Veranstaltung

Moskau - Melnikow
Ausstellung
16. Februar 2006 bis 13. April 2006
Wiener Städtische Allgemeine Versicherung AG
Schottenring 30
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Vienna Insurance Group
Eröffnung: Mittwoch, 15. Februar 2006, 18:30 Uhr

Die Architektur hat viele Feinde

Der russische Bauernsohn Konstantin Melnikow revolutionierte Form und Raum und wurde als Kind der Revolution schließlich selbst gefressen

25. Februar 2006 - Ute Woltron
Ich weiß: Ich bin in diesem Jahrhundert dazu berufen, das absterbende Gespür wieder zu beleben und neu in der Architektursprache zu reden." Konstantin Melnikow (1890-1974) wusste nicht, dass ihm für diese Aufgabe nur der Augenblick zwischen zwei Wimpernschlägen der Geschichte gegönnt sein würde, doch diesen kurzen Zeitraum von etwa zehn Jahren nutzte er traumwandlerisch aus.

Melnikow war Russe, Sozialist, Architekt. Als der Stalinismus sein Regime über die UdSSR zu spannen begann, erstickte er darunter auch die Formgeber der ersten Revolutionsjahre. Melnikow war eine der Speerspitzen dieser kraftvollen russischen Avantgarde gewesen, den Rest seines Lebens sollte er zurückgezogen, mit Arbeitsverbot belegt und mit Hunger geschlagen in seinem Haus in Moskau verbringen.

Zurzeit erinnert eine Ausstellung im Wiener Ringturm an Melnikows Werk. Modelle seiner Entwürfe, nachgebaut von Studenten von vier europäischen Universitäten, veranschaulichen die fast naturgewaltigen Formenkünste des Mannes, der die Architektur stets als Ausdruck der „modernsten Formen unserer Zeit“ aufgefasst hatte.

Kaum jemand weiß heute noch, dass die Wiener Architektur- und Kunstszene bereits Anfang der 70er-Jahre die Gnade eines Blickes auf Melnikows Universum erfahren durfte - und es ist nicht spekulativ zu behaupten, dass sie davon nicht unbeeinflusst blieb.

Wie es damals zu der überhaupt ersten Melnikow-Ausstellung im Westen kam, kann eine betagte, quicklebendige Dame in der Wiener Innenstadt erklären. In ihrem Wohnsalon gibt es nicht nur vorzüglichen türkischen Kaffee samt Zigaretten, sondern auch eine silbern gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografie. Sie zeigt einen alten, schmalen, dunklen Mann. Er trägt ein weißes, gehäkeltes Häubchen auf dem Kopf und sitzt sehr aufrecht in einem seltsamen Raum. Das Licht fällt durch ein sechseckiges Fenster. Es scheint sehr still um ihn zu sein.

Die Aufnahme des damals etwa 82-jährigen Melnikow in seinem mittlerweile legendären Wohnhaus in Moskau stammt von keinem Geringeren als dem französischen Fotografen Henri Cartier-Bresson. Eva Auer, besagte Dame, hatte die Fäden geknüpft, die richtigen Menschen im richtigen Moment in der Geschichte zusammengebracht.

Sie selbst war in den 60er- und 70er-Jahren als Ehefrau des österreichischen Kulturattachés in Moskau stationiert, und da sie selbst Künstlerin, Malerin, also eine Wissende war, wusste sie, als sie in der UdSSR ankam, dass hier irgendwo einer lebte, der Melnikow hieß und seinerzeit Revolutionäres gebaut hatte. Melnikow hatte für die neue sowjetische Weltordnung den rechten Winkel verzerrt, Räume und Wände gefaltet, Architekturen wie Maschinen konstruiert und beweglich gemacht.

Eva Auer erzählt, wie sie vier Jahrzehnte später durch die Straßen Moskaus ging, auf der Suche nach dem Haus mit den sechseckigen Fenstern. Als sie schließlich davorstand, sagt sie, war es „wie ein Schlag“. Melnikow war vorsichtig, er war scheu geworden. Er öffnete der Künstlerin seine Pforten nur zögerlich, doch schließlich ließ er die Frau aus dem Westen eintreten in sein Universum, denn man hatte sich als seinesgleichen erkannt.

Eva Auer hatte in Paris bei Fernand Léger studiert und dort noch die Schwingungen gespürt, die von den russischen Avantgardisten, den Konstruktivisten und Kunstrevolutionären der 20er-Jahre hinterlassen worden waren. Erst als sich die Vertrautheit zu Melnikow zu einer Freundschaft verdichtet hatte, erlaubte der Architekt der Wienerin Unerhörtes: Sie durfte über einen längeren Zeitraum hinweg heimlich mit der Diplomatenpost ihres Mannes Fotografien und Pläne aus Melnikows Archiv in den Westen schmuggeln. Er ging damit ein ungeheures Risiko ein. Sie ebenfalls.

