Veranstaltung

Alt-Wien
Ausstellung
25. November 2004 bis 28. März 2005
Künstlerhaus
Karlsplatz 5
1010 Wien


Veranstalter:in: Wien Museum
Eröffnung: Mittwoch, 24. November 2004

Vom Fetisch der Harmonie

Eine grosse Ausstellung über den Mythos «Alt-Wien»

Kaum eine europäische Stadt hat sich so gemütlich in ihrer Vergangenheit eingerichtet wie Wien. Mit sentimentalen Gefühlen und grosser Geschäftstüchtigkeit hängt die österreichische Metropole einem 19. Jahrhundert an, das es so niemals gab. Das Wien- Museum geht in einer vorbildlichen Ausstellung den Spuren einer Verklärung nach.

8. Januar 2005 - Paul Jandl
Der alten Stadt «den Bauch aufzuschlitzen», das konnte nur dem absolutistischen Furor eines französischen Kaisers einfallen. Während Baron Haussmann willig und wie mit dem Messer seine Boulevards durch Paris zog, ging es in Wien eher pragmatisch zu. Man brauchte Platz in dieser Mitte des 19. Jahrhunderts und schleifte die alten Verteidigungswälle. Man baute die neue Stadt und erinnerte sich wehmütig an die alte. An irgendein verflossenes Wien erinnert man sich in Österreichs Metropole immer noch, auch die touristischen Buchungszahlen hat man dabei nicht vergessen. Was dran ist am immer noch produktiven Mythos «Alt-Wien», fragt jetzt eine Ausstellung des Wien-Museums, die im Künstlerhaus zu sehen ist. Sie tut das mit der geballten Kraft unzähliger Exponate und mit erfrischender Distanz.

Dass Wien «zur Grossstadt demoliert wird», vermerkte Karl Kraus 1897 mit spöttischer Betroffenheit, denn auch das Literatencafé Griensteidl musste dem Spitzhammer weichen. Der Auszug anerkannter Schriftsteller aus ihrem Stammlokal war in den Wiener Verhältnissen ein Umsturz von Graden. Von einem Symbolwert jedenfalls, der so manche schwerwiegendere Veränderung in den Schatten stellte. Von Karl Kraus stammt auch die Entlarvung eines Klischees: «Ich muss den Ästheten eine niederschmetternde Mitteilung machen: Alt-Wien war einmal neu.»
Spitzhacke und Wehmut

Bevor es in Wien ans Abreissen ging, die alten Stadtmauern fielen und die feudale Ringstrasse gebaut wurde, kamen noch schnell die Maler und Fotografen. Sie hielten die gute alte Zeit fest. Glanzlos herabgesunkene Hinterhöfe und malerische Winkel, verlorene Stadtsilhouetten und Genreszenen wurden dokumentiert. Die Ausstellung hängt diese Ansichten Wiens dicht und zahlreich nebeneinander. Einen ersten Versuch, das Alte auch dreidimensional noch einmal aufleben zu lassen, hat es bereits 1892 gegeben. Für die internationale Theaterausstellung des Jahres hat man im Wiener Prater eine gipserne Kulissenstadt aufgebaut. Alt-Wien als ein Gewirr des Pittoresken, eine parallele Wirklichkeit aus Gips und Kitsch, die als Markenzeichen fortan um die Welt ging. Auf der Weltausstellung in Chicago 1893 präsentierte sich die Stadt als pseudomittelalterliches «Old Vienna». Zu diesem Vorgriff auf den später erfundenen Themenpark fiel Adolf Loos nur das Wort «Monumentalgschnas» ein. Die jetzige Ausstellung im Wiener Künstlerhaus hat gleich noch einmal ein Alt-Wien als Pappkarton- Kulisse aufgebaut. Es ist Geschmackssache, und vieles in der grossen Schau fällt mit Recht der Denunziation anheim. Dem Schubert-Franzl ist als biedermeierlichem Harmonie-Fetisch ein eigener Raum gewidmet.

