Bauwerk

MPREIS
Dominique Perrault - Wattens (A) - 2000

Kristalliner Käfig für Kiefern

Ein Supermarkt von Dominique Perrault in Tirol

2. Februar 2001 - Gert Walden
Das österreichische Bundesland Tirol ist für Dominique Perrault, den Architekten der viel diskutierten Bibliothèque nationale de France in Paris, so etwas wie ein Reduit. Hier hat er an Kitzbühels Bewerbung für die Olympischen Spiele mitgearbeitet, hier hat er den Wettbewerb um die Erweiterung des Innsbrucker Rathauses gewonnen - und die Aussichten auf eine Realisierung sind trotz dem eher trüben Kulturklima der Landeshauptstadt (erinnert sei an Zaha Hadids Probleme mit der Bergisel-Sprungschanze) gut. Noch besser für Perrault ist, dass im Dezember 2000 sein Supermarkt für die Firma «M-Preis» in der Unterinntaler Industriegemeinde Wattens nach nur 19 Wochen Bauzeit fertiggestellt werden konnte. Und zwar an einer urbanistisch nicht ganz einfachen Stelle: direkt gegenüber André Hellers Kristallwelten-Spektakel, der Ortsausfahrt und dem Übergang zur Agrarlandschaft.

Perraults Antwort auf diese Situation ist getragen von grosser Gelassenheit, er reagiert mit einem Solitär und erreicht dennoch die Einbindung seines Baukörpers in diese periphere Lage. Eine orthogonale Struktur, die dem Bautypus entgegenkommt, bildet die ruhige Basis für eine architektonische Geste, die gezielt den Rahmen der kommerziellen Nutzung relativiert. In den Raster des Gebäudes ist nämlich ein gewelltes Gerüst aus vertikalen Stahlträgern und Drähten eingeschrieben, die gleichsam wie ein Zaun neun Kiefern umfassen. Eine solche Einfriedung fällt ins Auge, macht aufmerksam. Aber sie verweist auf mehr: Zum einen bringen die hochalpinen Gewächse die Natur wieder symbolisch ins Tal herunter, zum anderen instrumentieren sie die visuelle Aufhebung der Grenzen zwischen innen und aussen. Diesem Implantieren eines biologisch generierten Artefakts eignet allerdings auch ein Widerspruch, ein Widerspruch, der sich in der Beziehung zwischen der Natur und ihrer zivilisatorischen Aneignung wieder findet: unmittelbar an Ort und Stelle nachvollziehbar und vom Architekten in seinem Mikrokosmos ästhetisiert.

Perraults «Käfig für Kiefern» schwingt aus, zieht sich zurück, erinnert ein wenig an das biomorphe Design der fünfziger Jahre, schafft Raum und antwortet ebenso irritierend wie formal überzeugend der orthogonalen Struktur der Verkaufshalle. Der französische Architekt äusserte selbst, dass er in Wattens «einen Kristall» bauen wollte. Dazu ist die Zeit günstig, denn die Industrie liefert dafür die geeigneten Mittel. So sind in die schmalen Profile der Metallrahmen Glasflächen mit transparenter Wärmedämmung eingefügt. Die wohlproportionierten Fassaden schimmern opak, grünlich bis weiss - je nach Witterung - und erzeugen den beabsichtigten, trendigen Entmaterialisierungseffekt. Das Spiel mit der Irritation setzt Perrault im Inneren fort. Hier ist nichts mehr vom Zarten, vom Transparenten zu spüren. Kräftige silberfarbige Fachwerkträger gliedern die 800 Quadratmeter grosse Halle, den Plafond bilden OSB-Platten mit ihren überlappenden, hellen Holzschichten, während der Boden aus schwarzen Platten den entsprechenden Kontrast liefert.

Die Halle leistet jedoch mehr, als nur den neusten Stand der Ingenieurskunst zu präsentieren. Perrault inszeniert mit einfachen Mitteln eine Abfolge im Räumlichen, die innerhalb der vorgegebenen Struktur funktioniert. Der Architekt hat nämlich die äusseren Regale parallel zu den Schmalseiten des Gebäudes positioniert, während zum Mittelpunkt hin die Verkaufsstände den beiden Längsseiten folgen. Auf diese Weise entsteht ein für Benutzer sinnvoller Kreislauf ohne Sackgassen, überschaubar, logisch und mit Blick nach aussen. Perrault bricht in Wattens mit dem vorherrschenden Typus der schlecht beleuchteten Black Boxes üblicher Verkaufslokalitäten, er inszeniert unterschiedliche Raumerlebnisse und muss dabei nicht auf die dubiosen Mittel des Event-Marketings zurückgreifen. Die Architektur allein reicht aus, um eine Bauaufgabe wieder aufzuwerten, die landläufig zur Unwirtlichkeit vorab der kleineren Gemeinden beiträgt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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