Zeitschrift

tec21 2006|3-4
Künstliche Landschaft
tec21 2006|3-4, Foto: LMBV Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Auf zu neuen Ufern

Was tun mit den Löchern, die die Kohlebagger in die Landschaft fressen? Eine Sanierungsgesellschaft flutet in Mitteldeutschland und der Lausitz 46 grössere Restlöcher. Bis 2020 wird so Europas grösste künstliche Seenplatte entstehen.

20. Januar 2006 - Katinka Corts-Münzner
Die Lausitzer Landschaft mit ihren ausgedehnten Wald- und Agrarflächen ist stark vom Braunkohletagebau gezeichnet. Wenige Menschen leben heute in der früher wirtschaftlich starken Region zwischen Ostsachsen und Südbrandenburg. Die grossen Städte hier heissen Hoyerswerda, Bautzen und Cottbus und liegen 60–100km von der sächsischen Landeshauptstadt Dresden entfernt. In der Lausitz wurde schon vor den Zeiten des Dritten Reiches und der DDR Braunkohle abgebaut, zum Raubbau kam es aber erst ab 1935. In den 1980er-Jahren sollten 80% des Gesamtenergiebedarfs der DDR mit dem einzigen staatseigenen Energieträger gedeckt werden. Die Industrie durchlöcherte mit der Förderung von bis zu 300 Mio. t Rohbraunkohle pro Jahr bis 1989 die Landschaft, die nach der politischen Wende an den zu vielen nicht nutzbaren Brachen krankte.

Sanierung nach der politischen Wende

Im Rahmen der Privatisierung wurden nach der Wende die unwirtschaftlichen Tagebaue stillgesetzt und die wirtschaftlichen privatisiert. Um weiterhin Energie zur Verfügung zu haben, betrieb der Staat einige Tagebaue befristet weiter im Auslaufbergbau. Die entstandenen Brachen sollten entsprechend dem deutschen Bergbaugesetz saniert werden. Der Bund beauftragte die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) 1994 mit der Sanierung und Revitalisierung der Restlöcher. Die Einebnung der riesigen Mondlandschaften war jedoch durch das blosse Verfüllen mit Massen nicht zu bewältigen. Renaturierung hiess also, auch Seen entstehen zu lassen.

Die Flutungsprojekte der LMBV umfassen eine 25000ha grosse Seenplatte, die 46 grössere Restlöcher betrifft und künftig ein Drittel der Seenfläche Deutschlands ausmacht (Pläne 1 und 2). Zum Prestige-Objekt des Sanierungsvorhabens wurde der bereits fertig gestellte Cospudener See. Die kleine Ortschaft Cospuden an der südlichen Stadtgrenze von Leipzig musste 1981 dem Kohletagebau weichen. Mit der Stilllegung des Tagebaus 1990 und nach dem Abschalten der Grundwasserhaltung 1991 begannen die Sanierer die kontrollierte Flutung mit Sümpfungswasser aus dem damals noch fördernden Tagebau Zwenkau. Im Jahr 2000 wurde das Dorf Cospuden Namensgeberin für den im Rahmen der Expo entstandenen Landschaftspark bei Markkleeberg. Der 4.3 km2 grosse See ist heute von einer 3 km2 grossen Parkanlage umgeben – mit Strand, Wegenetz, Gastronomie und Hafen.

Das Vorzeigeprojekt aus Mitteldeutschland half den Sanierern auch bei den ersten Wasserbau-Vorhaben in der Lausitz. Auch hier waren die Flutungsbauwerke und die Flutung selbst ein stetiger Erkenntnisprozess. Zu Planungsbeginn gab es kein vergleichbares Projekt, das sich mit dem Thema Flutung in dieser Grössenordnung beschäftigte. Die Bauten und die Überwachungstechnik, die für die Arbeiten an der Lausitzer Seenplatte bisher erstellt und genutzt wurden, sind allesamt Prototypen. Sie wurden in Zusammenarbeit mit Wasserbauingenieuren und Tiefbauern auf der Basis eines Flutungskonzeptes der LMBV geplant und gebaut.

