Zeitschrift

TEC21 2007|40
Tageslicht
TEC21 2007|40
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

FIAT LUX!

Das Bedürfnis, mit möglichst viel Tageslicht zu leben und zu arbeiten, ist ein Phänomen der Moderne. Zuvor mass man ihm einen völlig anderen Stellenwert bei.

1. Oktober 2007 - Susanne Schrödter
Bis zu Beginn des 18. Jh. unterstand Tageslicht einer religiösen Interpretation. Erst durch die revolutionären Lichtforschungen der Aufklärung («Epoque de la lumière») v.a. von Isaac Newton wurde es entmystifiziert.[2] Auf den grossen Pariser Weltausstellungen von 1889 und 1900 machte die Elektrizität Furore und wurde als bedeutendster Meilenstein der Technologisierung unserer Welt verstanden.

Lichtmystik im Mittelalter

Die Gotik ist die Zeit des Wiederauflebens der spätantiken Lichtmystik. Die gotische Kathedrale offenbart mittels ihrer diaphanen, d.h. entmaterialisierenden und transparenten architektonischen Struktur eine Art übersinnliche Wahrheit. «Der Begründer derjenigen christlichen Philosophie, in welcher das Licht als Grundprinzip sowohl der Metaphysik wie der Erkenntnistheorie begriffen wird, ist der Mystiker Dionysius Pseudo-Areopagita [...] Dieser Denker verbindet die neuplatonische Philosophie mit der grossartigen Theologie des Lichtes des Johannesevangeliums, wo der göttliche Logos als das wahre Licht begriffen wird, das in der Dunkelheit scheint, durch welches alle Dinge erschaffen worden sind und das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt.»3 Die Gotik, die in St-Denis unter Abt Suger bzw. mit dem 1144 geweihten Chor ihren Anfang genommen hat, bestimmt in den kommenden rund 400 Jahren nachhaltig die europäische Architektur. Noch im Barock hatte das Licht eine übersinnliche Bedeutung – es wurde mit der Sichtbarmachung des Göttlichen in Verbindung gebracht. Besonders beeindruckend sieht man die Verwandlung von Tageslicht bei der 1727–33 errichteten Wallfahrtskirche von Steinhausen (Bild 2) oder bei der 1745–65 erstellten Wieskirche bei Steingaden. Die beiden Zentralbauten weisen eingestellte, hohe Säulenstellungen auf. Das Licht fliesst durch die seitlichen Kirchenfenster in den zentralen, weiss gehaltenen Raum hinein, wo es zu einer prächtig dekorierten und aufwändig freskierten Decke mit erlösungsspezifischen testamentarischen Themen aufsteigt. Das natürlich einfallende Licht erhält durch die raffinierte Inszenierung von Architektur und Malerei eine metaphorische Umdeutung und wird zum Zeichen der göttlichen Schöpfung.

Die Moderne

Zu Beginn des 20. Jh. erfolgte der für die Moderne entscheidende Wertewandel: Auf dem Monte Verità oberhalb Asconas, der sich zu einem zentralen Versuchsfeld für alternative Lebens- und Kunstformen entwickelt hatte, entstanden die ersten Licht- und Lufthütten, die den dort praktizierten Bedürfnissen nach Licht, Bewegung und frischer Luft entsprachen. Unter vehementer Ablehnung der Mechanisierung und Technologisierung, die die fortschreitende Industrialisierung dem Menschen abforderte, wurde das Tageslicht als «natürlich» sowie gesund und das elektrische Licht als «künstlich» und ungesund bewertet. Die vielen internationalen Künstler haben diese Ideen in zahlreiche Avantgardebewegungen hineingetragen. Eine der Schlüsselfiguren dürfte dabei Paul Klee gewesen sein, der die Reformideen ans Bauhaus brachte und sie in seine Lehre einfliessen liess. Der Architekt Emil Fahrenkamp baute 1929 im «Bauhausstil» die «Albergo Monte Verità» mit Flachdach und offener Fensterfront ganz im Sinne von Sigfried Giedions «Befreitem Wohnen», der wiederum in seiner Funktion als Sekretär des CIAM (Congrès International d’Architecture Moderne) mit seinen Erfolgsschriften dafür sorgte, dass die Ideen des «Neuen Bauens» globale Verbreitung fanden.

Aktuelle Beispiele und Ausblick

Die postindustrielle Architektur hat die Bedeutung des Lichtes in Bezug auf unser Wohl­befinden weiterentwickelt und um den symbolisch-emotionalen Aspekt erweitert. Herausragendes Beispiel dafür ist die 1996 erstellte Therme in Vals von Peter Zumthor (Bild1). Hier durchmischen sich die «natürlichen» und die «künstlichen» Lichteffekte zu einem fast spirituellen Gesamterlebnis. Es ist die sinnliche Eindeutigkeit des Ortes in einer erhabenen Bergwelt, die mittels einer geschickten Lichtinszenierung herausgearbeitet worden ist. Kein serieller «international style» mehr, sondern individuelle Lebendigkeit von Architektur in einem vielschichtigen Zusammenspiel von Licht, Farbe, Material und Natur. Der Mensch wird hier in seinem unbewussten mystischen Verlangen wieder angsprochen, und dies ohne jegliche Anspielungen auf religiöse Zusammenhänge.

Die jüngste Architekturentwicklung zeigt, dass Licht für unsere nach Erlebnissen hungernde Freizeit- und Konsumgesellschaft immer wichtiger wird: Beim 2006 erstellten Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart, wo sich Kommerz, Kunst, Lichtmystik und Architektur genussvoll die Hände reichen, haben die Amsterdamer Architekten UN studio van Berkel & Bos die Autos mittels einer raffinierten Lichtdramaturgie in Szene gesetzt, und ein zwischen Kunst- und Naturlicht changierendes Lichtspiel führt dem Betrachter die edlen Teile imposant vor Augen. Beim 2003 errichteten Riesenkristall für das Modelabel Prada haben Herzog & de Meuron die Verschränkung von Architektur und Licht in Richtung «Corporate Design» weiterentwickelt hat. Wie eine gotische Kathedrale erhebt sich das Prada-Flaggschiff in einem dichten städtischen Kontext. Es funkelt und leuchtet Tag und Nacht in einer reizvollen Vielfältigkeit von Form, Material, Licht und Transparenz. Durch die Transluzidität des Gebäudes wird gleichsam die Ware nach aussen in den urbanen Zusammenhang bzw. zum Kunden getragen. Auch hier verschmilzt die Produktewelt mit der Kunstwelt. Das Licht vermag die schöne Ware auf eine höhere Ebene zu überführen, verwandelt die dargereichten Luxusprodukte zu regelrechten «objets de désir» und lässt einen verzauberten Betrachter zurück.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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