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domus Deutsche Ausgabe 14-007
domus Deutsche Ausgabe 14-007
zur Zeitschrift: domus
Im Dialog mit der Geschichte
Schon immer hat das Neue ein unvergleichbares Charisma. Es steht für die Veränderung und für den Fortschritt, zuweilen auch für den zuversichtlichen Aufbruch in eine neue Ära. Wer ist nicht stolz auf sein neues Sofa, seine neue Küche oder sein neues Haus? Mit dem Neuen verbinden wir besondere Werte, die für Innovation stehen und die Vergangenheit hinter sich lassen. Doch die unermüdliche Suche nach dem Neuen setzt auch voraus, das wir das Alte immer wieder erneut erfinden. Schließlich muss sich das Neue klar von ihm absetzen, auch wenn es Gefahr läuft, morgen schon selbst wieder als alt zu gelten.

In seinem klugen Buch „Über das Neue“ resümiert Boris Groys, dass es nichts Traditionelleres gibt als die Orientierung am Neuen. Was jedoch jeweils als neu gelte, werde im Verhältnis zum Alten und zur Tradition festgelegt. Insofern ist das Neue eine kulturelle und gesellschaftliche Variable, die mit der Zeit geht, sich stets verändert und Vorhandenes umwertet oder re-interpretiert. Neuheiten sind andersartige Mischungen altbekannter Elemente. Es kommt darauf an, dass sich das Arrangement, die Kombination oder das Pastiche als Unterschied zu unserer aktuellen Auffassung dessen offenbart, was wir gerade „alt“ nennen. Erst dann wird etwas als „neu“ angesehen.

Wir haben in dieser Ausgabe Beispiele für die Verbindung von Alt und Neu zusammengestellt und veranschaulichen mit ihnen konkrete Perspektiven für den Umgang mit dem kulturellen Archiv. In der Architektur zeigt sich dieser Dialog mit der Geschichte insbesondere bei Umbauten und Sanierungen, Revitalisierungen und Ergänzungen – bedachte Lösungen auf diesem Feld zählen mit zu den dringendsten Bauaufgaben unserer Tage. Wie entscheidend es ist, Alt und Neu auf sensible Weise zusammenzuführen, zeigen die Schweizer Architekten Bearth & Deplazes aus Chur gemeinsam mit Durisch Nolli aus Lugano. Sie haben den neoklassizistischen Bau der früheren Handelsschule in Bellinzona saniert und durch einen rückwärtigen Neubau ergänzt. Ihr Entwurf für den kürzlich bezogenen neuen Sitz des Bundesstrafgerichts der Schweiz kombiniert Alt und Neu auf Augenhöhe und ist von einem gegenseitigen Respekt getragen, der keine Seite unterordnet. Auf herkömmliche Pathosformeln haben die Architekten bewusst verzichtet und stattdessen ein nüchternes und eindrucksvolles Ensemble geschaffen. Hubertus Adam stellt Ihnen dieses genauer vor – der Fotograf Florian Holzherr hält es exklusiv für die deutsche Domus in seinen Aufnahmen fest. Auch den Architekten Diener & Diener ist es gelungen, das jahrhundertealte Benediktinerkloster Einsiedeln durch ihre geschickten Interventionen so zu erweitern, dass seine Räumlichkeiten an aktuelle Bedürfnisse angepasst werden und die historische Anlage behutsam durch zeitgenössische Anbauten ergänzt wird. Der Schweizer Architekt Charles Pictet wiederum zeigt mit seinen Umbauten auf dem Land bei Genf, dass sich auch in alten Kornspeichern und Scheunen vorzüglich leben und arbeiten lässt, wobei der Charakter der historischen Gemäuer keineswegs störend ist, sondern einen besonderen Charme ausmacht.