Sicherung und Stabilisierung

Bevor die Flutung beginnen konnte, mussten die steilen Bruchkanten der Abraumkippen gesichert und befestigt werden. Die Kippenböschungen in der Lausitz sind setzungsfliessgefährdet, da sie meist aus gleichförmigen Sanden bestehen, und aufsteigendes Wasser führt schnell zur Verflüssigung und damit potenziell zu Rutschungen. Diese Bewegungen von grossen Kippenbereichen werden Setzungsfliessen genannt. Dieses kündigt sich nicht an, sondern wird plötzlich durch Böschungsbrüche, Sackungen oder Erschütterungen (Initiale) ausgelöst. Innerhalb weniger Minuten rutschten so auch im Mai 1998 12 ha Wald und Grünland – eine Materialmenge von 4.5 Mio. m3 – während der Flutung in den Tagebausee Skado.

Zur Stabilisierung des Bodens dienen so genannte «versteckte Dämme» im Untergrund, die durch Sprengen und Rütteldruckverdichtung hergestellt werden. An der zukünftigen Uferkante werden dammartige Stützkörper durch Überspülen mit Wasser aus vorhandenem Kippenmaterial erzeugt. Der Einbau von nicht verflüssigungsfähigen Materialien wie Bauschutt, Wasserbausteinen oder Schotter hilft beim Bau von Uferböschungen, die im gekippten Bereich auf 1:10 bis 1:30 hergestellt werden müssen. In kurzen und steilen Strandbereichen sichern Gambionenwände die geschüttete Böschung vor dem Abrutschen. Wo Forst, Wiesen und Grünanlagen geplant sind, muss die verdichtete Oberfläche zusätzlich für die Bepflanzung befestigt werden.
Zeitgleich mit den Uferarbeiten entstehen die Einlaufbauwerke. Dazu gehören Heberleitungen, Schleusen, Überleiter von Stauseen und befestigte Kanäle (Bilder 3 und 4). Insbesondere Letztere werden nach der kompletten Flutung der Restlöcher für die Wasserzirkulation in den Seen verwendet (Bild 5). Sie dienen aber auch dem Tourismus, indem sie Touren mit Paddelbooten oder Ausflugsschiffen zwischen den Seen ermöglichen. Die Flutung beginnt, wenn alle notwendigen Genehmigungen vorliegen, die Sicherungsmassnahmen abgeschlossen und die Einlaufbauwerke errichtet sind.

Sümpfungs-, Grund- und Flutungswasser

Das Wasser kommt in geringem Umfang als Sümpfungswasser aus benachbarten aktiven Tagebauen, hauptsächlich aber aus den Flüssen der Region: Spree, Schwarze Elster und Neisse in der Lausitz, Saale und Mulde in Mitteldeutschland. Unkontrolliert darf das Wasser aber nicht abgeführt werden, da dies zu Austrocknungen und Verödungen in den Flussverläufen führen könnte. Eine Entnahmeregelung bestimmt, wie hoch der ökologische Mindestbedarf der Gewässer ist und wie viel Wasser für die Flutung entnommen werden darf. Die Wasserabnahme ist nicht kontinuierlich, sondern nur in Abstimmung mit den zuständigen Wasser- und Umweltbehörden der Bundesländer und nach Kontrolle der Pegelstände der Flüsse möglich. Bei hohem Wasserstand können auch benachbarte Talsperren ihren Überschuss an die Lausitz abgeben. Allerdings sind die Einlaufbauwerke nur im Dauerbetrieb wirtschaftlich. Sie sind nicht in der Lage, Hochwasser wie im Jahr 2003 komplett abzufangen. Die volle Öffnung der Schleusen hätte damals zur Überlastung und vielleicht zu ihrer Zerstörung führen können. Immerhin führt die Neisse normalerweise etwa 7–10 m³/s Wasser, beim Hochwasser hingegen über 250 m³/s.

