Veranstaltung

Charlotte Perriand
Ausstellung
7. Dezember 2005 bis 27. März 2005
Centre Pompidou
Place Georges Pompidou
M° Rambuteau ou Châtelet-Les Halles
F-75004 Paris


Veranstalter:in: Centre Pompidou

Die Welt als Wohnung

Paris würdigt die Designerin und Architektin Charlotte Perriand

Als Gestalterin von Le Corbusiers Stahlrohrmöbeln wurde sie bekannt. Danach schuf Charlotte Perriand (1903-1999) ein breites Œuvre, in welchem sie sich gleichermassen mit dem kostbaren Einzelobjekt wie mit dem Massenwohnungsbau befasste. Das Centre Pompidou in Paris würdigt sie nun als Designerin und sozial engagierte Architektin.

23. Dezember 2005 - Roman Hollenstein
Der Name Charlotte Perriand ist vielen im Zusammenhang mit Le Corbusiers Möbeln ein Begriff; und dennoch wird die Bedeutung ihres Œuvres bis heute unterschätzt. Schon im Alter von 24 Jahren wagte es die 1903 geborene Absolventin der Pariser Ecole de l'Union central des arts décoratifs, mit ihrem Portfolio unter dem Arm beim Meister anzuklopfen. Doch erst der Erfolg ihrer «Bar sous le toit» am Salon d'automne von 1927 liess Le Corbusier aufhorchen. Denn der schwarz gepolsterte «Fauteuil tournant» und ein ausziehbarer Tisch machten sie in Frankreich zur Vordenkerin in Sachen Stahlrohrmöbeln, die zwei Jahre zuvor schon von Marcel Breuer in Deutschland propagiert worden waren. Jetzt sicherte sich der ehrgeizige Schweizer Architekt Perriands Know-how. Im Atelier von Le Corbusier und Pierre Jeanneret betreute die junge Pariserin daraufhin die Entwicklung der legendären «Corbusier-Liege» und des «Fauteuil Grand Confort», welche bereits 1928 dem Salon der Villa La Roche den letzten Schliff verliehen.
Ikonen aus Stahl und Holz

Diese Geschichte bildet den ersten Höhepunkt der grossen Charlotte-Perriand-Schau im Centre Pompidou in Paris, welche gleichermassen die Designerin wie die sozial engagierte Architektin würdigt. Die überreich mit Designobjekten, Modellen, Plänen, Fotos, Dokumenten, ja ganzen Interieurs bestückte und wie eine riesige Wohnung gestaltete Ausstellung fährt nach der Präsentation des biografischen Materials und der bis 1937 im Atelier von Le Corbusier hergestellten Möbel weiter mit Perriands eigenen Forschungen auf dem Gebiet des «Logement minimum», die in einem lowtech-artigen Biwak kulminierten. Während der dreissiger Jahre entfernte sich Perriand aufgrund ihrer Sympathien für die kommunistische Partei mehr und mehr von Le Corbusier, arbeitete aber weiterhin mit Jeanneret zusammen. An ihr klassenkämpferisches Interesse erinnert die wandbildartige Fotomontage «La Grande Misère de Paris», die sie 1936 auf dem Salon des arts ménagers vorstellte. Zudem belegen surrealistische Fotos und organische Sammelobjekte nicht nur ihre Nähe zur künstlerischen Avantgarde, sondern auch ihre Begeisterung für skelettartige Konstruktionen - und dies lange vor Calatrava.

Die Kriegsjahre verbrachte Charlotte Perriand im Fernen Osten, wo sie westliche Designideen vermittelte und östliche Gestaltungsformen in sich aufsaugte. Obwohl sie nach dem Kriegseintritt Japans das Land in Richtung Indochina verliess, hielt ihre Begeisterung für das Inselreich weiter an. Das dokumentieren nicht zuletzt die japanisch inspirierten Werke, die sie in den fünfziger Jahren schuf. Daneben beschäftigte sie sich mit kollektiven Wohnformen und kreierte die gleichermassen funktionalen wie formschönen Zimmereinrichtungen der Studentenhäuser Brasiliens, Mexikos und Tunesiens in der Pariser Cité internationale universitaire.
Geometrie und Organik

Zuvor schon hatte sie den Prototyp einer Einbauküche für die Unité d'habitation in Marseille entworfen. Neue Anregungen gab ihr der Gedankenaustausch mit Jean Prouvé, Fernand Léger und immer wieder mit Pierre Jeanneret. Die Arbeiten, die nun entstanden - konstruktivistisch elegante Regale in starken Farben und nierenförmige Tische aus massivem Holz - zählen zu den Glanzpunkten der Möbelkunst des 20. Jahrhunderts. Sie zeigen die Virtuosität, mit der Perriand zwischen geometrischer und organischer Abstraktion wechselte. Dabei schreckte sie auch vor grossbürgerlichen Inszenierungen nicht zurück, wie ihre mit opulenten Einbaumöbeln aus Palisanderholz ausgestattete brasilianische Bibliothek von 1962 demonstriert. In den zwischen 1967 und 1986 entstandenen Wohnmaschinen im Skiort Les Arcs verschmelzen schliesslich Baukunst und funktionales Design zu einem ganz dem Geist der siebziger Jahre verpflichteten Stil, in dem ihre sozialistischen Visionen vom Massenwohnungsbau eine seltsame Verbindung eingehen mit den fast schon an die Parodien eines Monsieur Hulot erinnernden Vorstellungen vom kleinen Ferienglück.

Sechs Jahre vor ihrem Tod im Oktober 1999 konnte Perriand in der Maison de thé, die sie für die Unesco in Paris gestaltete, ein letztes Mal ihre japanischen Leidenschaften ausleben. Dieses Alterswerk, dem die Kraft der früheren Arbeiten fehlt, bildet den leicht sentimentalen Ausklang der konventionell, aber klar und logisch eingerichteten Schau. Diese vermag ohne viel didaktisches Beiwerk, aber mit stichhaltigen visuellen Argumenten die theoretische Recherche von Charlotte Perriand ebenso zur Geltung zu bringen wie ihre künstlerischen Fähigkeiten und gesellschaftspolitischen Überzeugungen.

[ Bis 27. März. Katalog: Charlotte Perriand. Éditions du Centre Pompidou, Paris 2005. 184 S., Euro 29.90. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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