Veranstaltung

Der Traum vom Turm
Ausstellung
6. November 2004 bis 20. Februar 2005
NRW-Forum, Düsseldorf

Veranstalter:in: NRW-Forum Kultur und Wirtschaft

Die Ekstase der Himmelsstürmer

Eine Ausstellung über Hochhausarchitektur in Düsseldorf

Nach der Zerstörung des World Trade Center schwand für kurze Zeit die Ausstrahlung der Wolkenkratzer. Doch dann wurde aus Taipeh ein neuer Höhenrekord gemeldet; und auch die Museen entdeckten die Himmelsstürmer wieder: Im Sommer fand in New York eine grosse Schau statt, und nun feiert auch Düsseldorf die Turmbauten.

3. Dezember 2004 - Roman Hollenstein
Unmittelbar nach den Attentaten auf das World Trade Center in New York schien sich die Hochhauseuphorie zu verflüchtigen, die in den neunziger Jahren noch gigantische Visionen von «vertikalen Invasoren» wie Harry Seidlers 650 Meter hohem Grollo Tower für Melbourne oder Norman Fosters 840 Meter hohem Millennium Tower für Tokio hervorgebracht hatte. Doch die von hitzigen Debatten begleitete Idee vom Wiederaufbau der Zwillingstürme stachelte die Phantasie der Architekten erneut an und brachte einige der formal eigenwilligsten und spannendsten Hochhausentwürfe überhaupt - allen voran die futuristische Sky-Stadt von United Architects. Schon zuvor waren auf der Architekturbiennale 2002 in Venedig Vorschläge wie die in den Himmel züngelnden Schlangentürme von Lars Spuybroek für Ground Zero heftig diskutiert und eine aus Riesenmodellen bestehende, von Science-Fiction-Romantik durchwehte «Strada Novissima» mit Hochhäusern von Stars wie Zaha Hadid oder Toyo Ito gefeiert worden. Seither konnte in der gebauten Realität mit dem 508 Meter hohen «101 Tower» in Taipeh die magische Grenze von einem halben Kilometer Höhe durchbrochen werden; und in Dubai soll Adrian D. Smith vom Grossbüro Skidmore Owings Merrill (SOM) mit dem Burj Dubai bis 2009 das welthöchste Bauwerk realisieren, dessen definitive Masse aus Konkurrenzgründen noch geheim gehalten werden (NZZ 5. 3. 04). Demnach dürfte der Freedom Tower auf Ground Zero, der nun nach einem von SOM-Partner David Childs stark überarbeiteten Entwurf Daniel Libeskinds ebenfalls im Jahr 2009 vollendet sein soll, mit seiner symbolträchtigen, auf die amerikanische Unabhängigkeit anspielenden Höhe von 1776 Fuss oder 541 Metern den angestrebten Rekord verfehlen.
Wettstreit der Giganten

Angesichts dieses neuen Höhenrausches wundert es nicht, dass jüngst das MoMA in New York der Architektur der Wolkenkratzer eine Schau widmete (NZZ 31. 7. 04). Zur Aktualität, welche den Turmbauten als Symbolen wirtschaftlicher Potenz und politischer Macht in der globalisierten Welt zukommt, gesellt sich ihre jahrtausendealte Faszination. Denn seit Menschen bauen, träumen sie von der Eroberung des Himmels - angefangen bei der Zikkurat von Babel, die wir dank der Bibel als Inbegriff menschlicher Hybris verinnerlicht haben. Dabei erfüllte sie eine ähnliche religiöse Funktion wie die mittelalterlichen Kirchtürme. Weil diese bis in die Moderne auch städtisches Selbstbewusstsein verkörperten, empfahlen sie sich - nach anfänglichen Versuchen mit hohen Häusern in der Art des modern anmutenden Reliance Building in Chicago oder des Flat Iron Building in New York - als Vorbilder für die frühen, in ihrer typologischen Ausformung noch nicht festgelegten Wolkenkratzer. Um diese Entstehungsgeschichte kommen auch die neusten Arbeiten zum Thema Hochhaus nicht herum: die schön bebilderte Monographie von Andres Lepik und der handliche Katalog zur Düsseldorfer Hochhaus-Ausstellung «Der Traum vom Turm» mit seinen lesenswerten Essays zu gesellschaftlichen, ästhetischen und vor allem zu ingenieurtechnischen Aspekten. Waren letztlich doch Erfindungen wie der Lift, der Stahlbeton oder das Röhrentragwerk für den Hochhausbau entscheidend.

