Veranstaltung

Lacaton & Vassal | Inhabiting
Ausstellung
Lacaton & Vassal | Inhabiting © Philippe Ruault
15. Mai 2019 bis 5. Oktober 2019
vorarlberger architektur institut
Marktstraße 33
A-6850 Dornbirn


Eröffnung: Dienstag, 14. Mai 2019, 19:00 Uhr

Behaglichkeit und Luxus für jeden

„Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal beschäftigen sich seit Jahrzehnten mit einer sozialen Architektur, die für sich den Anspruch hat, „luxuriös“ im eigentlichen Wortsinn zu sein – „ein Sich-zeigen“. Es geht dabei um Formen der Großzügigkeit im Alltag, die einem sozialpolitischen Anspruch folgen. Dabei wählen sie einfache Materialien um Wohnraum zu erweitern, zu adaptieren, neu entstehen zu lassen.“ Damit fasst Verena Konrad die Themen der neuen Ausstellung im vai – mit dem Untertitel „Pleasure and Luxury for Everyone“ – zusammen. Ihre Motivation diese Schau, die 2018 im aut – architektur und tirol in Innsbruck gezeigt wurde nach Dornbirn zu holen, ist schnell erklärt: „Inspiration. Wir wollen Anregungen für die Veränderung von Bestand und für einen Diskurs zum Wohnbau der Gegenwart vermitteln.“

Besonders interessant sei dieser Zugang bei den Transformationen von Großsiedlungen aus den 1960er- und 1970er-Jahren. In der 2004 mit Frédéric Druot veröffentlichten Studie „PLUS“ setzen sich Lacaton & Vassal gegen die Sprengung von Großwohnsiedlungen aus den 1960er- wie 1970er-Jahren ein. Sie reagieren damit auf Pläne des französischen Staats, Wohnbauten aus dieser Zeit durch neue zu ersetzen und zeigen auf, dass Erhalt und Umnutzung sozial, ökonomisch und ökologisch nachhaltiger sind. Sie entwickelten daher ein Konzept, mit dem unter Beteiligung der BewohnerInnen und einfachen Maßnahmen solche Wohnhochhäuser umgerüstet werden können. Ohne dass die Leute während der thermischen Sanierung ausziehen müssen, bekommen die Wohnungen eine zweite, luzide Raumschicht aus Wintergarten und Balkon vorgelagert, und das bei gleichbleibender Miete!

Luxus durch Wintergärten

Bereits 1993, bei ihrem ersten Projekt, dem Einfamilienhaus Latapie, zeigte sich der kreative Zugang von Lacaton & Vasall deutlich: Eine adaptierte Gewächshauskonstruktion stülpt sich über einen einfachen Holzbaukörper und definiert eine klimatische Hülle als erweiterten Lebensraum. So entstanden 185 m² Nutzfläche für damals etwas mehr als 55.000 Euro. Weniger ausgeben für Mehr, das war immer schon ihr Prinzip. Das Konzept der Wintergärten nimmt in weiterer Folge eine zentrale Rolle in ihrem Werk ein. Damit reduzieren sich nicht nur die Baukosten, die bioklimatischen Bedingungen sind ideal, die Kubaturen bieten alle Freiheiten der Aneignung und vor allem den Luxus von Großzügigkeit.

Dies gilt auch für die experimentelle Reihenhaussiedlung „Cité Manifeste“ in Mulhouse, das Projekt mit dem Lacaton & Vassal international bekannt wurden. Auch in der ersten Ausstellung in den neuen Räumlichkeiten der Marktgasse des vai „9by9 Wohnmodelle weltweit“ war dieses Projekt beispielgebend. Von den fünf für das Areal am Rande der historischen Arbeitersiedlung beauftragten Architekturteams erfüllten sie mit ihrem Wohnprojekt am konsequentesten den Anspruch auf mehr Raum, nicht nur weil sie fast das doppelte Volumen des üblichen Standards im sozialen Wohnbau errichteten, sondern auch weil die Loft ähnlichen Wohnungen viel Spielraum für Individualität und Kreativität zulassen. Gleichzeitig werden die gewohnten Klischees der NutzerInnen herausgefordert und die Maxime der Raumreduktion im sozialen Wohnbau in Frage gestellt.

Als ein Weiterdenken gilt der soziale Wohnbau „Jardins Neppert“ aus den Jahren 2014/15 mit 59 Einheiten, ebenfalls in Mulhouse, ebenfalls mit derselben Bauherrschaft. Wieder ist es keine standardisierte Architektur, sondern befreit Funktionen wie Nutzungen von ihren künstlichen Grenzen und schafft Außenräume um die Innenräume zu erweitern. Radikale Ressourcenminimierung, unkonventionelle Materialien und Gebäudetypologie bringen mehr Raum, Offenheit, Licht und Komfort als die herkömmlichen Wohnanlagen.

Eins-zu-eins Atmosphäre

In den Räumlichkeiten des vai empfangen raumfüllende Projektionen des transformierten Pariser Wohnhochhauses beim Tour Bois-le Prêtre die BersucherInnen mit der charakteristischen Großzügigkeit der Bauten von Lacaton & Vasall. Die meisten Bilder ihrer Architekturen zeigen Innenräume in ihrer alltäglichen Unperfektheit. Das vermittelt aber sehr beeindruckend die Atmosphäre, die ja durch die Benutzung so einzigartig wird. Man wähnt sich mittendrin, steht mit den Leuten am Balkon und schaut in die Ferne. Diese Art der Eins-zu-eins Darstellung wählten Lacaton & Vassal auch bei der vergangenen Architekturbiennale in Venedig, bei der sie für einen Beitrag im Hauptpavillon in den Giardini eingeladen waren.

Großformatig wird auch das Schaufenster in der Marktgasse beklebt. So findet man sich wieder im inspirierenden Ambiente, schmökert in Büchern und Projektdokumentationen oder folgt den Video-Vorträgen der beiden, die konzeptionelle Alternativen zu aktuellen Diskussionen im sozialen Wohnbau anbieten. Im anderen Teil der vai-Ausstellung gibt es als Blickpunkte Slideshows, die weitere wichtige Projekte präsentieren, wie die vielbeachtete Renovierung der Kulturlocation „Palais de Tokyo“ in Paris oder auch das „Café Una“ im Museumsquartier Wien. Auf diesen vielen kleinen Bildschirmen werden in konstruktiver und architektonischer Hinsicht ihre Entwurfsmethoden vermittelt.

Architekturtage 2019

Und so dient die Biennale hier als Überleitung zu den Architekturtagen. Diese finden nämlich heuer schon wieder und zum bundesweiten Thema „Raum Macht Klima“ statt. Man wollte zum 10. Jubiläum den biennalen Rhythmus auf den der Architekturbiennale in Venedig abstimmen um abwechselnd die Jahres-Highlights zu bieten. Die Architekturtage 2019 in Vorarlberg fokussieren dieses Jahr auf Feldkirch. Das Spannungsfeld von mittelalterlichem Stadtkern, sich weiterentwickelnden und zusammenwachsenden Stadtteilen und ein Prozess der Urbanisierung der gesamten Region gibt interessante Ansatzpunkte für das vom vai Vorarlberger Architektur Institut zusammengestellte Programm. StadtgestalterInnen und NutzerInnen führen an ungewöhnliche Orte, geben Einblick in ihre Arbeit und Lebensweise und diskutieren stadtplanerische und baukulturelle Themen.
Der Text erschien in der Mai-Ausgabe von KULTUR - Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, http://www.kulturzeitschrift.at

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: newroom

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at