Veranstaltung

O. M. Ungers
Ausstellung
27. Oktober 2006 bis 7. Januar 2007
Neue Nationalgalerie, Kulturforum Potsdamer Platz
Potsdamer Straße 50
D-10785 Berlin-Tiergarten


Veranstalter:in: Staatliche Museen zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz

Das architektonische Mass aller Dinge

Berlin ehrt Oswald Mathias Ungers mit einer Ausstellung zum 80. Geburtstag

Die Neue Nationalgalerie Berlin inszeniert anlässlich von Oswald Mathias Ungers' 80. Geburtstag den Kosmos des Meisters. Im Zentrum stehen die Wechselwirkungen zwischen Architektur und bildender Kunst.

8. Dezember 2006 - Claudia Schwartz
Kaum ein Architekt hat die geometrische Formensprache so konsequent zum baukünstlerischen Prinzip erhoben und gleichzeitig den eigenen architektonischen Massstab aufs Engste mit der bildenden Kunst verknüpft wie Oswald Mathias Ungers («OMU»). So werden Besucher in Berlins Neuer Nationalgalerie derzeit von «Square» (Bruce Nauman), «Basalt Circle» (Richard Long) und «The Voiden Closed by the Squares of the Three, Four and Five» (Carl Andre) empfangen. Die Werke spielen auf jene Überzeugung an, wonach für die Architektur kein Weg an der Kunst vorbeiführt. Ein gelungener Auftakt, mit dem die Ausstellung «Kosmos der Architektur» ins Werk eines der einflussreichsten deutschen Architekten der Gegenwart anlässlich von dessen 80. Geburtstag einführt.

Kunst- und Wunderkammer

Nicht zuletzt beweist diese vom Architekten gemeinsam mit dem Kurator Andres Lepik konzipierte Schau, dass sich der von Ludwig Mies van der Rohe gebaute und von Ungers bewunderte, aber schwierig zu bespielende Glastempel durchaus für Inszenierungen eignet, wenn man es nur behutsam anstellt. Freilich verführt wohl kaum ein Werk zur Besinnung aufs Wesentliche wie dasjenige von Ungers, dem Meister der Klarheit und Strenge. Der Deutsche ergründet mit seiner Architektur bis heute die Idee der Baukunst, die bei ihm unbeirrt von Strömungen und Stilen zu einer Art Quintessenz des Hauses gerinnt.

Ins Zentrum des architektonischen Œuvre stellt die Berliner Schau denn auch das Haus an der Belvederestrasse in Köln (1958/59). Von Ungers als sein eigenes gebaut, hat es sich in den darauffolgende Jahrzehnten zu einer Kunst- und Wunderkammer Ungerschen Schaffens entwickelt. Hier sind normalerweise auch die gesammelten Kunstwerke, die Schriften (etwa von Vitruv, Schinkel oder Le Corbusier) sowie die Modelle zu Hause, die in der Schau neben Fotografien und Aufrissen zu sehen sind. Das Kölner Gebäude, das 1989 um einen Bibliotheksbau, einen «kubischen Idealraum», erweitert wurde, öffnet sich im Innern dank Sichtbezügen (statt einer tradierten Folge von Zimmern) und aussen dank einer reliefartigen Struktur, die zur Räson gebracht ist im dezidierten Umgang mit den Materialien Ziegel und Beton.

Städtebauliche Einbindung oder innere Raumaufteilungen, kurz: Pläne oder Entwurfsarbeit sind in Berlin nicht das Thema. Die Bauten werden wie selbstredende Kunstwerke aufs Podest gehoben, so etwa das Haus Glashütte (1988), das, eingebettet in eine minimalistisch gestaltete Landschaft, mit seiner Fassade kühl und präzise die Elemente setzt nach dem Bautypus des Megarons, eines quadratischen Zentralbaus mit Satteldach. Obwohl der Architekt nach dem zweiten auch noch ein drittes Haus für sich errichtete (Haus Kämpchensweg in Köln, 1994-96), nutzte er das erste weiter bis vor wenigen Jahren als Wohn- und Arbeitsrefugium. Alles erzählt davon, wie hier einem die Architektur zur «Lebensnotwendigkeit» geworden ist, wobei das Denken «immer um Raum, Körper, Proportion, Mass und Zahl» kreist. Es ist eine kühle Besessenheit, welche die Baukunst den alltäglichen Niederungen der Moden, des Alltags, der Stilübungen enthebt. Dafür steht die Hamburger Galerie der Gegenwart (1989) ebenso wie das Kölner Wallraf- Richartz-Museum (1975) oder das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt (1979-84).

One-Man-Show

Keine Frage, dass die Sockel mit den Architekturmodellen in Übereinstimmung mit den Bodenplatten von Mies van der Rohes Kunsttempel placiert sind als Ausdruck für Ungers' Bewunderung für «das Sublime, das Erhabene, das sich in der elementaren Einfachheit der Nationalgalerie ausdrückt». Man ahnt es: Ungers' Bauten sind Traktate über die Baukunst, die auf das Übergeordnete verweisen und auf die Ursprünge zurückführen wie die - in der Schau als Gipsmodelle gezeigten - Marksteine der Architekturgeschichte vom Parthenon über das Pantheon bis zum Castel del Monte. Denn kein anderer deutscher Architekt hat in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Nachdenken über sein Fach so beständig betrieben wie OMU. Aber die Ausstellung arbeitet intuitiv und verzichtet komplett auf Texttafeln. Ein unverzeihliches Versäumnis bei einer so vielschichtigen wie herausfordernden Architektenpersönlichkeit. Ungers' Bedeutung als Vordenker und Lehrer der Architektur kommt zwangsläufig zu kurz.

Über die Kriterien der Reduktion, über Ungers' Theorie und - durchaus umstrittene - Bauphilosophie hätte man gerne etwas mehr erfahren, da sie beseelt ist von jener «Coincidentia oppositorum», die Ungers selbst nach Nikolaus von Kues zitiert. So aber überhöht die Schau gerade jenen ästhetisierenden Formalismus, wie er Ungers in oberflächlicher Betrachtung oft ausschliesslich zugesprochen wird.

Wer sich fragt, wo sich eigentlich die derzeit vieldiskutierte Armut Berlins manifestiert, der kann sie in solchen - in der Neuen Nationalgalerie bereits üblichen - Ausstellungen «von, mit und über» Armani, Koolhaas oder nun eben Ungers studieren. Was nicht heissen soll, dass dabei nicht bewundernswürdige Präsentationen entstehen. Aber die kritische Befragung der Architekten oder Designer und ihrer Werke tritt zurück hinter eine One-Man-Show, die kostengünstig zu haben ist, da sie nicht zuletzt Werbung in eigener Sache betreibt. Auch hier trifft das zu, da die Staatlichen Museen zu Berlin gemeinsam mit Oswald Mathias Ungers auf der Museumsinsel Umbau und Erweiterung des Pergamonmuseums planen.

[ Bis 7. Januar 2007. Katalog: O. M. Ungers. Kosmos der Architektur. Hrsg. Andres Lepik. Hatje-Cantz-Verlag, Ostfildern 2006. 91 Abb., 120 S., Fr. 42.- (Euro 20.- in der Ausstellung). ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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