Während Lepik, ein Kenner der Materie, nach einer kunsthistorischen Analyse der Hochhausarchitektur eine Auswahl bekannter Wolkenkratzer in attraktiven Abbildungen bietet, setzt die didaktisch gut gemachte Schau im NWR-Forum in Düsseldorf ganz auf die Verführungskraft grosser Modelle, die in lockerer Chronologie von Babylon bis hin zu formal und technologisch gleichermassen raffinierten Zukunftsprojekten reichen. Da die Maquetten für die Ausstellung alle eigens im Massstab 1:200 gefertigt wurden, erlauben sie einen einmaligen Höhenvergleich. So schweift denn der Blick, inspiriert von Giorgio de Chiricos metaphysischer «Torre» aus dem Zürcher Kunsthaus, im ersten Raum über Kirchtürme und Minarette hinweg, um erstaunt die Grösse des kathedralartigen Woolworth Building und anderer früher Hochhäuser zu erfassen, die 1931 in der 381 Meter hohen Art-déco-Zikkurat des Empire State Building kulminierten. Fotos von Berenice Abbott und Alfred Stieglitz sowie Bücher von Erich Mendelsohn und Hugh Ferris feiern diese Meisterleistungen und leiten über zu den Zukunftsvisionen von Antonio Sant'Elias «Città Futurista», Le Corbusiers «Plan Voisin» oder Frank Lloyd Wrights «Mile-High-Tower». Sie alle aber werden überstrahlt vom Modell des 400 Meter hohen Internationale-Monuments, das Wladimir Tatlin 1919 als Verschnitt von Eiffelturm und Samarra-Minarett konzipierte.

Nach Wirtschaftsdepression und Krieg beeindruckte Amerika die Welt mit minimalistischen Schöpfungen wie dem Lever House von SOM oder Mies van der Rohes Seagram Building. Ihnen folgten bald Giganten wie der Sears Tower, mit dem Chicago seine einstige Leaderposition zurückeroberte. Europa hingegen setzte mit der Torre Velasca von BBPR und dem Pirelli-Hochhaus von Gio Ponti in Mailand auf kontextbezogene Hochhaustypen, die William Pereira 1972 in San Franciscos Transamerica Pyramide zu einem der ersten «Signature Building» weiterentwickeln sollte. Diesen werbewirksamen «Icons» antworten nun in Südostasien Türme, die bald an Kriegsschiffe, an riesige Pagoden oder an Flaschenöffner erinnern. Die Düsseldorfer Schau schliesst mit Hochhäusern wie dem Freedom Tower, dem Burj Dubai, der CCTV-Hochhausschlaufe von Rem Koolhaas in Peking oder dem Turning Torso von Calatrava in Malmö, die bald Realität sein dürften, aber auch mit technologisch und formal innovativen Entwürfen wie dem Al Ghorfa Tower in Kuwait von Hamzah & Yeang, dem Soho Forum in Peking von Zaha Hadid, dem Bundle Tower von Foreign Office Architects und dem Skin Tower von Werner Sobek.
Deutsche Hochhaustradition

Bei diesem Ausblick vermisst man den Schatzalp-Turm von Herzog & de Meuron in Davos. Das 105 Meter hohe, an einen gläsernen Tannzapfen erinnernde Bauwerk, welches nach seiner Realisierung der höchstgelegene Wolkenkratzer Europas sein wird, hat hierzulande der bisher vor allem in Basel und Zürich geführten Hochhausdebatte Auftrieb verliehen. Gleiches erhofft sich nun die Düsseldorfer Ausstellung wohl auch für Deutschland. Denn nachdem vor wenigen Tagen das Münchner Stimmvolk Hochhäuser, welche die Türme der Frauenkirche überragen, verboten und damit demonstriert hat, dass sich selbstbewusste europäische Kulturstädte nicht unbedingt am zwanghaften Höhenwettstreit junger Metropolen beteiligen müssen, wird sich vermutlich auch am Niederrhein die Kritik an den neuen, nicht unumstrittenen Hochhäusern verstärken. Deshalb verweist die Schau in einer eigenen Abteilung auf die lokale Hochhaustradition, die 1925 im legendären Kölner Brückenkopf-Wettbewerb einen kreativen Höhenflug erlebte, von welchem in der Ausstellung nicht weniger als 121 Entwürfe zeugen. Ihm vorausgegangen war 1921 Wilhelm Kreis' Projekt für ein 160 Meter hohes Säulenhaus am Düsseldorfer Graf-Adolf-Platz. An dieses erinnert nun am gleichen Ort der banale Investorenturm des lokalen Büros JSK. Ein Vergleich dieses elliptischen Glasbaus mit dem Wilhelm-Marx-Haus, das Wilhelm Kreis 1924 als expressionistisches Wahrzeichen im Zentrum Düsseldorfs erstellte, veranschaulicht nicht zuletzt den Niedergang von Qualitäts- und Formbewusstsein im weitgehend zum Designproblem verkommenen Hochhausbau von heute.

[ Bis 20. Februar im NRW-Forum Kultur und Wirtschaft in Düsseldorf. Katalog: Der Traum vom Turm. Hrsg. NRW- Forum. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2004. 272 S., Fr 39.- (Euro 22.80 in der Ausstellung). - Andres Lepik: Skyscrapers. Englisch. Prestel-Verlag, München 2004. 160 S., Fr. 52.30. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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