Ensemble

Museumsinsel Berlin
Museumsinsel Berlin, Foto: Reinhard Görner / ARTUR IMAGES

Ensemble mit fünf Solitären

Neun Phasen in zehn Jahren: Masterplan für die Museumsinsel

15. Juni 1999 - Claudia Schwartz
Auf der Schlossbrücke in Berlins Mitte verwehrt ein Bauzaun den Eintritt in den Lustgarten, der mit symmetrischem Rasengeviert und frisch gepflanzten, von Holzstäben gestützten Bäumchen vorerst nicht mehr ist als ein Versprechen. In der Anmutung des grossen Wurfs erhebt sich dahinter Schinkels Altes Museum: der Prachtbau des Berliner Klassizismus soll samt Grünanlage einst wieder den repräsentativen Vorraum für die Museumsinsel darstellen. Noch bestimmt hier Lethargie das Bild. Ein Schild vor geschlossenen Türen der Alten Nationalgalerie verweist auf das Ausweichquartier im Alten Museum während der laufenden Sanierung. Friedrich August Stülers Neues Museum gleich nebenan erscheint mit Einschusslöchern und geborstenen Fensterlaibungen immer noch als Kriegsruine. Vor dem Eingang steht einsam eine restaurierte Zinkguss-Schönheit: «die Kunst» bleibt vorläufig ausgesperrt. Ansonsten lädt nichts zum Verweilen in der Museumslandschaft, die auf Friedrich Wilhelms IV. Vision einer «Freistätte für Kunst und Wissenschaft» und in ihrem Kernentwurf auf Stüler zurückgeht. Vereinzelt durchqueren Pärchen mit Schlaghosen und Kunstführer zügig die Anlage Richtung Pergamonmuseum - neben dem Alten Museum derzeit das einzige hier geöffnete Haus.

Historische Substanz

Mit der Wende fiel die Museumsinsel in die Obhut der Stiftung Preussischer Kulturbesitz. Zwanzig Jahre sollte nach einer ersten Konzeption die komplette Sanierung des historischen Geländes dauern. Ein Masterplan verspricht nun die schrittweise Wiederherstellung der Einzelgebäude und ihre bauliche Verbindung in neun Phasen und zehn Jahren. Dem Gesamtkonzept ging ein langwieriger Museumsstreit voraus, der sich an den Fragen nach der Neuverteilung der Sammlungen in den Staatlichen Museen entzündete und sich im Hinblick auf die Sanierung der Museumsinsel zum Flächenbrand ausweitete. Zwischen denkmalschützerischen und funktionalen museumsspezifischen Interessen verglühte der 1994 preisgekrönte Entwurf Giorgio Grassis. Angesichts immer neuer Überarbeitungsforderungen verabschiedete sich der Mailänder Architekt. Nach Überarbeitung der zweit- beziehungsweise viertplacierten Wettbewerbsbeiträge des Engländers David Chipperfield und des Kaliforniers Frank O. Gehry sprachen sich die federführenden Kommissionen schliesslich für Chipperfields Planung aus. Sie greift Gehrys Idee einer Besucherführung auf (NZZ 13. 11. 97), bekundet aber eine gemässigte Form des Gestaltungswillens in Rücksicht auf die vorhandene historische Substanz.

Während der langjährigen Querelen um einen angemessenen Umgang mit der Museumsinsel dämmerte den Parteien allmählich, dass der Kunststätte als einem Ensemble von fünf eigenständigen Ausstellungshäusern nur in einer übergreifenden Fragestellung beizukommen ist. Komplexität und Sensibilität des Geländes resultieren nicht nur aus der über 100jährigen Entstehungsgeschichte (1830-1930) des Areals, das heute ein qualitativ unterschiedliches Stilgemisch vereinigt. Sie sind im Charakter der Einzelgebäude angelegt, die sich in übergreifendem Sinnzusammenhang verbinden, darüber hinaus aber auf ihrer Bestimmung zum Gesamtkunstwerk vom jeweiligen Haus und seiner Sammlung bestehen.

