit keiner künstlichen Rostpatina versehen, sondern zeigt fürs erste noch deutlich die fleckigen Montagespuren, Kratzer und das ölige Schimmern an den rückseitigen Schweißstellen. Doch steht dahinter, wie bei einer Reihe anderer Ungewöhnlichkeiten die Logik neu gedachter Lösungen.

Nach dem Bild einer Auster entwickelt sich das Gebäude im Inneren aber zu fein komponierter Eleganz. Ab der Schwelle der Eingangstür wird die Rebellion zum gepflegten Hedonismus, der die benachbarte Bescheidenheit weit überholt. Solcherart Distanzierung konnte natürlich nicht folgenlos bleiben. In einer Reihe von Reaktionen findet man erst nach und nach zu einem Modus Vivendi. Denn was in einem urbanen Kontext als Bereicherung erlebt wird, gerät in einem sorgsam gepflegten Dorfbild zur aggressiven Störung. (Text: Robert Fabach, aus: architektur aktuell 11, 2003)

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Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

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