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hochparterre 08|2007
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 08|2007
zur Zeitschrift: hochparterre

Wie sie in Uri sprinten lernten

Die Planung in Andermatt für das Tourismusresort rollt nicht, sie rast. In rekordver--däch-tigem Tempo und fast widerstandslos. Dafür sorgte der Kanton Uri, der eine extra Projektorga-ni-sa-tion aufbaute. Zumindest ein Teil wird wohl gebaut. Aber die grosse Frage bleibt: Was wird aus dem Dorf?

15. August 2007 - Rahel Marti
Andermatt, im Winter 2013. Gäste aus aller Welt dinieren im ‹Gotthard›, dem feinsten Restaurant des Luxushotels Bellevue. Ums Hotel ragen verschneite Tannen in den Nachthimmel, dazwischen blinzeln die Lichter der Schaufenster und Bars, der Appartements und Villen hervor. Alles glitzert. Ein schwerreicher Ägypter hat das totgesagte Urserntal wach geküsst.

Andermatt, im Winter 2013. Zwischen Bauruinen sammelt sich nasskalter Regen zu Pfützen. Läden und Beizen sind geschlossen. Einst kam ein schwerreicher Ägypter und versprach die goldene Zukunft. Er vergoldete seine eigene und zog weiter. Das Dorf versank in Tiefschlaf.

Zwei Bilder, eine Frage: Was wird aus Andermatt? Wir wissen erst, was bisher geschah. Seit 2005, als das Projekt für ein grosses Tourismusresort bekannt wurde, haben sie ohne Zögern vorwärts gemacht, die Gemeinden Andermatt und Hospental, der Kanton Uri und Samih Sawiris, Leiter und Besitzer der Orascom Hotels&Development (OHD). Im Dezember 2009 wolle Sawiris, hört man, das Erstklasshotel Bellevue eröffnen, das Jean Nouvel entwirft. Im Juli hat das Auswahlgremium die Architekten für die weiteren Bauten und Quartiergestaltungspläne bestimmt (hpw 3/07, ‹Was wird aus Andermatt?›). Sechs Teilgebiete umfasst das Resort: das Bellevueareal, das Bahnhofareal, das Sport- und Freizeitzentrum, den Kern mit Hotels, Appartements, Läden und Restaurants, die Villen- und Chaletzone und den Golfplatz. Für den Bau und die Vermarktung hat Samih Sawiris die Andermatt Alpine Destination Company AADC gegründet. Er ist Präsident des Verwaltungsrats, als Mitglieder amten seine engsten Berater: Martin Schön und Franz Egle. Der Altdorfer Schön war im arabischen Raum für den Lifthersteller Schindler und den Zementkonzern Holcim tätig und ist heute Rechts- und Finanzkonsulent; Franz Egle war Informationschef bei Bundesrat Flavio Cotti und ist heute Partner bei der Kommunikationsfirma Dynamics Group. Die AADC rekrutiert Personal: Roland Karesch als Finanzchef, sechs Bauprojektleiter und zwei Baukostenplaner. Chef Design&Construction wird der Ägypter Ihab Morgan, ein Architekt mit Doktortitel und operativer Leiter ist der Andermatter Benno Nager.

Harsche Kritik

Die Planung rollt nicht, sie rast. Dafür sorgte bisher der Kanton Uri. Im März 2006 sprach der Landrat den Kredit für die Anpassung des Richtplans, im Mai 2007 war diese ebenso genehmigt wie die Zonenplanrevisionen von An-der-matt und Hospental. «Rekord», sagt Benno Bühlmann, Leiter des Urner Amts für Umweltschutz. Wie war das mög-lich? Bühlmann hat fünf Antworten parat. Erstens der Polit-Ausschuss mit den Regierungsräten der vier beteiligten Departemente. Zweitens eine Projektorganisation ausserhalb der Verwaltung. Drittens deren erhöhte Kompetenzen, etwa Weisungsbefugnis an die Verwaltung. Vier-tens Outsourcing; das Zürcher Unternehmen Ernst Basler Partner etwa lieferte Grundlagen für den Richtplan sowie die Quartiergestaltung. Fünftens Benno Bühlmann selbst: Er leitet das Projekt und wendet dafür immerhin 60 Prozent seiner Arbeitszeit auf.