Der Purist David Chipperfield, der mit seinem umsichtigen Vorschlag zur Neuordnung des Geländes und zum Wiederaufbau des Neuen Museums überzeugt hatte, wurde folgerichtig zusammen mit den auch auf der Insel tätigen Architekturbüros Hilmer & Sattler (Sanierung Altes Museum) und Heinz Tesar (Sanierung Bode- Museum) mit dem Masterplan beauftragt. Dieser verzeichnet zwei Änderungen gegenüber den ursprünglichen planerischen Vorhaben: Den einzelnen Gebäuden, die zum Museumskomplex zusammengeschlossen werden, gesteht man weiterhin Solitärrang zu durch Beibehaltung ihrer Eingänge. Verbunden werden sie nicht durch Brücken, sondern durch eine unterirdische «archäologische Promenade» zwischen Altem Museum, Neuem Museum, Pergamonmuseum und Bode- Museum. Die Einrichtung einer solchen Passage entspringt dem 1990 gefassten Beschluss der Stiftung, ihre archäologischen Sammlungen durch einen museenübergreifenden Rundgang in wechselnd hohen Raumfolgen zusammenzuziehen und mit fächer- und sammlungsübergreifenden Themen zu bestücken. Durch die grosszügig ausgebauten Sockelgeschosse, die den einzelnen Häusern bisher als Depots dienten, müssten die vorhandenen Räume dafür nur geringfügig verändert oder durch kürzere Tunnels ergänzt werden.

Abweichungen

Die zweite wesentliche Abweichung zum ursprünglichen Entwurf betrifft den im Neuen Museum vorgesehenen zentralen Eingang. Er wird nun in einem eigens zu errichtenden Neubau auf dem Gelände des ehemaligen Packhofs zwischen Neuem Museum und Kupfergraben untergebracht, um die «Integrität der historischen Bausubstanz» von Stülers Museum zu bewahren. Das Gebäude wird gleichzeitig als Publikumszentrum dienen: für die jährlich erwarteten vier Millionen Besucher sind hier neben einem Wechselausstellungsbereich infrastrukturelle Einrichtungen vorgesehen: Garderoben, Museumsshop, Café.

Weitere Entlastung der einzelnen Museen von Sekundärfunktionen zugunsten der Ausstellungsflächen bringt das neu zur Verfügung stehende Gelände der ehemaligen Friedrich-Engels-Kasernen am gegenüberliegenden Ufer des Kupfergrabens. Hier werden in Ergänzung der vorhandenen Blöcke die «Museumshöfe» entstehen für Restaurierung, Verwaltung, Studiendepots und Zentralarchiv. Für den ebenfalls bevorstehenden Umbau des Pergamonmuseums wird im Wettbewerbsverfahren noch ein viertes Architektenteam gefunden werden müssen. Der vorliegende Masterplan soll in einer zweiten Phase einmünden in ein städtebauliches Konzept, welches das weitere Umfeld der Museumsinsel mit einschliesst. Zu reden wird dann vielleicht auch noch einmal die Tatsache geben müssen, dass die Alte Nationalgalerie, nach dem jetzigen Vorhaben als einziges Gebäude nicht mit den anderen verbunden, in Zukunft reichlich isoliert dastehen wird.

Die Zukunft von Preussens Erbe

Voraussetzung zur Realisierung des Masterplans in der vorgegebenen Frist wäre eine Konzentration der finanziellen Mittel. Die Stiftung beziffert die Kosten mit 1,8 Milliarden Mark. Sowohl Berlins Kultursenator Peter Radunski wie der Bundesbeauftragte für Kultur und Stiftungsratsvorsitzende Michael Naumann haben bereits angekündigt, über die Bereitstellung zusätzlicher Mittel mit Bund und Ländern zu verhandeln.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Schlossbrücke, auf dem Dach des ehemaligen DDR- Staatsratsgebäudes und provisorischen Bundeskanzleramtes weht bereits die schwarz-rot-goldene Flagge. Mit dem Regierungsumzug nach Berlin rückt die Museumsinsel ins Blickfeld. Ein Dahindämmern der Museumsinsel, deren Aufnahme in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes ansteht, würde nicht nur der Stadt «die Glaubwürdigkeit nehmen» (Radunski), sondern wäre für die repräsentativen Museen «nicht nur Berlins, sondern der Bundesrepublik» (Naumann) unwürdig. Oder anders gesagt: nach gut zehn Jahren vorsichtiger Annäherung von Republik und Hauptstadt darf auch einmal über Zentrumsfunktionen nachgedacht werden. Die historischen Gebäude und ihre Sammlungen haben in der europäischen Architektur- und Kunstgeschichte einen herausragenden Rang. Die Museumsinsel ist keine Berliner Angelegenheit, sie wird das grösste und gewichtigste kulturelle Investitionsprojekt der Bundesrepublik in den kommenden Jahren sein. Für die Rekonstruktion des - kulturhistorisch weit weniger bedeutenden - Berliner Stadtschlosses weiter südlich auf der Spreeinsel haben sich quer durchs Land die Stimmen erhoben, obwohl niemand weiss, welchen Inhalt man der nachgebauten Hülle einverleiben könnte. Auf der Museumsinsel wartet Preussens Erbe in einer Einheit von historischen Gebäuden und Sammlungen. Nur merkwürdig still ist es hier.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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