Veranstaltung

Architektonische Fragmente: Bulgarien
Ausstellung
4. Oktober 2007 bis 9. November 2007
WIENER STÄDTISCHE Versicherung AG
Schottenring 30
A-1010 Wien


Veranstalter:in: Vienna Insurance Group
Eröffnung: Freitag, 3. Oktober 2008, 18:30 Uhr

Willkommen im Westen!

Eine Wiener Ausstellung zur bulgarischen Architektur

19. Oktober 2007 - Paul Jandl
«Prototyp» notierte der junge Le Corbusier im Jahre 1911 in seinem Reisetagebuch unter der Skizze eines schlichten, aber hoch funktionalen Hauses im bulgarischen Kasanlik. Auf seinem mehrere Monate dauernden «voyage en Orient» fuhr der Architekt durch die Dörfer des Balkans und holte sich dort Inspirationen, die sein Werk prägen sollten. In mehreren Wellen wurde seit Le Corbusier das anonyme Bauen Bulgariens entdeckt. Seine auf das menschliche Mass ausgerichteten Grundrisse und die traditionelle Öffnung der Gebäude nach aussen finden etwa auch in Bernard Rudofskys grundlegenden Gedanken zu einer «Architektur ohne Architekten» ihren Niederschlag. Wenn jetzt im Wiener Ringturm eine Ausstellung zur bulgarischen Architektur gezeigt wird, dann zählen diese Ursprünge zu den Präliminarien eines sich äusserst divers zeigenden Bauens, das doch immer wieder zu den alten Tugenden zurückzukehren versucht.

Chronologisch und in so spartanischer Aufmachung, dass der Katalog dazu zum eigentlichen Ereignis wird, geht die Ausstellung durch rund dreihundert Jahre bulgarischer Architektur. Über die frühen kubischen und in ihrer ästhetischen Konsequenz beeindruckenden Wohnhäuser legt sich im 19. Jahrhundert der im riesigen Reich der österreichischen Monarchie internationalisierte Eklektizismus. In Bulgarien baut, wer auch anderswo auf gleiche Weise mit seinem Historismus hätte reüssieren können. Aber auch die in der Zwischenkriegszeit einsetzende Moderne ist geprägt durch Einflüsse von aussen. Die Vielfalt der ästhetischen Provenienzen schafft ein illustres Nebeneinander an Stilen. Neben einem üppigen Art déco wie etwa der St.-Paraskeva-Kirche in Sofia gedeiht bereits eine nüchtern geometrische Moderne, die sich vor allem in den Hotelbauten der Schwarzmeerküste verwirklichen kann. Wie anderswo wird auch hier das Bild des Schiffs als architektonische Form variiert.

In den Zeiten des Kommunismus hat sich die Architektur Bulgariens – im Gegensatz zu anderen Ländern des Ostblocks – einen Rest formalen Anstands bewahrt. Eine Spur weniger triumphal sind Bulgariens architektonische Projekte zu dieser Zeit. Auch wenn das in den fünfziger Jahren entstandene neue Stadtzentrum von Sofia einen mächtigen, stalinistisch-düsteren Klassizismus zelebriert, bleibt in Bulgarien genug Spielraum für eine durchaus innovative Architektur.

Das aus den siebziger Jahren stammende, turmartig aufragende Hotel «Veliko Tarnovo» von Nikola Nikolov ist eines der prominentesten Beispiele eines undogmatischen und experimentierfreudigen Bauens. Und heute? Wie in allen Ausstellungen, die sich im Wiener Ringturm der Architektur des europäischen Ostens gewidmet haben, bleibt die Gegenwart ein ungesichertes Terrain. Die Bauindustrie in den neuen EU-Ländern boomt. Die Einflüsse der internationalen Architektur sind unübersehbar. Es gibt Versuche mit der kubischen Form, wie etwa das Apartmenthaus «Jaclin» von Aedes Studio und überzeugende gläserne Variationen der geschwungenen Linie bei I/O Architects. Im Projektstadium befindet sich ein multifunktionales Gebäude, das dem urbanen Sofia ein Gesicht geben soll und das man schon gesehen zu haben meint. Kaloyan Erevinovs biomorphe Architektur erinnert frappant an die organisch quellenden Welten eines Greg Lynn. Willkommen, Bulgarien, im Westen!

[ Bis 9. November im Ringturm in Wien. Katalog: Architektonische Fragmente – Bulgarien. Hrsg. Adolph Stiller. Verlag Anton Pustet, Salzburg 2007. 156 S., € 28.–. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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