Ein Masterplan als Grundlage für das Richtplanverfahren fehlte anfangs. «Statt abzuwarten, legten wir unsere Anforderungen daran fest. Bei den Quartiergestaltungsplänen genauso», erklärt Benno Bühlmann. Der Kanton übernahm etliche Aufgaben der überforderten Gemeinde. Für die Güte der Planung ein Vorteil. Das Resort zeigt: Die autonome Gemeinde ist ein Mythos; für Projekte heutiger Komplexität braucht sie die Unterstützung des Kantons, da und dort des Bundes. Benno Bühlmann verteidigt den Anschub – oder die indirekte Wirtschaftsförderung – des Kantons: «Ohne Richtplanverfahren wäre es nicht gegangen. Nur so konnten wir die raumrelevanten Fragen des Projekts abklären.» Man wolle sich nicht leisten, dass kritische Punkte erst beim Quartiergestaltungsplan oder gar der Baubewilligung zur Sprache kämen.

Pro Natura im Hintergrund

Nur drei Einsprachen gingen gegen die revidierten Zonen-pläne ein. Mit zwei Bauern konnte man sich einigen; die dritte war ungültig, davon später mehr. Die Urner Umwelt-verbände gingen nicht gegen das Resort vor. «Dafür haben uns Projektgegner vehement kritisiert», erzählt Pia Tresch, Geschäftsstellenleiterin von Pro Natura Uri. Aber man habe die Arbeit gemacht, sich hineingekniet, noch nie so viel Zeit investiert. Pro Natura versuchte, der Armee das Land selbst abzukaufen, scheiterte aber. Den Widerstand aussichtslos machte der politische Entscheid des Bundesrats, Samih Sawiris von der Lex Koller auszunehmen. «Da beschlossen wir, das Projekt kritisch zu begleiten», sagt Pia Tresch. Der Kanton und Sawiris legten ihnen die Unterlagen vor der Veröffentlichung zur Stellungnahme vor. So verhinderten die Verbände einen privaten Helikopterlandeplatz und erreichten, dass Sawiris auf eine isolierte Villenzone im Golfplatz verzichtet. Mit dem Kanton legten sie hohe Standards bei Verkehr, Energie und Landschaft fest und forderten ein umfassendes Urteil über die touristische Infrastruktur. Das Resort sei kein ‹Galmiz 2›, sagt Pia Tresch. «Für eine Einsprache gab es bisher keine Gründe. Die Planung war korrekt – mit einer Ausnahme: Bei der Ortsplanung überging man die Bevölkerung. Aber die Andermatter stehen zu 99 Prozent hinter dem Projekt.»

Sawiris kennt kein Halten

Jetzt ist der Investor an der Reihe; Samih Sawiris muss beweisen, dass er die nachhaltige Entwicklung, den starken öffentlichen Verkehr, das energieeffiziente Bauen und anderes mehr nicht nur um der guten Laune willen angekündigt hat. Die Anforderungen an die sechs Quartiergestaltungspläne sind ausführlich und hoch. Der Kanton macht für Sawiris keine Ausnahmen. Zudem haben die Um-weltverbände eine Umweltverträglichkeitsprüfung in allen sechs Teilgebieten durchgesetzt. «Da sind wir einspracheberechtigt», macht Pia Tresch klar. Benno Bühlmann doppelt nach: «Auch die Architekten sind gefordert. Wir wollen, dass dieses Resort ins Tal passt.»

Wann setzt Sawiris’ OHD den ‹Point of No Return›? Laut Franz Egle schliesst sie bald die Landkaufverträge mit den Bauern und mit der Armee ab. Das Militär verkauft wohl mehr als geplant, auch das Gebiet beim Bahnhof, das mitten im Resort läge. «Point of No Return? Das fragen wir uns nicht», sagt Franz Egle. «Die OHD will dieses Resort bauen. Auch ohne Fremdbeteiligung.» Geldsorgen plagen die OHD nicht im Geringsten. Laut OHD werden Käufer und Gäste aus Europa und den USA kommen, laut Touristikern auch aus dem Mittleren Osten und Asien. Aber die Geschichte des Tourismus zeigt: Jedes Grandhotel macht Krisen durch. Andermatt sollte von den Davosern lernen: Diese verlangten von den Investoren des Turms auf der Schatzalp einen Rückbaufonds mit fünf Millionen Franken, um den Turm falls nötig wieder abzubrechen.

