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TEC21 2007|35
Amputationen
TEC21 2007|35
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Rückbau als Vervollständigung

Das Kongresshaus in Zürich soll einem Neubau weichen. Dagegen regt sich in Fachkreisen und in der Bevölkerung massiver Widerstand. Es erscheint unverständlich, einen hochkarätigen Zeugen der Architekturgeschichte zu opfern, der weitgehend intakt erhalten ist. Ein Problem sind allerdings die nachträglichen Zu- und Umbauten, die das ursprüngliche architektonische Konzept stören. Diese könnten jedoch zurückgebaut, die Qualitäten des Bauwerks wieder freigelegt werden.

27. August 2007 - Michael Hanak
Es braucht etwas Vorstellungskraft, sich den dunkelbraunen Saalaufbau wegzudenken und im zugebauten Hof den vermittelnden Leerraum zu sehen. Die Unscheinbarkeit des Äussern und die Betriebsamkeit im Innern täuschen über die Qualitäten des Gebäudes hinweg. Bei genauerer Betrachtung der Originalsubstanz steht fest: Das Kongresshaus in Zürich ist ein schweizweit erstrangiges Bauwerk. Die Qualität der Architektur überzeugt noch heute, trotz baulichen Umwandlungen und fast 70 Jahren intensiver Nutzung.

Das Zürcher Kongresshaus entstand im Hinblick auf die Landesausstellung von 1939 und verkörpert – wie kein anderer Bau in der Schweiz – den Wandel der Moderne, den der Zweite Weltkrieg und das verstärkte Nationalbewusstsein im architektonischen Schaffen mit sich brachten. An den Ausstellungsbauten der «Landi» kündigte sich hierzulande ein Umdenken an: weg von den radikalen, kategorischen Grundsätzen des Neuen Bauens, hin zu einer moderateren, aufgelockerten baulichen Umwelt. Als Gegenbewegung zur damaligen Globalisierung in der Architektur, die nach der Ausstellung in New York 1932 «International Style» genannt wurde, zeichnete sich die Tendenz zur regionalen Rückbesinnung ab.
Die Bauten des Architekturbüros von Max Ernst Haefeli, Werner Moser und Rudolf Steiger machen diese Entwicklung vom Neuen Bauen zur Nachkriegsmoderne gut sichtbar, ja sie nahmen sie vorweg. Bereits die ab 1930 realisierte Werkbundsiedlung Neubühl in Zürich, der wichtigste Beitrag des Neuen Bauens in der Schweiz, war mit seinen Vordächern nicht so radikal wie seine streng kubischen Vorbilder. Am während und nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeführten Kantonsspital Zürich wurden mit der städtebaulichen Figur und den Materialkombinationen (Stein, Holz, Putz) viele Themen deutlich, die in den 1950er-Jahren und darüber hinaus den Diskurs prägten.

Weiterbauen

Das 1937–1939 gebaute Kongresshaus markiert den Wendepunkt zwischen früher und später Moderne. Grossflächige Fensteröffnungen, gekonnte Lichtführung, fliessende Raumverbindungen stehen im Zeichen des Neuen Bauens. Ornamentale Detailgestaltungen und traditionelle Handwerkstechniken formulieren eine spezifisch schweizerische Architektursprache. Die wohl höchste Qualität, welche die Architekten Haefeli, Moser und Steiger am Kongresshaus-Komplex erzielten, liegt in der Kombination der bestehenden Tonhalle mit dem dazugebauten Kongresshaus. Alt und Neu sind zu einer Einheit verbunden. Im Wettbewerb von 1936 waren weder Abbruch noch Erhalt der Tonhalle vorgeschrieben. Das Siegerprojekt liess sie stehen, riss den vorgebauten rotundenartigen Pavillon mit den Türmen ab und setzte an seine Stelle die genial verschränkte Erschliessung zwischen den alten und den neuen Sälen. Während der Ausführung «neutralisierte» man die histo­ristische Baugestaltung von 1892; Gipsverzierungen wurden entfernt und ruhigere Farben gewählt. Die alte Tonhalle ist in das neue Ganze eingepasst und mit der neuen Kongresshausarchitektur gleichsam «verschliffen» worden. Gleichwohl sind beide Seiten klar voneinander getrennt, ja in den Materialien auf eine Kontrastwirkung angelegt.

