Veranstaltung

Un Studio: Entwicklung des Raums
Ausstellung
25. Februar 2006 bis 30. April 2006
Deutsches Architektur Museum
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Main


Veranstalter:in: Deutsches Architekturmuseum (DAM)
Eröffnung: Freitag, 24. Februar 2006, 19:00 Uhr

Architektonische Zwitterwesen

Das Amsterdamer UN-Studio - eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt

Seit dem Bau des räumlich komplexen Möbius-Hauses in Het Gooi zählt Ben van Berkel von UN-Studio zu den Vordenkern der zeitgenössischen Architekturszene. Im Hinblick auf die Eröffnung des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart ehrt nun das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt das Amsterdamer Büro mit einer Retrospektive.

9. März 2006 - Roman Hollenstein
Seit Rem Koolhaas' wegweisendem, aber unrealisiert gebliebenem Projekt eines Zentrums für Medientechnologie in Karlsruhe (1989) wurde vor allem in den Niederlanden der architektonische Raum erforscht und die vor achtzig Jahren von Le Corbusier propagierte Idee des freien Grundrisses hin zur dreidimensional verschränkten Innenwelt erweitert. Davon zeugten 1997 das vom Rotterdamer Büro MVRDV mit schiefen und gekurvten Erschliessungsebenen versehene VPRO-Gebäude in Hilversum und ein Jahr später das in einem lichten Wald bei Het Gooi errichtete Möbius-Haus des Amsterdamer UN-Studios. Hier umschreiben kontinuierliche, auf dem Möbiusband beruhende Wandflächen die Innenräume, um gleich darauf dank einer Drehung die Aussenhaut der Villa zu bilden.

Bauen im Computerzeitalter

Mit der architektonischen Umsetzung dieses im 19. Jahrhundert von August Ferdinand Möbius beschriebenen mathematischen Modells war dem heute 49-jährigen Ben van Berkel eine baukünstlerische Sensation gelungen. Seither hat das von ihm geleitete UN-Studio, welches sich selbstbewusst als «eines der innovativsten Architekturbüros Europas» anpreist, eine auf mathematischen Modellen basierende Entwurfsstrategie «für ein neues Bauen im digitalen Zeitalter» entwickelt. Mit einem räumlich komplexen, auf einer verschränkten Doppelhelix basierenden Projekt konnte es 2001 den Wettbewerb des Stuttgarter Mercedes-Benz-Museums für sich entscheiden. Das nun der Vollendung entgegengehende Gebäude erscheint im postindustriellen Niemandsland von Untertürkheim wie ein metallisch glänzender, seltsam gemorphter Zwitter - halb CD- Player, halb Autosilo oder Raumstation. Kritiker schwärmten bereits von einer barocken Lösung. Doch so einfach kann das Form- und Raumgefüge dieser skulpturalen Science-Fiction-Architektur nicht charakterisiert werden. Ihr Inneres lebt von einem doppelten Raumkontinuum, welches der Funktion des Hauses auf spektakuläre Weise entgegenkommt und Ausstellungssituationen von der traditionellen Halle für Oldtimer bis hin zum nachgebauten Autobahnstück voller schnittiger Wagen bietet.

Schon jetzt wird der Autotempel, der im Mai seine Tore öffnen soll, allenthalben als neuer Höhepunkt der zeitgenössischen Architektur gefeiert. Es erstaunt daher nicht, dass das finanziell angeschlagene Deutsche Architekturmuseum (DAM) in Frankfurt auf dieses Wunderwerk setzt und nun dessen Grossmodell als Highlight einer Retrospektive anpreist, die von UN-Studio selbst inszeniert wurde. Diese Schau bietet mittels werbewirksamer Farbbilder eine Übersicht über die vom 1988 gegründeten Amsterdamer Büro realisierten Bauten. Gleichzeitig verankert sie auf einem dreidimensionalen Diagramm, das die ganze Erdgeschosshalle füllt, sechzehn Bauten und Projekte in einem zweiachsigen Koordinatensystem, wobei die einzelnen Werke den sich fünfmal wellenartig aufwölbenden Längsbändern zugeordnet sind. Die Wellenberge erheben sich an den Schnittstellen mit den Querachsen, die den fünf Entwurfsmodellen entsprechen: den eher ideellen Prinzipien der «Inklusivität» und der «umfassenden Planung» sowie den strukturellen Leitlinien des «V-Modells», des «mathematischen Modells» sowie des «Blob-und-Box-Modells». So kann man denn die faszinierenden, aus Damenstrümpfen, Schaumgummi, Draht, Papier und Stecknadeln gebastelten Maquetten der aus unterschiedlichen Entwurfsmodellen resultierenden Bauprojekte bald auf dem einen, bald auf dem anderen Wellenberg antreffen.

Mangel an Phantasie?

Die etwas geschmäcklerische, auf den ersten Blick an eine Schmuck- oder Designmesse erinnernde Präsentation versteht sich als räumliche Umsetzung einer praxisorientierten Theorie, die der Architekturwelt zeigen soll, wie sich Bauwerke «unvoreingenommen» im Rahmen einer «offenen Planung» entwickeln lassen. Ob sich dieses Gedankengerüst als «ultimativer» Leitfaden des computergestützten Planens etablieren wird, ist fraglich. Wohl eher dient es dem Versuch einer Selbstpositionierung, denn niederländische Büros befinden sich seit den Theorie-Exzessen von Rem Koolhaas' Think-Tank OMA/AMO unter enormem Profilierungsdruck.

Ein effizientes Werkzeug zur Abwicklung einzelner Planungsschritte muss nicht unbedingt zu baukünstlerischen Spitzenleistungen führen. Das verdeutlichen jene realisierten Werke von UN- Studio, bei denen es sich um intelligente Adaptionen von Vorbildern handelt, welche dann - vielleicht aus Mangel an formaler Phantasie - krampfhaft variiert werden. So ist die zeichenhafte Erasmus-Brücke (1996) in Rotterdam nicht ohne Calatravas Puente Alamillo in Sevilla, das in ein nachts glitzerndes Paillettenkleid gehüllte Galleria-Gebäude in Seoul nicht ohne Future Systems denkbar. Im SUM-Büromöbel hingegen scheinen sich Carlo Mollino und Zaha Hadid zu begegnen, während das Kaffeeservice für Alessi - trotz Verweis auf das geometrische Paradoxon der «Kleinschen Flasche» - an einen allzu symmetrischen Colani-Entwurf gemahnt. Und die Hochhäuser von Arnheim sind kaum mehr als banale Investorenarchitektur.

Allerdings liegt die Stärke der Arbeiten von UN-Studio nicht in deren äusserer Erscheinung - auch wenn das Büro mit dem enigmatischen Umspannwerk in Innsbruck, dem heiter-eleganten Apartmenthaus in Zuoz und nun auch mit dem futuristischen Mercedes-Benz-Museum mehrere höchst einprägsame Baufiguren erfunden hat. Vielmehr sind es die Innenräume, mit denen UN- Studio zu betören weiss. Dies zeigten bereits die Wohnlandschaft des Möbius-Hauses und die Wellness-Unterwelt des Hotels «Castell» in Zuoz. Nun darf man gespannt sein auf die Stuttgarter Museumsräume, auf die 2008 vollendeten Bahnhofskatakomben von Arnheim und den voraussichtlich bis zum Jahr 2010 umgestalteten Parodi- Pier im alten Hafen von Genua.

[ Bis 30. April im DAM in Frankfurt. Katalog: UN-Studio. Entwicklung des Raums. Hrsg. Peter Cachola Schmal. Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt 2006. 128 S., Euro 15.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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