Was ist an Andermatt einzigartig?

Touristiker zweifeln kaum an Sawiris Erfolg. Weder ein Forscher wie Hansruedi Müller, Direktor des Forschungsinstituts für Freizeit und Tourismus der Universität Bern, noch ein Praktiker wie Hanspeter Danuser, Kurdirektor von St.Moritz. Dieser ist «sehr optimistisch»: «Das Resort ist eine super Idee, ein Signal: Ein global tätiger Investor kommt in die Schweizer Alpen. Solche Impulse brauchen wir.» Konkurrenz fürchtet Danuser nicht, St.Moritz sei eine Liga für sich. Vielmehr ergänze Andermatt das Angebot. Der Glacier-Express bringe ihnen sommers einen Drittel der Gäste. «Aber die Strecke zwischen St.Moritz und Zermatt ist eine ‹Hängebrücke› – Andermatt wird der Mittelpfeiler.» Den Werbespruch schickt Danuser Sawiris gratis via Hochparterre: «Andermatt – In between St.Moritz and the Matterhorn.»

St.Moritz, Zermatt – wie soll Andermatt da mithalten? Wer hier «im Dienst» war, nennt es ein windiges Loch. Was ist hier einzigartig, eine Unique Selling Proposition? «Das Resort selbst», sagt Tourismusforscher Hansruedi Müller. Es sei zwar nicht das erste der Schweiz; er zählt Aminona, Haute-Nendaz oder Veysonnaz im Wallis auf. «Neu sind in Andermatt aber der kooperative Planungsprozess, die Grösse und der Gesamtcharakter.» Schwappt eine Resortwelle über das Land, wenn Sawiris Erfolg hat? «Kaum. Die Voraussetzungen sind hier einmalig: Viel, verfügbares und günstiges Land, ein kleiner Kreis von Verhandlungspartnern, Samih Sawiris als intelligenter, gewinnender Typ, der den Kontakt mit der Bevölkerung sucht.» Heikel sei die politische Dimension. «Die Ausnahmebewilligung der Lex Koller könnte zum Präjudiz werden», sagt der Professor. «Macht das Beispiel Schule, haben wir ein Problem im Alpenraum.» Erst recht, wenn die Lex Koller, wie der Bundesrat vorschlägt, 2010 fällt – ohne dass Kantone und Gemeinden raumplanerisch gewappnet sind.

Bisher wenig Widerstand erregt der Zweitwohnungsbau im Resort. 1500 kalte Betten sind geplant, grob gerechnet 400 Wohnungen – gigantisch. Samih Sawiris will Käufer verpflichten, ihre Wohnungen und Häuser zu vermieten. Aber je teurer die Häuser, desto fraglicher scheint dies. Un-gelöst ist auch die Frage, wo das Personal wohnen wird. Der Strahler und ehemalige Bankverwalter Peter Indergand reichte die erwähnte dritte Einsprache ein, wurde aber als nicht berechtigt abgewiesen. Er wollte Sawiris vorschreiben, für Personalunterkünfte und einen angemessenen Erstwohnungsanteil zu sorgen. Zwischen Gurtnellen und Realp seien vielleicht 70 Wohnungen frei, sagt Indergand. Wenn die etwa 1400 Arbeitskräfte von weither pendeln müssten, sei das weder raumplanerisch noch wirtschaftlich richtig. Kanton und Gemeinde kündigten im November 2006 eine Arbeitsgruppe zu den Unterkünften an. Sie wurde bisher nicht einberufen.