Umbauten und Aufbauten

Nach seiner Inbetriebnahme wurde das Kongresshaus allmählich immer reger benutzt, und bald standen betriebliche Anpassungen an. Haefeli Moser Steiger bauten in den 1940er- und 1950er-Jahren das Untergeschoss aus, die Küche und die Bühne um und stockten den Officetrakt längs der Beethovenstrasse um ein Geschoss auf. Die darauf folgenden Umbau- und Sanierungsarbeiten wurden an Rudolf Steigers Sohn Peter übertragen. Dieser hatte bereits 1947/48 im Büro von Haefeli Moser Steiger den schwierigen Einbau des Weinkellers unter der Tonhalle ausgeführt; dabei hatte sich übrigens gezeigt, dass sich die Fundamente des Auftriebs wegen von den Holzpfählen abgehoben hatten! An Stelle des Weinkellers wurden Ende der 1970er-Jahre die Musikergarderoben eingebaut. Ein aussen angefügter gläserner Treppenturm – der inzwischen wieder entfernt wurde – verband diese mit den darüber liegenden Aufführungssälen.
Der Bereich zwischen Kongresshaus und Tonhalle wurde intensiv benutzt und schien bald zu klein. Vor allem der Kongressbetrieb benötigte mehr Raum. Mitte der 1970er-Jahre verfasste das Büro Steiger Partner im Auftrag der Stadtbaumeisters eine Studie zu möglichen Erweiterungen. Diese ergab, dass ein losgelöster Annexbau auf einem Nachbargrundstück vom Saal zu weit entfernt wäre und die räumlichen Konflikte der beiden Parteien nicht lösen könnte. Daher kam man mit der Direktion überein, mit einem Umbau die betrieblichen Engpässe und Überschneidungen zu beheben. Zu jener Zeit löste der Umbaukredit des Opernhauses von 60 Mio. Franken die Jugendkrawalle von 1980 aus. Daher schien für die Sanierung des Kongresshauses den Politikern nur ein Kredit von unter 40 Mio. Franken vertretbar. In der Volksabstimmung 1981 wurde das Projekt angenommen. Der Tonhallesaal wurde renoviert, ebenso die Fassaden. Doch dann wollte der neue Kongresshausdirektor einen Nightclub und ein Casino einbauen lassen, was im Kostenvoranschlag nicht vorgesehen war. Dazu mochte Peter Steiger nicht Hand bieten – nicht zuletzt, weil der Raum dazu fehlte. Der Auftrag ging an die Generalunternehmung Göhner AG und das Atelier WW / Wäschle Wüst. Es kam zu Kostenüberschreitungen von rund 25 Mio. Franken (nach Abzug der Teuerung), wovon 11 Mio. auf nachträgliche Projektänderungen zurückzuführen waren. Banken und Grossunternehmen gründeten die Kongresshaus Betriebs AG und finanzierten die zusätzlichen Kosten. Der verantwortliche Stadtrat Hugo Fahrner musste sich einer parlamentarischen Untersuchung stellen und wurde nicht wiedergewählt.

Die 1981 bis 1985 erfolgten Umbau- und Erweiterungsarbeiten griffen an wesentlichen Stellen in die bestehende Baustruktur ein – eine Operation am lebenden Körper. Am Ende des Kongressvestibüls, das beide Zugangsseiten transparent miteinander verband, wurde das Spielcasino implantiert. In den angrenzenden Gartenhof wurde ein Tagungszentrum eingefüllt. Der geschwungene Treppenarm in den Garten, ein Werk von Ingenieur Robert Maillart, wurde kurzerhand abgeschnitten. Auf den Gartensaal, wo die Terrasse war, setzte man den so genannten Panoramasaal, der wie eine Prothese als Fremdkörper erkennbar ist. Mit diesen Eingriffen wurden Ausblick, Aussenbezüge, Lichteinfall und innenräumliche Transparenz teilweise verbaut.

Rückbau

An der Stelle des Kongresshauses und auf dem angrenzenden Grundstück plant die Stadt Zürich zusammen mit privaten Eigentümern ein neues Kongresszentrum, das ein architektonisches Wahrzeichen werden soll. Das aus dem Wettbewerb hervorgegangene Projekt von Rafael Moneo liegt überarbeitet vor. Um es realisieren zu können, hat die Baudirektion das Kongresshaus aus dem Inventar der schutzwürdigen Bauten entlassen. Begründet wird der Verzicht auf die definitive Unterschutzstellung mit einer Interessenabwägung: Die heute betrieblich unbefriedigende Situation soll mit einem zukunftsweisenden Projekt gelöst werden. Das 2003 erstellte Gutachten der kantonalen Denkmalpflegekommission bezeichnet Tonhalle und Kongresshaus hingegen als Schutzobjekte von kantonaler Bedeutung und als «Baudenkmäler von hohem Rang»: «Das Kongresshaus weist in seiner volumetrischen und räumlichen Gliederung, in der Gestaltung der Fassaden und in der Ausstattung des Innern nach wie vor jene charakteristischen Qualitäten auf, die seinen Denkmalwert begründen.» Die jüngst erschiene Baumonografie dokumentiert den ursprünglichen Zustand und die historischen Hintergründe (siehe Kasten). Ausserdem ist die originale Bausubstanz etwa zu 90 Prozent erhalten. Damit liegen triftige Gründe vor, das Kongresshaus zu erhalten und auf seine ursprünglichen Qualitäten zurückzubauen. Die misslungenen Eingriffe der 1980er-Jahre lassen sich entfernen. Es wäre eine Amputation, die keine Leerstelle, keine offene Wunde lassen, sondern – im Gegenteil – den ursprünglichen Baukörper wieder vervollständigen würde. Es würde dem Kongresshaus seine konvergente äussere Erscheinung zurückgegeben. Die innenräumlichen Öffnungen und Durchdringungen würden wieder erlebbar. Vom Kongressfoyer würde man den See sehen.

Teilabbruch, Zubau, Umstrukturierung: Das Kongresshaus durchlief einen skandalösen Prozess der Abwertung und Verunstaltung. Die adäquate denkmalpflegerische Massnahme ist in diesem Fall der Rückbau. Vielleicht liesse sich in subtiler Weise weiterbauen. Geschichte braucht Anschauungsbeispiele, erst das exemplarische Bauwerk macht die architekturhistorische Entwicklung fassbar. Und wie kann in der Gegenwart Grossartiges entstehen, wenn wir solches aus der Vergangenheit nicht ehren? – Das Schlüsselobjekt der Schweizer Architektur muss erhalten bleiben.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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