Chronologisch bewegt sich die Ausstellung durch zwei Jahrhunderte der Wiener Stadtgeschichte. Im Biedermeier wird «Alt-Wien» erfunden. Was bis in die Gegenwart anhält, ist der Takt aus Spitzhacke und Wehmut. Wien erfindet sich als moderne Grossstadt und zugleich als nostalgisches Residuum. Auch die Wiener Image- Industrie wird in der Ausstellung gebührend thematisiert. Früh hat sie eingesetzt, mit einem Postkarten-Wien aus Wäschermädeln, Fiakern und Lavendelfrauen. Die populärsten «Wiener Typen» präsentiert die Ausstellung in einem eigenen Raum. Es sind Protagonisten einer hochgradig gemütvollen Lebensauffassung, die Friedrich Schiller schon 1796 zur Xenie «Donau in O**» inspirierte: «Mich umwohnet mit glänzendem Aug das Volk der Fajaken, / Immer ist's Sonntag, es dreht immer am Herd sich der Spiess.»

Was auf diese Art bestens eingeführt ist, wird man so schnell nicht los. Da mochte man sich schon zur vorletzten Jahrhundertwende beklagen, dass deutsche Feuilletonisten über Wien immer nur das Gleiche berichten. Den unausrottbaren Wien-Klischees stand mit Berlin eine Stadt gegenüber, die so ziemlich das Gegenteil war. Ein Symbol für Präzision, Schnelligkeit und Energie.

Mitte des 19. Jahrhunderts, als die europäischen Metropolen zu Weltstädten wuchsen, war Paris das Leitbild. Während in der Stadt an der Seine das Machtgefüge stets von revolutionären Umtrieben bedroht war, und auch London nicht gerade ein Ort sozialer Ruhe, lebte man in Wien am liebsten in Harmonie mit der Macht. Der Feind, so die historische Erfahrung, kommt von aussen. Im Innern der Stadt war die feudale Architektur keine Provokation, sondern eine Selbstvergewisserung in ewigen Zusammenhängen. Mit dem habsburgischen Gottesgnadentum muss sich der Wiener auf höchst delikate Art verwandt gefühlt haben. Und auch sein Pragmatismus, die anhaltende Macht der Habsburger für bewährt zu halten, hat ihn wenig anfällig gemacht für Umstürzlerisches. Diese restaurative Tendenz hat sich Wien bewahrt, auch wenn die Versuche feudaler Machtentfaltung heute von der soliden Rathausmehrheit der Sozialdemokraten und von einem Zeitungszar ausgehen. Letzterer hat mit seinem kleinformatigen Massenblatt das gross ausgedachte Museumsquartier ziemlich schrumpfen lassen. Hinter einem barocken Pferdestall verschwindet jetzt die moderne Architektur.

Mit Wiener Veduten ist die Ausstellung reich bestückt. Die meisten der gemalten Wiener Stadtansichten haben in ihren idealen und ungetrübten Perspektiven das, was man in Rekurs auf den venezianischen Maler den «Canaletto-Blick» nennt. Rührt sich etwas im Stadtbild, dann ist gegen diesen Tunnelblick der Substanzbewahrer nur wenig auszurichten. Otto Wagner konnte sein städtebauliches Programm wenigstens noch teilweise verwirklichen. Danach gescheiterte oder auch kaum ernst gemeinte architektonische Utopien zeigt die Schau im Künstlerhaus ebenso wie die ernüchternde bauliche Realität der ersten Nachkriegsjahrzehnte.
Sublimierung ins Unwirkliche

Man hat sich nicht entmutigen lassen. Man baut zwischen wachsender Qualität und jenem immer noch typischen Kitsch, den der Schriftsteller und Architekturkritiker Friedrich Achleitner die «Sublimierung ins Unwirkliche» nennt. Die Wiener Wirklichkeit ist «der zurechtgefilterte Traum, aus dem alle bedrohenden Extrakte, alle Substanzen einer tatsächlichen Welt herausgefiltert sind». Schön ist also auch das Ende der Ausstellung «Alt-Wien - Die Stadt, die niemals war». Der Weg zum Ausgang führt durch eine in der Schau nachgebaute, real aber existierende «Vienna Opera Toilet». Selbst so niedrige Dinge wie eine öffentliche Bedürfnisanstalt erhalten durch ausreichend Jugendstil zeitlosen Glanz. Aufgewertet, und zwar auf Wiener Art, wird das Ensemble noch durch die werbende Ankündigung «Mit Musik».

[ Bis 28. März. Katalog: Alt-Wien. Die Stadt, die niemals war. Herausgegeben von Wolfgang Kos und Christian Rapp. Czernin-Verlag, Wien 2004. 576 S., Euro 32.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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