Wie das Geld im Dorf bleibt

Am schlimmsten fürs Dorf wäre, sagt Erich Renner, wenn gar nichts passierte. Denn die Armee ziehe sich zurück, die Bahn mit der Neat-Streckenführung auch bald. Renner, in Andermatt aufgewachsen, ist Professor und Co-Leiter des Instituts für Nachhaltige Entwicklung der Zürcher Hochschule Winterthur. Er analysiert die ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen. Nachhaltigkeit, was heisst das hier? Das kleinste Problem sei die ökologische Veränderung. Die Armee habe den Boden längst belastet, planiert, begradigt. Der Golfplatz könnte Flora und Fauna gut tun. Und der Verkehr? «Während einer Rekrutenschule kamen Sonntag abends hunderte Autos an – viel mehr werden es beim Resort aufs Mal auch nicht sein.» Der Verkehr lasse sich bewältigen, wenn er organisiert sei, im alten Dorf wie innerhalb des Resorts. Kummer macht Erich Renner die Wirtschaftlichkeit. Der Kanton spricht von 120 Millionen Franken Rendite pro Jahr. Aber davon bleibt wenig im Dorf, da vermutlich Ketten die Hotels betreiben. «Bevölkerung und Behörden müssen sich in die langfristige Planung einschalten», fordert Renner. Ein neues Zeitalter für Andermatt beginnt, denn lange kamen die Gäste von selbst. Mit Handel und Südtourismus, seit 1870 mit der Armee. Will Andermatt die reichen, verwöhnten Gäste, muss es Angebot und Service gewaltig ausbauen. Erich Renner arbeitet an seinem Institut eine Projektskizze aus, wie das touristische Angebot verbessert werden könnte. Je breiter die Freizeitmöglichkeiten ausserhalb des Resorts, desto mehr Gäste nehmen sie in Anspruch. Und desto mehr Geld bleibt im Dorf oder zumindest im Kanton. «Dieses Angebot muss zur Eröffnung des Resorts stehen», sagt Renner. «Sonst kommen die Gäste einmal und nie wieder.» •-

An der Planung Beteiligte
Die Jury:
--› Samih Sawiris, Investor, Leiter Orascom Hotels&Development OHD (Vorsitz)
--› Hani Ayad, Architekt OHD
--› Kurt Aellen, Architekt (fachliche Leitung)
--› Tobias Ammann, Architekt
--› Heidi Z’graggen, Regierungsrätin und Justiz-direktion Kanton Uri
--› Roger Nager, Gemeindevizepräsident Andermatt
--› Franz Steinegger, alt Nationalrat und Präsident Andermatt Gotthard Sportbahnen
--› Bernhard Russi, Präsident Golfclub Realp

Ausgewählte Teams:
--› Sportzentrum: Theo Hotz, Zürich
--› Feriendorf: Teams Šik, Fickert, Knap-kiewickz, Zürich; Miller, Marantha, Basel; Devanthéry-Lamunière, Genf, Gino Zucchi, Mailand
--› Villen: Scheitlin-Syfrig&Partner, Luzern; group8, Genf; Müller Sigrist-Dipol, Zürich; Matti, Ragaz, Hitz, Liebefeld; Graber, Pulver, Masswerk, Zürich/Luzern; Sylvia&Reto Gmür, Basel; Hauenstein, La Roche, Schedler, Zürich
--› Hotels: Gay, Holzer, Kobler, Monthey; Atelier Christian Hauvette, Paris; Burkhalter Sumi, Zürich; Christian Kerez, Zürich; Steven Holl/Rüssli, Luzern; Studio Matteo Thun, Milano (diese sechs Bewerber können ihre Projekte präsentieren)
--› Projektleitung Quartiergestaltungspläne: Germann&Achermann Architekten, Altdorf

Tourismusresort Andermatt in Zahlen
--› Gesamtfläche: 145 ha
--› Wohnfläche aller geplanter Neubauten: 130 000 m²
--› Neue Betten: 3000; 1500 in Hotels, 1500 in Wohnungen (1300 bestehend)
--› Hotels: 5–7 Hotels in 4- und 5-Sterne-Kategorie, 1 Erstklasshotel ‹Bellevue› mit 160 Zimmern
--› Ferienhäuser: 50
--› Ferienwohnungen: 400
--› Anteil Zweitwohnungen: bisher 28 % (Jahr 2000); neu: 56 %
--› Arbeitsplätze: ca. 2000 direkte und indirekte neue Stellen
--› Zuwachs der Bruttowertschöpfung: CHF 120 Mio. / Jahr

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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