So wie zuvor Cartier-Bresson brachte Eva Auer auch Monsignore Otto Mauer, den Gründer der Galerie St. Stephan, in Melnikows Haus. Am 6. Februar 1974 eröffnete in der Wiener Avantgarde-Galerie die Ausstellung der stückweise in den Westen verfrachteten Exponate. Sie waren nur bis zum 2. März zu sehen. Melnikow starb im November desselben Jahres. Zuvor hatte Eva Auer noch einen weiteren Kontakt geknüpft - zum Architekturautor Frederick Starr, der 1978 die erste Monografie herausbrachte: Melnikow - Solo Architect in a Mass Society.
Melnikow wurde 1890 als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Der Besitzer jener Firma, in der er als Laufbursche arbeitete, erkannte offenbar sein gestalterisches Talent und finanzierte ihm die Ausbildung an der Moskauer Fachschule für bildende Kunst und Architektur. Er schloss das Studium 1917 ab: „Ich bekam den Titel eines Architekten und trat in ein Metier ein, das vor dem Abgrund stand. Warum erwecken meine Arbeiten solch starke Neugier, die sich mit Besorgnis mischt? Warum entstehen Abneigung und Angst vor der Ungewöhnlichkeit dieser Arbeiten? Und warum entsteht ein Gefühl der Frische, wenn man sie besser kennen lernt?“

Melnikow baute in der Folge Arbeiterwohnungen, Arbeiterklubs und entwarf Monumente. 1925 gestaltete er gemeinsam mit Alexander Rodtschenko den sowjetischen Pavillon für die Weltausstellung in Paris, der mit dem Grand Prix ausgezeichnet wurde und ihm internationale Berühmtheit verschaffte. Er blieb für einige Zeit mit seiner Familie in Paris, kehrte allerdings als „russischer Mensch mit russischem Glauben“ bald wieder nach Moskau zurück.

Zuvor hatte er noch ein Projekt für die Pariser Stadtverwaltung entwickelt, das nun in der Ringturm-Ausstellung der Wiener Städtischen Versicherung als Modell zur längeren Betrachtung und Analyse einlädt: In dem monumentalen und zugleich so eleganten Entwurf für ein Parkhaus für Pariser Taxis (1925) lässt sich Melnikows unerhörtes räumliches Talent ablesen. Das Konstrukt liegt scherenartig auf einer Seine-Brücke, die Rampen rasen durch den Baukörper, alles ist Bewegung, alles ist Geometrie.

Zurück in Moskau, durfte der Architekt noch ein paar fruchtbare Jahre verbringen. In dieser Zeit baute er auch sein Wohnhaus (1927-1929), das mit seinen gewagten zylindrischen Geometrien, den sechseckigen Fenstern, den gemauerten Betten und seiner ganz seltsamen Raumatmosphäre heute zu den Ikonen der modernen Architektur zählt.

Ab den 30er-Jahren fielen die russischen Konstruktivisten in Ungnade, Melnikow wurde eine knappe Pension zugewiesen, bauen durfte er nicht mehr. Eva Auer sagt heute, die Wertschätzung des Westens sei ihm egal gewesen, er habe vielmehr bis in das hohe Alter auf eine Rehabilitierung in seiner Heimat gehofft, aber auch diese Hoffnung habe er irgendwann einmal fahren lassen.

„Die Architektur“, hatte Melnikow gesagt, „hat viele Feinde, die andere Künste nicht haben: die Technik, die Grafik, den Alltag, die Dienstleistungen und die Millionen von Rubel.“ Vor allem Letztere bedrohen heute das Melnikow-Haus. Der Grund, auf dem es steht, ist kostbar, die Architektur selbst in schlechtem Zustand.

Eine Gruppe engagierter internationaler Architekten und Künstler versucht seit geraumer Zeit, das Gebäude ins öffentliche Bewusstsein zu rücken und zu retten. Einer der Initiatoren ist MAK-Chef Peter Noever. Die offizielle Deklaration zur Rettung und Erhaltung des Hauses wurde etwa von Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Rem Koolhaas und David Sarkysian, dem Direktor des Architekturmuseums Moskau, unterzeichnet.

80 Jahre nach Vollendung des Hauses beginnt nun ein Wettkampf gegen Zeit und Geld: Vor zwei Wochen starb Melnikows Sohn Wiktor. Er hatte bis zuletzt in seinem Elternhaus gelebt.

[ Die Ausstellung „Moskau - Melnikow. Architektur
und Städtebau von Konstantin Melnikow 1921-1937“ ist bis 13. 4. im Wiener Ringturm zu sehen. ]

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