Veranstaltung

TEAM 10
Ausstellung
24. September 2005 bis 8. Januar 2006
Nederlands Architectuurinstituut
Museumpark 25
NL-3015 CB Rotterdam


Veranstalter:in: NAI Netherlands Architecture Institute

Die Utopie des Gegenwärtigen

Architektur als soziale Herausforderung - das legendäre Team 10 in einer Rotterdamer Ausstellung

Nach dem Ende des CIAM 1959 galt die lockere Gruppierung des Teams 10 über mehr als zwei Jahrzehnte als wichtigstes Forum für Fragen der Architektur. Eine Ausstellung und eine Publikation belegen die Aktualität der damaligen Diskussionen.

27. Dezember 2005 - Hubertus Adam
Die Idee der «funktionellen Stadt» mit ihrer Trennung von Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr war die wohl folgenreichste programmatische Fixierung des 1928 gegründeten Congrès Internationaux d'Architecture Moderne (CIAM). Als «Charta von Athen» bekannt und massgeblich von Le Corbusier erarbeitet, stiess das 1933 formulierte Dogma einer in einzelne Bereich aufgeteilten Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg auch im CIAM zunehmend auf Widerstand. Es war nicht zuletzt ein Generationskonflikt, der offen auf dem neunten CIAM-Kongress 1953 in Aix- en-Provence ausbrach. Gegenüber der älteren Generation von Teilnehmern formierten sich einige jüngere Architekten, die vor rationalistischer Erstarrung ebenso warnten wie vor Nivellierung. Architektur, so ihre Meinung, solle einem «human habitat» folgen; kulturelle Traditionen, Lebensumfelder und unterschiedliche Lebensstile müssten dabei Berücksichtigung finden.

Sozial verantwortliche Architektur

Eine lockere Gruppe von Reformern fand sich zusammen, darunter die Briten Peter und Alison Smithson, die Niederländer Jaap Bakema und Aldo van Eyck sowie Georges Candilis und Shadrach Woods, frühere Mitarbeiter von Le Corbusier, die gerade mit einer Wohnsiedlung in Casablanca Aufsehen erregt hatten. Weil die Reformer mit der Vorbereitung des zehnten CIAM-Kongresses von 1956 in Dubrovnik betraut wurden, nannten sie sich Team 10. Nachdem Walter Gropius und Le Corbusier zum letzten Mal am Treffen in Aix teilgenommen hatten und auf der Konferenz von 1959 in Otterlo die Auflösung des CIAM deklariert worden war, setzte Team 10 die Zusammenkünfte in einem anderen Stil fort: lockerer, weniger formal und weniger rigide. Mehr als zwei Jahrzehnte agierte Team 10 als supranationales intellektuelles Diskussionsforum, bis der Tod von Bakema 1981 schliesslich zur Auflösung der Organisation führte.

Auf Basis eines Forschungsprojekts an der TU Delft wird Team 10 jetzt in einer materialreichen Ausstellung des Nederlands Architectuur Instituut (NAI) in Rotterdam präsentiert, welches unlängst Peter Smithsons Team-10-Nachlass ankaufen konnte. Im Groben folgt der Rundgang der Chronologie; er beginnt mit der Abgrenzung der Neuerer vom CIAM und endet mit dem letzten Meeting von Team 10 im Jahre 1977 in Bonnieux. In diese dokumentarische Abfolge integriert sind Ausstellungsbereiche, die sich den von Team 10 diskutierten Themen widmen: vom Massenwohnungsbau über den Kontext und die historische Stadt bis hin zu Mobilität, flexiblen Strukturen und partizipatorischem Bauen.

Diese Ausstellung kommt zweifellos zum rechten Zeitpunkt. Wie beispielsweise die Kasseler Documenta in den Jahren 1997 und 2002 zeigte, besitzt die Architektur der fünfziger bis siebziger Jahre für den zeitgenössischen Diskurs erhebliche Aktualität. Neuerdings liegt zudem ein - ebenfalls an der TU Delft erarbeitetes - Kompendium unter dem Titel «Exit Utopia - Architectural Provocations 1956-1976» vor. Dass Architektur etwas mit sozialer Verantwortlichkeit zu tun haben könnte, ist ein Gedanke, der in einer Zeit auf neues Interesse stösst, da das Bauen massgeblich durch das Renditedenken von Investoren oder das Standortmarketing bestimmt wird.

