Bauwerk

Furtenbachhaus
Bruno Spagolla, Wolfgang Ritsch Architekten - Feldkirch (A) - 2000
Furtenbachhaus, Foto: Bruno Klomfar
Furtenbachhaus, Foto: Bruno Klomfar
Furtenbachhaus, Foto: Bruno Klomfar
Furtenbachhaus, Foto: Bruno Klomfar
14. September 2003 - Az W
Feldkirch ist eine Kleinstadt mit bewegter Geschichte, gewachsen an einer dramatischen Schüsselstelle alpiner Landschaft, ausgezeichnet durch seinen vitalen Stadtkern und einen kulturellen Anspruch, der in den letzten Jahren auch dem neuen Bauen im historischen Umfeld Raum gibt. Der Bau von Spagolla/Ritsch bietet eine Modellstudie des modernen Weiterbauens an einer von mittelalterlicher Substanz geprägten Altstadt. Er transformiert eine komplizierte Baulücke in ein überraschend grosszügiges Raumgefüge, offen für die wandelbare Schichtung verschiedener Nutzungen, und er aktiviert auch vorher unerkannte Qualitäten im integrierten und renovierten Altbestand. Das Konzept der Architekten gerät aber dort ins Wanken, wo einer der Hauptnutzer seine Corporate Identity darüberstülpt, wo eine überregional agierende Handelskette ihre grobmaschigen Raum- und Designmuster auf die lokalen sozio-räumlichen Verhältnisse aufpfropft. Wo also die architektonische Modernisierung subtil aufs Stadtgewebe reagiert und es für Neues öffnet, dreht die Nutzung mit Ihrer Art der kommerziellen Modernisierung das Rad der Zeit zurück. Fazit: Wenn Kleinstädte profund urban nachrüsten, kann vordergründig Grossstädtisches dies da und dort offenbar nur provinziell missverstehen.

Auch im ländlichen Raum werden die alten Stadtkerne seit Jahrzehnten von peripher errichteten Einkaufszentren konkurrenziert. Im Gegensatz zu diesen Monostrukturen sind sie jedoch vielschichtig und abwechslungsreich, und zwar baulich, räumlich und funktionell. Ihr Manko liegt primär darin, dass sie nicht für den Autoverkehr geplant sind und dass es nicht ausreichend Parkplätze gibt. Ein Pionier der amerikanischen Shopping Center, Viktor Gruen, wollte diese Nachteile – speziell der Wiener City – dadurch beseitigen, dass er entlang der Ringstrasse eine Kette von Tiefgaragen plante und von da auch die unterirdische Zulieferung ins Zentrum vorsah, während die gesamte Innenstadt mit ihren engen Gassen und Strassen autofrei sein sollte, nur den Fussgängern und lokalen Zufahrten vorbehalten.

Von diesem Modell hat Feldkirch im kleinen Massstab nun einiges verwirklicht. Direkt am Zentrum entstand unter den Wiesen des Reichfeldes am südlichen Ill-Ufer eine grosse Tiefgarage mit feinen, gläsernen Aufgangs-Pavillons. Der schon länger bestehende Illsteg von Martin Häusle führt von da auf kürzestem Weg durch die Zeughausgasse ins Zentrum, und an dieser Gehlinie vom grossen Mass des Bezirksgerichtes und der Stella Matutina über den Flussraum zu den mittelalterlichen Lauben des Marktplatzes markiert das Furtenbachhaus ein neuen Fokus mit Geschäftsetagen, Büroflächen, exquisiten Terrassenwohnungen, Gastronomie und zusätzlichem Parkraum. Kopfstück und Hauptzugang bilden am Marktplatz die Häuser Nr. 9 und Nr.11: steilgiebelige ehemalige Patriziersitze mit spätmittelalterlichen Gewölben, die sorfältig renoviert wurden, wobei in Nr. 9 ein gotischer Dachstuhl freigelegt wurde, der nun mit kleinen Perforationen des südlichen Dachfläche und neuer Verglasung des nördlichen Kreuzgiebels den Büros von Furtenbach-Immobilien ein spektakuläres Ambiente bietet.

Herzstück des Ganzen ist aber eine 50 m lange, dreigeschoßige und glasgedeckte Passage, die am Haus 11 hofseitig anschließt. Sie erstreckt sich über die ganze Grundstückstiefe und erschließt mit Laubengängen und Liftturm auch den neuen Trakt in der Zeughausgasse, der schräg versetzt noch einen Annex bis in die „Vorstadt“, die westliche Parallelgasse zum Marktplatz, vorschiebt. Die Altstadt erhielt damit einen attraktiven Zuwachs ihrer Raumfolgen und Wegnetze, einen Zuwachs, der - im Kontrast zu der vor zwei Jahrzehnten an der anderen Seite der Zeughausgasse errichteten, hinter unsäglichen Altbau-Attrappen versteckten „Ochsenpassage“ - den historischen Laubenzeilen die offene, klare Sprache der Gegenwart zur Seite stellt.

