Bauwerk

Bezirksgericht Seekirchen
g.o.y.a. - Seekirchen am Wallersee (A) - 2022
Bezirksgericht Seekirchen, Foto: Kurt Hörbst
Bezirksgericht Seekirchen, Foto: Kurt Hörbst
15. Januar 2024 - Initiative Architektur
Seekirchen zählt zu den traditionsreichsten Orten Salzburgs. Im Jahr 2000 zur Stadtgemeinde erhoben, stieg sie dank der zentralen Lage im Flachgau 2023 zur offiziellen Hauptstadt des Bezirks Salzburg-Umgebung auf. Damit einher ging, dass wichtige öffentliche Einrichtungen in die an der Westbahnstrecke gelegene Gemeinde verlagert wurden. Dazu zählen die Bezirkshauptmannschaft (siehe: https://www.nextroom.at/building.php?id=40730 ) sowie das neu geschaffene Bezirksgericht für den Flachgau, das dank der unter Alma Zadic durchgeführten Justizreform nun drei vormals getrennte Gerichtssprengel an einem Standort vereint.
Der kompakte viergeschossiger Baukörper des Bezirksgerichts fällt durch breite quadratische Sichtbetonfaschen ins Auge, welche die Fensteröffnungen betonen. Der Eingang an der Süd-Ost-Ecke des Baukörpers wird durch ein Vordach, das als einziges Element aus dem Baukörper vorspringt, gekennzeichnet. Bemerkenswert ist die Gestaltung der Lochfassade: Ihre Nullfläche besteht aus einem gekämmten Putz, der dazu einlädt betastet und begriffen zu werden. Wohltuend ist die Klopfprobe mit dem Knöchel, bei der man sogleich die satte Masse eines Dickputzes verspürt und nicht den hohlen Klang des Vollwärmeschutzes. Der Kammzug aus gerundeten Stegen und Nuten bildet eine vertikale Schraffur aus Licht und Schatten. An den horizontalen Schnittstellen, die beim Abziehen mit einem breiten Kamm durch den Maurer im noch feuchten Putz zwangsläufig entstehen, wurde so exakt gearbeitet, dass die Stöße selbst bei genauem Hinsehen kaum auszumachen sind. Im Streiflicht erscheint die Fassade wie ein Teppich, in den Sichtfenster wie Pailletten eingewirkt sind.
Konstruktiv gesehen bildet ein Sockel aus Ortbeton die Basis für das aufgehende Mauerwerk. Dieses besteht aus einer 50 cm starken Wand aus gedämmten Hochlochziegeln. Vor den Verglasungen im Erdgeschoß nehmen stehende Holzlamellen die vertikale Struktur der Kammzüge des Putzes auf. Diese hölzernen Screens bilden den Sichtschutz zu den im Erdgeschoß liegenden Verhandlungssälen.
Nachdem man das Haus betreten und die obligate Sicherheitsschleuse passiert hat, wird man von einem Licht durchfluteten über alle vier Geschoße reichenden Atrium in Empfang genommen. So wie das oben erwähnte Vordach dem Benutzer den Weg in das Justizgebäude signalisiert, so übersichtlich stellt sich die Orientierung im Haus dar. Mit einem einzigen Blick erschließt sich die Ordnung des Hauses mit den Räumen für die Rechtsprechung auf der Eingangsebene und den Büros des Gerichtspersonals in den darüberliegenden Geschoßen.
Die an der Fassade ablesbare Reduktion auf wenige Materialien wurde im Innenleben konsequent weitergeführt. In der aufgehenden Wand des über alle Geschoße reichenden Atriums kommt roher Sichtbeton zum Einsatz, der Gangbereichen vor Verhandlungssäle sandgestrahlt wurde. Ein geschliffener Beton-Estrich in den Erschließungszonen, Holz an den Brüstungen und den Fußböden der Büros bestimmen das puristische Erscheinungsbild.
In der Auseinandersetzung über eine ökologisch sinnvolle Bauweise nimmt das Objekt eine bemerkenswerte Position ein. Der kompakte Baukörper und die Verwendung eines hochdämmenden Ziegels sind konstitutiv für die Erfüllung dieses Ziels, bei der auch die Reduktion von Fensterflächen eine Rolle spielt. Dass es deswegen weder an Tageslicht noch an Frischluft mangelt, dafür sorgt unter anderem das zentrale Atrium, über dessen integrierte Nachtlüftung das Raumklima geregelt und das Gebäude in den Sommermonaten auf natürliche und umweltschonende Weise ohne Einsatz von Energie gekühlt werden kann. Die Energieversorgung erfolgt über den Anschluss an das Nahwärmenetz, wobei die Fotovoltaikanlage am Dach einen wichtigen Teil der Stromversorgung übernimmt.
In der eingangs zitierten Justizreform geht es inhaltlich um Bürgernähe, um Transparenz und auch um die Steigerung der Akzeptanz des Rechtssystems durch einen gleichberechtigten Zugang zur Rechtsprechung. Der robuste Charakter dieses Baues, die Qualität der verarbeiteten Materialien, aber auch die klare Wegführung und die präzise Gestaltung der Details bilden eine universell verständliche Botschaft, die eigentlich keiner Worte bedarf. Sie steht sinnbildlich für eine Justiz, welche die Willkür, wie sie uns in Franz Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“ begegnet, endgültig überwunden hat. Roman Höllbacher

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Initiative Architektur

Ansprechpartner:in für diese Seite: Clara Kanzoffice[at]initiativearchitektur.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
ARE Austrian Real Estate Development GmbH

Tragwerksplanung

Fotografie