Als Abstufungen von Öffentlichkeit sahen Peter und Alison Smithson die Bereiche «Home, Street, District, City» und kritisierten mit ihrem Wohnkonzept für die Londoner Golden Lane 1952 Le Corbusiers gerade fertiggestellte Unité d'habitation in Marseille. Erschlossen werden die Gebäude nicht von einer Rue intérieure, sondern von äusseren Gangsystemen; und während die Unité isoliert als Stadt in der Stadt konzipiert ist, suchten die Smithsons nach Ausdehnung, Vernetzung und Struktur - gemäss ihrer Überzeugung, die Möglichkeit der Kommunikation sei die zentrale Voraussetzung für sozialen Zusammenhalt. Dabei bewahrte man sich indes einen gewissen Pragmatismus; nicht durch das Theoretisieren, sondern durch das Bauen schaffe man Veränderung, formulierte Alison Smithson 1962.

Grosse Strukturen organisieren

Der Versuch, grosse Baustrukturen nach einem menschlichen Massstab zu organisieren, war eine der wichtigsten Herausforderungen der Gruppe. In dem Entwurf für den Rotterdamer Alexanderpolder (1956) arbeiteten van den Broek und Bakema mit dem Prinzip klar umrissener Nachbarschaften und optischer Gruppierung der Baumassen, um der Anonymität einer modernen Satellitenstadt entgegenzuwirken. Eine organische Verflechtung unterschiedlicher Funktionen als Gegenmodell zur funktionellen Segregation erprobten Georges Candilis, Alexis Josic und Shadrach Woods mit Grosssiedlungen in Bagnols-sur- Cèze (1956-1962) sowie in Toulouse-Le-Mirail (1961-1977). Trotz besten Absichten verfehlten manche Bauten die hochgesteckten Ziele - das gilt selbst für eines der überzeugendsten Beispiele aus dem Umkreis von Team 10, die Neuplanung des Stadtteils Byker in Newcastle durch Ralph Erskine (1968-1981). Die Siedlung gilt als ein Musterbeispiel für partizipatorisches Bauen mit Beteiligung der Bewohner während der Planung. Gleichwohl konnten Verwahrlosung und Verödung kaum verhindert werden.

Die «Robin Hood Gardens» (1966-1972) im Londoner Osten, mit denen die Smithsons ihr Postulat einer «Street in the air» erstmals verwirklichen konnten, stiessen selbst bei manchen Team-10-Mitgliedern auf Widerstand; Aldo van Eyck beispielsweise bezeichnete das Projekt schlicht als «abstossend». Giancarlo de Carlo wiederum kritisierte 1963 den Wettbewerbsentwurf für den Frankfurter Römerberg von Candilis, Josic und Woods heftig. Im Gegensatz zu den Verfechtern ausgedehnter Megastrukturen vertraten van Eyck und de Carlo ohnehin andere Positionen: Van Eyck optierte für einen organisch- individuellen Strukturalismus, wie er sich besonders im Amsterdamer Waisenhaus artikulierte, de Carlo begründete mit seinen Projekten in Urbino einen kritischen Regionalismus und bewies, dass sich moderne Strukturen hervorragend in historische Kontexte einfügen.

Anachronistisch geworden

Während die Team-10-Treffen in den frühen Jahren von einer grossen Zahl von Teilnehmern besucht wurden, reduzierte sich das Spektrum später auf einen engen Zirkel von etwa zehn Personen. Als mit Bakema 1981 einer der Protagonisten starb, waren die spezifischen Team-10-Debatten zum Anachronismus geworden. Mit der Postmoderne, die sich in Deutschland mit der Internationalen Bauausstellung (IBA) Berlin und den neuen Museumsbauten in Stuttgart, Frankfurt und Mönchengladbach manifestierte, hatte die Kritik an der Moderne eine neue Ausprägung gefunden. Der Überdruss an der Postmoderne, der aufgrund mangelnden zeitlichen Abstands die heutige Architektengeneration prägt, mag den Blick auf die sechziger und siebziger Jahre umso reizvoller machen.

[ Bis 8. Januar 2006. Katalog: Team 10 1953-1981. In search of a Utopia of the present. Hrsg. Max Risselada und Dirk van den Heuvel. NAI Publishers, Rotterdam 2005. 370 S., Euro 69.50. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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