Bauwerk

Wohnhaus mit Atelier
Franz Schartner - Nitzing (A) - 2001

Fenster nur dort, wo man sie braucht

Modern bauen in einem niederösterreichischen Angerdorf? Wie einer gewachsenen Dorfstruktur und zeitgemäßen Anforderungen entsprochen werden kann, zeigt ein Wohnhaus in vorgefertigter Holzbauweise im Tullnerfeld.

4. Mai 2002 - Franziska Leeb
In Nitzing scheint die ländliche Idylle noch in Ordnung zu sein. Das kleine Angerdorf liegt malerisch und abseits der Hauptverkehrsrouten im Tullnerfeld. Den breiten Dorfplatz mit altem Baumbestand flankieren Bauernhäuser. Kirche und Feuerwehrhaus stehen strategisch günstig in der Platzachse. So, wie es immer schon gewesen ist: ruhig, überschaubar und auch ein bisschen verschlafen. Auffallend ist nur ein Neubau. Nein, die Ruhe und das Ortsbild stört er überhaupt nicht, im Gegenteil. Ungewöhnlich ist nur, wie hier ein Weg gefunden wurde, traditionelle Lösungen in das Heute hinüberzuführen.

Anstelle eines nicht mehr zu rettenden Bauernhauses errichtete sich die Bauherrenfamilie ein Wohnhaus mit angeschlossenem Grafikatelier. Straßenseitig erstreckt sich der Wohnteil, dahinter liegt das kleine Atelierhaus. Ein Flugdach überdeckt einen Eingangshof, von dem aus beide Einheiten getrennt erschlossen werden. Isoliert betrachtet, irritiert zunächst die recht verschlossen wirkende Straßenfassade. Es gibt nur ein Oberlichtband und zwei Fenster. Der Grund dafür: Dahinter liegen nur Neben- und Wirtschaftsräume. Das Wohnhaus ist zweihüftig strukturiert. Der schmälere vordere Nebenraumtrakt ist - um der Einheitlichkeit des Straßenbildes Rechnung zu tragen - mit einem steilen Pultdach versehen. Der hintere Teil ist niedriger und flach gedeckt. Getrennt durch einen Mittelgang, liegen hier ein großer Wohnraum und drei Zimmer, die zum Garten hin über die gesamte Raumbreite und Höhe geöffnet sind.

Zwischen Wohnhaus und unterkellertem Atelier entstand ein windgeschützter Aufenthaltsbereich im Freien. Umlaufende Holzroste bilden Schwellen zwischen Innenraum und Garten, und vom Atelierhaus leitet eine Sonnenterrasse in den Badeteich über. Wohnen, Arbeiten und Erholung liegen ganz nahe beieinander und sind räumlich doch so strukturiert, dass alles ungestört nebeneinander ablaufen kann. Im Gegensatz zu freistehenden Häusern auf neu parzellierten Baugründen am Dorfrand ist man - eingebettet in die geschlossene Bebauungsstruktur - ungestört.

Warum aber muss sich die Vorderansicht so verschlossen geben? Architekt Franz Schartner hat dafür überzeugende Argumente: Erstens ist hier Norden und zweitens hat man auf dem Land immer nur dort Öffnungen gemacht, wo man sie gebraucht hat. In unmittelbarer Nachbarschaft findet man gleich die Belegbeispiele: Bauernhöfe, deren Wirtschaftstrakte und Stallungen an der Straßenseite liegen und deren Fassaden neben der großen Einfahrt nichts als eine lange weiße Wand sind, bevor dann irgendwann drei kleine Fenster anzeigen, dass dahinter ein Raum liegt, in dem man Licht und Aussicht braucht.

Wohnen auf dem Land sieht heute für junge Familien in Niederösterreich meist so aus: Mangels leistbarer und adäquater Wohnungen ist der Bau eines eigenen Hauses meist die vernünftigste Lösung. Das Land bietet ganz gute Förderungen, und mit viel Eigenleistung geht sich die Finanzierung schon irgendwie aus. Gebaut wird meist außerhalb der Dorfzentren, wo die Gemeinden für diesen Zweck Bauparzellen um die 800 Quadratmeter anbieten. Innerhalb der gewachsenen Strukturen stehen im Gegenzug jedoch zahllose ehemalige Bauernhäuser leer und sind dem Verfall preisgegeben. Sie zu adaptieren und zu renovieren ist langwierig und teuer. Für qualitätsvolle Neubauten in geschlossener Bauweise sind taugliche Vorbilder rar. Das Haus in Nitzing zeigt, wie ländliche Strukturen auch für Nichtbauern sinnvoll Lebensraum bieten können, wenn man Erprobtes und Neues kreativ verbindet.

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Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Peter Schmircher
Ursula Schmircher

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Fotografie

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