In der Möbelwelt bilden Alt und Neu oftmals ein erfolgreiches Paar. So wurden auch in diesem Jahr auf dem Salone Internazionale del Mobile in Mailand zahlreiche Neuheiten vorgestellt, die auf historische Entwürfe zurückgreifen und ikonische Klassiker der Designgeschichte in überarbeiteten Versionen präsentieren. Markus Frenzl geht solchen Zeitzeugen in Neuauflage auf den Grund. In seinem Beitrag erkundet er aktuelle Reeditionen und deckt gesellschaftliche Hintergründe für das Verlangen nach Altbewährtem auf. Die Renaissance ikonischer Möbelentwürfe – sei es von Arne Jacobsen, Gio Ponti oder Verner Panton – bricht mit der Regel, ständig Neues hervorbringen zu müssen. Gleichzeitig jedoch äußert sich in solchen Reeditionen auch eine kulturelle Geste, die für sich beansprucht, etwas Neues zu entdecken.

Mit unserer aktuellen siebten Ausgabe feiern wir ein rundes Jubiläum. Denn im Mai vor einem Jahr erschien die deutsche Domus zum ersten Mal. Als eigenständiges Magazin in Deutschland, Österreich und der Schweiz entsteht unsere Zeitschrift in enger Zusammenarbeit mit der italienischen Domus und setzt gleichzeitig eigene inhaltliche Schwerpunkte. Für das überwältigende Feedback, mit dem Sie uns seit einem Jahr begleiten, möchte ich mich herzlich bedanken! Unterstützt von Ihrem Elan werden wir unsere Erkundungen in der Welt der Gestaltung fortsetzen und zählen dabei auf Sie.

Viel Freude beim Lesen,
Sandra Hofmeister

01 Editorial
10 Meldungen

Ansichten
35 Shigeru Ban: Glückwünsche | Sandra Hofmeister
36 Kenya Hara: Schule der Wahrnehmung
40 Richard Hamilton: Ironische Ikonen | Gerrit Terstiege
42 Brauen & Wälchli, L’Atelier du Paysage: Sportfreunde und Emotionen | Sandra Hofmeister
44 Steven Holl: Urbane Hoffnungen
48 Fritz Haller: Systemische Visionen | Hubertus Adam
52 Andrea Branzi: In der Bibliothek von Andrea Branzi | Gianluigi Ricuperati
56 Adolf Loos: Christian Metzner, Jasper Morrison: Auffällig unauffällig | Markus Zehentbauer
58 Dominique Perrault: Beständige Architektur

Projekte
59 Delfino Sisto Legnani, Giovanna Silva, 59 Fotoessay: „Zu kalt für dich, du Hund“ | Lucia Tozzi
70 Bearth & Deplazes, Durisch + Nolli: Im Licht der Justiz | Hubertus Adam
82 Taller de Arquitectura Mauricio Rocha: Eine Stadt im Aufbau | Jose Castillo
90 Diskurs: Für eine Theorie der Praxis | Werner Oechslin
92 Benediktinerkloster Einsiedeln | Diener & Diener
100 Wohnhaus und Atelier | Charles Pictet
108 Siedlung in Den Helder | Tony Fretton
116 Tony Fretton: Tradition und Verfremdung | Anneke Bokern
118 Die Geopolitik der Subtraktion | Keller Easterling
126 Meine Freunde / Meine Feinde: Markus Frenzl Bo Bardi Hörlin-Holmquist Kukkapuro Neutra Panton Ponti Rams | Marc Frohn
128 Zeitzeugen in Neuauflage
136 Diskurs: Sammeln aus Leidenschaft | Florian Hufnagl Sandra Hofmeister
138 Neuland Paster & Geldmacher: Eine Frage der Schale | Markus Zehentbauer
142 Design für den alltäglichen Gebrauch | Jasper Morrison
148 Grafische Autobiografie | Italo Lupi
152 Meine Freunde / Meine Feinde: Eva Karcher Hicham Benohoud Max Boufathal Éric van Hove | Mark Braun
154 Yazid Oulab: In der Medina der roten Stadt | Saâdane Afif
160 Beyond Entropy: Kunstsignale aus dem Mittelmeerraum | Vera Sacchett

Produktkultur
166 Essay: Aroma und Atmosphäre | Sandra Hofmeister
168 Küchenwelten | Robert Haidinger

Aus dem Archiv
176 Álvaro Siza: Architekturfakultät der Universität Porto | Luigi Spinelli

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