Das weit gespannte Betonskelett gibt den Fassaden den linearen Rhythmus, ergänzt durch das Wechselspiel der Ausfachung mit durchsichtigen und mattierten, geschoßhohen Glasflächen. Spagolla/Ritsch gelang hier mit Beton, Glas und Aluminuim in Proportionen und Profilen eine überzeugende Antwort auf das Relief der Altstadtgassen, wo durch die räumliche Enge und die schrägen Blickwinkel schon minimale Plastizität und einfachste Mittel genügten, um prägnante Gliederungen und Schattenwirkungen zu erzielen. Die beste Ansicht bietet sich allerdings im offenen Innenhof an der „Vorstadt“, wo sich die Passage mit einer doppelstöckigen Vertikalverglasung dem Ausblick und dem indirekten Lichteinfall von Norden öffnet, wo die leichte Schräge des Glasdaches sich in die schmalen Stege der Stahlkonstruktion integriert und die offen verglasten Laubengänge der Wohnetagen sich darüber in dichteren Teilungen und kleineren Formaten hochstaffeln. Die Gliederung der Dachzone mit speziellen Brüstungs- und Vordachdetails für die durchgehenden Terrassen wurde schließlich auch auf das Faktuum abgestimmt, dass die nahe Schattenburg detaillierte Einblicke in die Dachlandschaft der Altstadt gewährt.

Die Essenz des Entwurfs von Spagolla/Ritsch, der 1994 aus einem Gutachterverfahren siegreich hervorging, waren und sind aber nicht die Fassaden, sondern die Schaffung eines in dieser Dimension in Feldkirch neuartigen, öffentlichen Raumes, der zu neuen Zonen des teriären Sektors und zu privaten Arbeits- und Wohnflächen vermittelt. Gerade in diese Qualitäten hatte in der Phase der Detailplanung ein externer Immobilienmakler brutal eingegriffen, bis die Projektidee praktisch kippte und das Ganze nur mit Unterstützung durch den Feldkircher Gestaltungsbeirat am Leben blieb. Als dieser Makler beim konkreten Verkauf von Flächen kläglich scheiterte, ging man auf den ursprünglichen Plan zurück, der auch bis zum Rohbau gedieh. Die Flächen der beiden unteren Etagen gingen dann an die bekannte „Amadeus“-Kette, deren Innenausbau landesweit vom Büro Jiszda & Partner betreut wird. Und auch Jiszda überformte den Spagolla/Ritsch Plan ziemlich forsch mit Entscheidungen, die das Konzept der städtischen Passage völlig negierten. Sollten ursprünglich die Geschäfte, Büros und Wohnungen vom gemeinsamen Hofraum aus erschlossen werden und der Durchgang durch die Lauben und die alten Gewölbe öffentliche Zone werden, so erfolgt nun der Eingang zum Hof nur über das nach vorn in die Lauben gelegte Portal von Amadeus. Die in Ziegel gedachte hohe Seitenwand der Passage wurde aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen zum undifferenzierten, glatt verputzten Weiß, anstelle einer seitlichen, leichten Kaskadentreppe kamen fast mittig gesetzte Rolltreppen, die biederen Verkaufsregale und –möbel sind auf alle Flächen und Podeste der Passage hinausgewuchert und statt des grauen, für die Region typischen Kalksteinbodens kamen im Hof glänzende, rote Bodenplatten im Corporate-Styling des Betreibers, etc.

Nun könnte man sagen, diese Einbußen seien temporär, das wirkliche Potential des Neubaus könnte bei einem Wechsel wieder besser genützt werden. Man könnte aber auch sagen, eine merkantil-planerische Arroganz hat sich da über eine erstaunliche Häutung der alten Kleinstadt hinweg artikuliert. Das neue Furtenbachhaus ist eine grossstädtische, feinnervige Architektur in der Provinz, deren Kernbereich mit unsensiblem, globalisierendem Design unnötig provinzialisiert wurde. (Text: Otto Kapfinger, 24.12.2000)

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Architekturzentrum Wien

Ansprechpartner:in für diese Seite: Maria Welzigwelzig[at]azw.at

Akteure

Architektur

Bauherrschaft
Zima Holding AG

Tragwerksplanung

Fotografie