Neben dem Flutungswasser dringt auch das aufgehende Grundwasser durch die geschütteten Braunkohle-abraumkippen (Bild 7). Diese enthalten in der Lausitz 0.2–1.0% Schwefelanteile, die vom Wasser gebunden werden. Auch Pyrit- und Markasitanteile im Wasser sind für die Übersäuerung des Seewassers verantwortlich (Bilder 6 und 8). In diesem Zustand dürfen die Seen noch nicht an die öffentlichen Gewässer angeschlossen werden. Mit künstlich eingeschwemmtem Kalkschlamm und Kalkfilterwänden sowie dem einströmenden Flutungswasser aus natürlichen Fliessgewässern werden die sauren Gewässer neutralisiert.

Von dem aufsteigenden Grundwasserspiegel sind auch einzelne Städte der Region betroffen. Einige Stadtteile sind erst mit dem Tagebau, teilweise unterhalb des vorbergbaulichen Grundwasserspiegels, entstanden. In den betroffenen Städten wie Hoyerswerda mussten deshalb unterirdische Ableitungssysteme mit Horizontalfilterbrunnen gebaut werden. Diese Brunnen sammeln das aufgehende Grundwasser und leiten es zurück in die Restlöcher – dieser Kreislauf wird zum Schutz der Stadt immer aufrechterhalten werden müssen.

Leben in der neuen Welt

Wenn man sich heute auf den Radwegen der neuen Seenlandschaft bewegt, glaubt man sich fast in der Mecklenburgischen Seenplatte. Die Flutung der Restlöcher soll auch eine Wiedergutmachung für den jahrzehntelangen Raubbau an der Natur sein. Die gigantischen Seen bleiben in den nächsten Jahren dennoch Fremdkörper in der Natur – die Bergbaunarben in der Landschaft heilen nur langsam. Noch ist sichtbar, dass Wälder, Felder und ganze Dörfer dem Tagebau weichen mussten. Neue Hafensiedlungen werden geplant, viel Wald gepflanzt und Wegenetze angelegt, damit die Seen natürlicher aussehen. In der künstlich geschaffenen Landschaft fehlt noch vieles an Infrastruktur, besonders in einem vermittelnden Massstab zum Menschen. In einigen Jahren aber werden Trampelpfade zum Ufer führen und die Seenlandschaft-Bewohner ihre Grillplätze über die Uferwiesen verteilt haben. Auf den Campingplätzen, die von Regionalplanern heute an die Uferbereiche gezeichnet werden, tummeln sich dann im Sommer etliche Touristen – und in einigen Jahrzehnten fügen sich die Seen vielleicht ganz selbstverständlich in die Lausitzer und die mitteldeutsche Landschaft ein.

Mit steigendem Wasserstand in den Tagebauseen verschwinden die Spuren der Industrie. Auf den Landzungen standen früher die Abbaugeräte, heute vernetzen sie Wasser und Umgebung
(Bild: LMBV)
Text im Kasten 1: LMBV
Die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) saniert nur die nicht privatisierten Bereiche der zwischen 1990 und 1999 stillgelegten Tagebaue zu einer künstlichen Seenlandschaft. Mit der Renaturierung der fördernden Tagebaue von Mibrag und Vattenfall hat die LMBV wenig zu tun. Die Ziele sind die Wiederherstellung der Landschaft und die privatwirtschaftliche Nachnutzung. Zur Entwicklung der touristischen Infrastruktur wird durch die Braunkohleländer die Ansiedlung von Investoren gefördert. Campingplätze, Reiterhöfe, Hafenanlagen und schiffbare Verbindungen werden nach einem ganzheitlichen, länderübergreifenden Entwicklungskonzept gefördert.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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