Veranstaltung

Chandigarh e Brasilia
Ausstellung
30. Januar 2007 bis 18. März 2007
Galleria dell'Accademia
Largo Bernasconi 2
CH-6850 Mendrisio


Veranstalter:in: Universita della Svizzera italiana - Accademia di Architettura

Rationalistische Idealstädte

Brasilia und Chandigarh - eine Doppelausstellung in der Architekturgalerie Mendrisio

Im Rahmen ihrer Ausstellungsreihe über Megastädte widmet sich die Galleria dell'Accademia in Mendrisio derzeit den Planstädten Brasilia und Chandigarh. Entstanden ist eine vielschichtige Schau.

21. Februar 2007 - Roman Hollenstein
In schneller Abfolge zieht die Galerie der Architekturakademie Mendrisio ihren Ausstellungszyklus über aufstrebende Metropolen und die Verstädterung der Welt durch. Damit versucht sie sich geschickt als das aktivste und für Besucher attraktivste Architekturinstitut der Schweiz zu etablieren. Nach den wuchernden Megastädten Mexiko und Moskau, in welchen die baukünstlerischen Juwelen im unendlichen Häusermeer verschwinden und die Urbanisten sich mit stets neuen Realitäten arrangieren müssen, haben nun zwei «kleinere» Städte ihren Auftritt: Brasilia und Chandigarh. Gemeinsam ist ihnen nicht nur die Stellung als Hauptstädte (von Brasilien beziehungsweise des indischen Punjab), sondern auch die Tatsache, dass es sich bei beiden um wegweisende Planstädte mit einer Vielzahl architektonisch hochbedeutender Bauwerke handelt.

Funktional und doch human

Noch immer bieten diese in den fünfziger Jahren nach rationalistischen Gesichtspunkten auf dem Reissbrett entworfenen urbanen Konstrukte humanere Lebensbedingungen als andere Millionenstädte in Schwellenländern. Gleichwohl wurden sie schon in den sechziger Jahren als Fehlplanungen angeprangert - zunächst von Jane Jacobs, dann von einer wachsenden Zahl von Kritikern. Beanstandet wurde namentlich die funktionalistische Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit. Dem damit verbundenen grosszügigen Layout ist es aber zu verdanken, dass die Städte die Belastungen durch die dem ursprünglichen Konzept zuwiderlaufende Verdichtung und Slumbildung an den Rändern verkraften konnten. In Chandigarh führten allerdings Armut und politisches Desinteresse zur Vernachlässigung des gebauten Patrimoniums, von der auch Le Corbusiers Regierungsbezirk nicht verschont blieb. Das 1987 zum ersten modernen Unesco-Welterbe ernannte Brasilia vermag hingegen heute noch mit Oscar Niemeyers Regierungsbauten, Kirchen und Musentempeln zu begeistern.

Unter dem Titel «Twilight of the Plan: Chandigarh and Brasilia» vermischt die suggestive, von Josep Acebillo, Maristella Casciato und Stanislaus von Moos kuratierte Schau in Mendrisio architektonische und urbanistische Aspekte. In einer symmetrischen Inszenierung zelebriert sie die Genese der beiden Städte anhand von grossen Maquetten (darunter Le Corbusiers berühmtes Holzmodell des Regierungsbezirks von Chandigarh), Planskizzen, historischen Fotos von René Burri, Lucien Hervé und Ernst Scheidegger, Aufnahmen der heutigen Wirklichkeit von Enrico Cano sowie einer Vielzahl von Filmen, vor denen allein man schon Stunden verbringen könnte. Historische Exkurse rufen aber auch in Erinnerung, dass die beiden Kapitalen nicht die ersten Planstädte des vergangenen Jahrhunderts waren. So besass Indien mit dem zwischen 1912 und 1931 von Herbert Baker und Edwin Lutyens errichteten New Delhi bereits früh eine - noch ganz klassisch konzipierte - Retortenstadt.

In jenen Jahren hatte Le Corbusier (ein früher Bewunderer von New Delhi) eigene urbanistische Visionen entwickelt: etwa die «Ville lumineuse». Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er einen Entwurf für das zerstörte Saint-Dié vorlegen, und 1951 machte er sich an die Planung von Chandigarh, an der sich zuvor der Urbanist Albert Mayer die Zähne ausgebissen hatte. Ganz im Sinne der von den CIAM geforderten funktionalen Stadt konzipierte er zusammen mit Maxwell E. Fry und Jane B. Drew eine Schachbrettstadt mit skulpturalem Regierungsbezirk und einem Strassengitter, in dem seine Mitarbeiter moderne Antworten auf die Gartenstadt erproben konnten. Dennoch wurden diese später teilweise bizarr umgebauten Wohn- und Geschäftsviertel im medialen Schatten von Le Corbusiers vielbewunderten, zwischen 1955 und 1962 eingeweihten Betonburgen auf dem Kapitol kaum beachtet.

Ähnlich verhielt es sich mit der Rezeption von Brasilia. Hier lösten vor allem die hellen, heiter beschwingten Regierungsbauten von Niemeyer, die einen leichtfüssigen Samba zu tanzen scheinen, beim internationalen Publikum Begeisterung aus. Mit seiner neuen Hauptstadt gelang es Präsident Juscelino Kubitschek, Brasilien die Aura eines Zukunftslandes zu verleihen. Er war es nämlich gewesen, der 1956 - wohl inspiriert vom Projekt einer 1943 von Josep Lluís Sert und Paul Wiener für seinen Vorgänger Getúlio Vargas konzipierten «Motorenstadt» - einen landesweiten Wettbewerb zum Bau der neuen Hauptstadt Brasilia ausgerufen hatte. Siegreich hervorgegangen war aus dieser Konkurrenz der «Plano Piloto» des Le-Corbusier-Anhängers Lucio Costa: ein flugzeugartiger Entwurf mit den Regierungsbauten im Cockpit und den mit Wohnblocks zu bebauenden Superquadras in den Flügeln. Niemeyer, sein jüngerer Kollege und Freund, durfte diesen dann mit repräsentativen Bauten füllen, die von 1960 an die Welt betörten.

Auswirkungen auf die Schweiz

Wie weit verbreitet in den optimistischen fünfziger Jahren der Traum von der Idealstadt war, zeigt nicht nur ein Blick auf den in stalinistischem Klassizismus errichteten Krakauer Arbeitervorort Nowa Huta (NZZ 17. 2. 07), sondern auch die Schweizer Modellstadt «Furttal», die nordwestlich von Zürich hätte entstehen sollen. 1958 als Antwort auf Max Frischs und Lucius Burckhardts Pamphlet «Achtung: die Schweiz» von einer ETH-Studiengruppe geplant, geriet die von einem Autobahnring erschlossene Retortenstadt nach der Expo 1964 schnell in Vergessenheit. Erst neuere Forschungen förderten das spektakuläre Modell in einem Depot in Otelfingen wieder ans Licht, so dass es im vergangenen Sommer frisch restauriert in einer Ausstellung im Seedammcenter vorgestellt werden konnte. Bevor es nun in der Hochschule für Technik in Rapperswil seine Bleibe finden wird, darf es als Auftakt zur Ausstellung in Mendrisio die helvetische Auseinandersetzung mit den manifestartigen Planstädten der internationalen Moderne verkörpern.

[ Bis 18. März (mittwochs bis sonntags 12 bis 18 Uhr) in der Galleria dell'Accademia in Mendrisio. Der Katalog (Twilight of the Plan: Chandigarh and Brasilia. Hrsg. Mendrisio Academy Press, 192 S, Fr. 25.-) erscheint gegen Ende der Ausstellung. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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