Veranstaltung

13. Architektur-Biennale Venedig 2012
Ausstellung
29. August 2012 bis 25. November 2012
Giardini della Biennale, Arsenale
I-30122 Venedig


Veranstalter:in: Biennale di Venezia

Architektur-Karneval in Venedig

Oder: Wie die Biennale zur Banale verkommt: Aufzeichnungen von einem teuren Totentanz zwischen biederem Glamour und eitler Inszenierung, bei der die Architektur in der Bedeutungslosigkeit versinkt.

1. September 2012 - Wolf D. Prix
Praise be to Nero's Neptune.
The Titanic sails at dawn.
And everybody's shouting
„Which Side Are You on?“
Bob Dylan,„Desolation Row“ 1966.

Wenn man nicht wüsste, dass Medien immer übertreiben, könnte man fast glauben, dass die Architekturbiennale in Venedig -wie die Süddeutsche Zeitung schreibt - tatsächlich die wichtigste Architektur Ausstellung der Welt ist.

Ich vermute aber, dass mit Ausstellung nicht Ausstellung gemeint ist, sondern vielleicht meint Gerhard Matzig nur den Event per se. Also das Treffen einer Branche, wie bei einer Produktmesse.

Andere Kritiker stellen gar nicht mal die Sinnfrage, sondern stellen gleich fest, dass das Zusammenkommen, das Treffen, das Netzwerken das weitaus Wichtigere sei. Gegessen!

Nur vorgetäuscht

Ich möchte aber schon mal festhalten, dass die Bedeutung der Architektur-Biennale in Venedig in der theoretischen Auseinandersetzung seit ihren Beginn immer mehr abnimmt. Auch die persönliche Bedeutung für die Teilnehmer ist im Gegensatz zur Kunstbiennale sehr gering. Wir brauchen uns also nichts vormachen, dieser Event ist ein teurer Totentanz: In einer zusammengestohlenen Stadt („zusammengestohlene Ausstellung“) wälzen sich Touristenströme (Architekten) in einer nicht funktionierenden Infrastruktur um ihre bürgerliche Bildungslust (bei den Architekten: Eitelkeiten, Neid, Schadenfreude, Verdächtigungen) zu befriedigen. Auch der Glamour, den der Besucher zu spüren vermeint ist bieder und nur von den Medien (Stararchitekten = Filmstar) vorgetäuscht.

In Wahrheit ist das alles hohl, anstrengend, ermüdend, öde und langweilig. Weil es wirklich nicht mehr um eine lebendige Auseinandersetzung und Kritik mit Themen zeitrichtiger Architektur geht, sondern um leere, konservative und möglicherweise populistische Hüllen, die mit scheinbarer Bedeutung aufgeladen werden.

Was wäre das für eine Architektur Biennale hätte man statt langweiligen Ausstellungen Foren etabliert und Themen lanciert, die uns alle hinter die Kulissen der Entscheidungen blicken ließen. Zum Beispiel der Streit um den Bahnhof in Stuttgart. Die Hinter- und Vordergründe der Kostenexplosion der großen markanten Bauwerke, wie zum Beispiel der Elbphilharmonie. Die politische Auseinandersetzung um Moscheen und Minarette, also der Streit um die Verortung einer Idee. Warum der Einfamilienhausmarkt in den USA zusammengebrochen ist und wie mit Siedlungsarchitektur Machtpolitik betrieben wird. Über diese Themen lohnt es sich zu diskutieren und nicht wer ein Stararchitekt ist und wer nicht.

Aber stattdessen heißt es: „Menschen treffen sich in Architektur“ und jetzt „Common Ground“ (Übersetzt heißt das: Kompromiss). Schlimmer geht's nimmer!

Diese Situation lässt das Bild des venezianischen Karnevals aufkommen - man stelle sich vor, alle Architekten in Pierrot Verkleidung umgeben von maskentragenden Kritikern - tanzen den Banale-Tanz, oder noch besser, auf einer sinkenden Gondel spielen die Architekten wie weiland das Orchester der Titanic das letzte Lied, während draußen in der realen Welt unser Berufsstand leckgeschlagen in Macht- und Bedeutungslosigkeit versinkt. Denn Politiker und Projektsteuerer, Investoren und Beamte bestimmen schon lange unsere gebaute Umwelt. Nicht der Architekt.

Während in Russland die Künstler hartnäckig Widerstand leisten gegen das autoritäre Regime, befindet der jetzige Kommissar der Architektur Biennale diese Eigenschaften als hinderlich für unseren Beruf und er erklärt in einem Interview, dass dem Genie Raum weggenommen werden muss. Man müsste ihm die Pussy Riots vorführen damit er endlich versteht, wo es langgeht in unserer Gesellschaft.

Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Architektur Biennale in Venedig neu organisiert werden muss.
[ Wolf D. Prix (Jg. 1942) ist Mitbegründer von Coop Himmelb(l)au und war 2003 bis 2012 Vizerektor der Universität für angewandte Kunst. ]

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