Bauwerk

Mercedes-Benz-Museum
UNStudio - Stuttgart (D) - 2006
Mercedes-Benz-Museum, Foto: Hans Ege
Mercedes-Benz-Museum, Foto: Hans Ege

Tempel des Computerzeitalters

Das neue Mercedes-Benz-Museum von UN-Studio in Stuttgart - ein spannendes baukünstlerisches Experiment

Nach nur viereinhalbjähriger Planungs- und Bauzeit kann heute in Stuttgart das neue Mercedes-Benz-Museum eingeweiht werden. Der Autotempel ist ein Meisterwerk der computergestützten Architektur.

19. Mai 2006 - Roman Hollenstein
In der Museumsarchitektur, die sich seit langem schon als baukünstlerische Königsdisziplin versteht, überstürzen sich derzeit die Ereignisse. Zog jüngst das De Young Museum von Herzog & de Meuron in San Francisco alle Aufmerksamkeit auf sich, so dürfte bald schon das Bostoner ICA der Expo-Wolkenbauer Diller & Scofidio in aller Munde sein. Und heute wird in Stuttgart ein weiteres ungewöhnliches Ausstellungshaus eröffnet: das Mercedes-Benz-Museum. Mit dem am Rand des DaimlerChrysler-Areals in Untertürkheim gelegenen Autotempel ist Ben van Berkel, dem Vordenker des Amsterdamer UN-Studios, ein Meilenstein der computergestützten Baukunst gelungen. Diese amorphe Bauplastik, die bald an ein geknautschtes Raumschiff, bald an die Guggenheim-Schnecke von Frank Lloyd Wright oder an einen Autosilo erinnert, setzt der seit Le Corbusier gepflegten Liebesbeziehung zwischen Architektur und Auto ein Denkmal und definiert zugleich den umbauten Raum ganz neu.

Monument an der Hochstrasse

Den Autofahrern, die auf der sechsspurigen Hochstrasse zwischen den Fahrzeugwerken und dem Gottlieb-Daimler-Stadion das von Waldhügeln und Weinbergen gefasste Neckartal queren, brennt sich die Baufigur unweigerlich ins Gedächtnis ein. Dieses Monument, das aus dem Vorstadtchaos einen Ort macht, aber auch für die überholte Idee einer autogerechten Stadtentwicklung zu werben scheint, ist hier seit den dreissiger Jahren nun schon das dritte Haus, in welchem die Geschichte des Autos am Beispiel der Marke Mercedes zelebriert wird. Nötig wurde es, weil der architektonisch wertvolle, 1961 von Gutbier und Kammerer errichtete Vorgängerbau für die wachsende Zahl von Exponaten und die mittlerweile jährlich gut 500 000 Besucher zu eng geworden war. Den Bauwettbewerb konnte UN- Studio Anfang 2002 für sich entscheiden: Van Berkel schlug ein organisches Volumen über kleeblattförmigem Grundriss vor, das aus einem hügelartig gewellten Sockelgebäude herauswächst. Der unkonventionelle, auf dem abstrakten mathematischen Modell einer Doppelhelix basierende Entwurf konnte - ausgehend von Maquetten, die aus Papier und Draht gebastelt wurden - nur dank fortschrittlichen Computerprogrammen errechnet werden.

Damit aber erwies sich das Projekt von UN- Studio als Herausforderung, welche die Bauherrschaft umso lieber annahm, als sie sich von ihm ein bauliches Symbol für die Innovationskraft von Mercedes-Benz versprach. Zudem ermöglichte van Berkels Idee der «offenen Planung» eine prozessuale Anpassung der hochkomplexen Entwürfe während der knapp angesetzten Entstehungsphase. Den Neubau könnte man angesichts der ungewohnten Hülle als ein weiteres Architekturspektakel abtun. Doch im Innern entpuppt er sich als geniales Raumgefüge, das von Kritikern euphorisch, aber ungenau als barock bezeichnet wurde. Ähnlich expressiv wie die verschlungenen Raumsequenzen wirkt das Äussere mit seinen matt schimmernden Alu-Flächen und dem endlosen Fensterband, das sich wie die kreisförmig geschälte Haut eines Apfels um das Gebäude zieht und so die Haifischzähne des Stützenkranzes sichtbar macht. Auch wenn hier van Berkel ganz offensichtlich dem weltweiten Trend hin zur skulpturalen Bauform folgte, galt seine auf «Designmodellen» basierende Entwurfsstrategie doch in erster Linie der Schaffung eines subtil vom Licht modellierten Raums, wie er ihn einst während seiner Wanderjahre in Calatravas Meisterwerk, der Höhle des Zürcher Bahnhofs Stadelhofen, kennen gelernt hatte.

Dunkle Kavernen spielen auch in Untertürkheim eine Rolle. Zusammen mit hellen Ausstellungsflächen, introvertierten Rampen und aussichtsreichen Treppenwegen machen sie das Gebäudeinnere zu einer jener fliessenden architektonischen Landschaften, die seit Rem Koolhaas' Rotterdamer «Kunsthal» und dem Weltausstellungspavillon von MVRDV in Hannover den niederländischen Diskurs bestimmen. Doch erst im Mercedes-Benz-Museum verdichtet diese sich - von allem Anekdotischen befreit - zu einer schlüssigen Einheit von Form und Funktion, die alle ehedem gegenüber den Plänen und Modellen gehegten Bedenken vergessen macht. In der kraterartigen, an den Raketenhangar eines Bond- Films erinnernden Eingangshalle, dem einzigen Innenraum, in welchem man das Gebäude fast in seinen gesamten 47 Metern Höhe erfassen kann, wird deutlich sichtbar, wie sich UN-Studio mit Hilfe des Stuttgarter Meisteringenieurs Werner Sobek bis an die Grenzen des zurzeit technisch Machbaren vorgewagt hat.

Das Licht und der Beton

Vier riesige, zweifach gekrümmte Betonträger, die propellerartig aus den drei vertikalen Erschliessungskernen herauswachsen, tragen die halbrunden, auf neun Ebenen ineinander verschliffenen Ausstellungsräume, deren 33 Meter weit sich stützenlos spannende Decken das Gewicht von bis zu 10 Lastwagen aushalten müssen. Die Plastizität des von stets anders einfallendem Licht modellierten Betons lässt an Eero Saarinens New Yorker TWA-Terminal und andere Betonplastiken der fünfziger und sechziger Jahre denken. Damit aber verkörpert dieses Bauwerk eher künstlerische Individualität als jene geschliffene architektonische Anonymität, die in van Berkels zwischen «Art and Airport» pendelnder Recherche sonst ebenfalls eine Rolle spielt.

Zwei gegenläufig verschränkte Wege erschliessen ein Raumkontinuum, das jede Vorstellungskraft zu sprengen scheint. Diese «promenade architecturale», die schon kahl und leer begeistern könnte, diente nun dem Stuttgarter Büro HG Merz als Bühne für eine suggestive Inszenierung der 1500 Exponate: von kleinen Mercedes- Gadgets bis hin zum Papamobil und zu 170 weiteren Fahrzeugen. Den 16 000 Quadratmeter grossen, spiralförmig absteigenden Ausstellungsbereich erreicht man in einer der drei an Science- Fiction-Filme der Nachkriegszeit erinnernden Fahrstuhl-Kapseln, die einen durch eine weisse Stoffwolke hinauf auf eine sternförmige Brücke unter dem verglasten Oberlicht tragen. Dort wird man von einer Pferde-Installation und den ersten, noch kutschenartigen Automobilen empfangen. Nach einem kurzen Blick hinunter ins Atrium hat man die Wahl zwischen den beiden einander entgegengesetzten Abstiegen durch die acht abgedunkelten, im Geist der jeweiligen Epoche gestalteten Räume der Mercedes-Mythen oder durch die taghellen Hallen mit den thematischen Fahrzeugpräsentationen. Sichtbezüge nach aussen auf Autobahn und Stadtlandschaft oder quer durch das Atrium lassen das Labyrinth transparent erscheinen, so dass man ganz unbeschwert zwischen den Ausstellungswelten wechselt.

Nach einem 1,5 bis 5 Kilometer langen Hin und Her und Auf und Ab erreicht man auf beiden Rundgängen die von Motorengeheul erfüllte Ebene des Autorennsports, wo eine gekurvte Rennstrecke mit 34 Flitzern fast das ganze Geschoss einnimmt. Anschliessend gelangt man über eine skulpturale, orangefarbene Treppe hinunter zum Restaurant auf Eingangsniveau und weiter zu den neusten Fahrzeugmodellen im allen Besuchern frei zugänglichen Tiefgeschoss. Von dort mäandert ein unterirdischer Weg vorbei an verglasten Restaurants, Shops und Lichthöfen durch den Sockelbau hinüber zum Mercedes- Benz-Center genannten Verkaufsgebäude. Dieses wächst ebenfalls aus der von UN-Studio konzipierten und von lokalen Gartenarchitekten etwas nüchtern umgesetzten Sockellandschaft heraus, wurde aber von Christoph Kohlbecker nach den restriktiven Vorgaben von DaimlerChrysler ganz wie eine unpersönliche Messehalle gestaltet. Diese sterile Hochglanzarchitektur beweist allen, die noch Vorbehalte gegenüber van Berkels Extravaganzen hegten, dass solche baukünstlerische Experimente immer wieder auch architektonischen Mehrwert schaffen können.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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