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TEC21 2007|40
Tageslicht
TEC21 2007|40
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Natürlich belichten

Ziel jeder Tageslichtplanung sollte es sein, das natürliche Licht zu jeder Zeit optimal zu nutzen. Neue Materialien können dazu beitragen, das Licht auch in fassadenferne Räume und Untergeschosse zu lenken. Wechselhafte Lichtverhältnisse machen die Planung jedoch komplex.

1. Oktober 2007 - Christian Vogt
Tageslicht gilt als eine der Grundvoraussetzungen für langfristiges Wohlbefinden in Gebäuden. Es ermöglicht den Bezug zum Aussenraum und ist – zum heutigen Zeitpunkt noch anders als das Kunstlicht – wesentlich dynamischer und stimulierender. Eine sorgfältige Tageslichtplanung versteht es, gute Sehbedingungen, attraktive Innenräume und Energiehaushalt «unter einen Hut» zu bringen. Viele Fachleute sind sich heute einig, dass durch eine optimierte Tageslichtnutzung weltweit mehr Energie eingespart werden könnte, als zurzeit durch Solarzellen oder Sonnenkollektoren gewonnen werden kann. Aus dem Bedürfnis heraus, Bauten in alle Richtungen zu optimieren, ist jedoch der Entscheidungsgrat zwischen sommerlicher Wärmelast, winterlichem Wärmegewinn, Stromreduzierung beim Kunstlicht und Blendungsbegrenzung schmaler geworden. Kommt das Interesse hinzu, Tageslicht in fassadenferne Räume und Untergeschosse zu bringen, wird die Planung besonders komplex. Vor allem wenn dabei berücksichtigt wird, dass in Mitteleuropa bedeckte Himmelszustände dominieren – Sonnenlicht umlenkende Systeme können in unseren Breitengraden also nur eine ergänzende Rolle spielen. Die Tageslichtplanung muss dementsprechend auf wechselhafte Himmelszustände ausgerichtet werden. Doch dies ist nicht die einzige dynamische Komponente, denn auch die Vegetation der Umgebung spielt eine entscheidende Rolle bei der Tageslichtplanung. Gerade Laubbäume sind ein ideales Mittel, um im Sommer den nötigen Schatten zu spenden und im Winter eine sinnvolle Sonnenwärmegewinnung zu gewährleisten.

Computer oder Handwerk

Einige Computerprogramme für Lichtplaner und Architekten ermöglichen komplexe Simulationen bis hin zu fotorealistischen Raumdarstellungen. Doch der Einfluss sich verändernder Pflanzen bringt bis jetzt jedes Programm an seine Grenzen. Obschon einige Tageslichtberechnungsprogramme unterdessen in der Lage sind, dynamische Lichtabläufe als Film darzustellen, ersetzen gerade sie nicht die «handwerklicheren» Werkzeuge. So ist es mit Hilfe von Computern nach wie vor nicht möglich, das zu erwartende Raumgefühl spürbar zu vermitteln. Besonders bei Tageslichtprojektierungen, die vom Computer pro Standort über einige Stunden berechnet werden müssen, lohnen sich auch altbewährte Techniken. Der Blick auf das Horizontoskop (Bild 1) mit anschliessender Auswertung von Hand dauert im Vergleich etwa 30 Minuten. Neben Modellen sind in der Planung auch einfache, prägnante, aber auf komplexen Zusammenhängen basierende Tageslichtkenngrössen notwendig, zum Beispiel für rein energetische Gebäudebewertungen. Hier helfen einfache Computerprogramme weiter, die auf die Darstellung von Raum und Möblierung verzichten.1 Zu den schwierigsten Prognosen im Tageslichtplanungsprozess gehört die zu erwartende Blendungs- oder Entblendungssituation. Immer noch fehlen für viele Mate­rialien die Daten der dreidimensionalen Reflexionseigenschaften – so lassen sich heute am Computer lediglich Trends aufzeigen. Auch bei neuen Materialien oder Techniken ist der direkte Augenschein neben der Analyse der technischen Daten in der Regel sinnvoll. Im Folgenden sollen einige neuere Tageslichtmaterialien vorgestellt werden.
Umlenken und speichern Lichtleitsteine: Hierbei handelt es sich um ein beinahe künstlerisches Raumgestaltungs­element. Mittels unterschiedlich grosser, in Kunststoff oder Beton eingearbeiteter Licht­umlenkelemente wird ein irritierender Effekt erreicht. So erscheinen Licht oder Schatten da, wo es nicht erwartet wird.
Flüssighohlleiter: Sie nutzen die physikalischen Eigenschaften der Totalreflexion von Flüssigkeiten und ermöglichen so einen Lichttransport in einfachen Standardrohren ohne kostenintensive optische Materialien.

Nachleuchtende Materialien: Am uralten Traum des Speicherns von Tageslicht wird geforscht wie noch nie seit Bestehen der Menschheit. Weltweit werden zurzeit ca. 15 Mrd. Euro pro Jahr in die Entwicklung nachleuchtender Materialien gesteckt. Erste Gebäudeumsetzungen haben zwar noch Pilotcharakter, dürften sich aber in den nächsten zwanzig Jahren zur Marktreife entwickeln (Bild 3).

Sonnenröhren: Lichttechnisch optimierte Lichtschächte als Fertigbauteil erlauben kostengünstig das Einbringen von Tageslicht in tief liegende Geschosse. Sie sind bis zu einer Länge von ca. 15 m als Standard erhältlich.

Schachtreflektoren: Verschiedene Firmen haben Tageslichtleitungsprodukte entwickelt, die in erster Linie den Heimmarkt ansprechen sollen. So sind zum Beispiel standardisierte Spiegelsysteme für Kellerlichtschächte erhältlich, die eine verbesserte Nutzung von Untergeschossräumen erlauben (Bild 4).
Hologramme: Hologramme zur Tageslichtlenkung sind seit ein paar Jahren bereits auf dem Markt. Der Vorteil der exakten Vorgabe des Lichtlenkungsverhaltens auf dünnster Folie ist gross, doch der Preis zurzeit noch hoch. Hinzu kommt, dass spektrale Aufsplittungen vorkommen können, die unerwartete Farberscheinungen ergeben.
Grundsätzlich sollte bei neuen Materialien auch geprüft werden, wie das Material entsorgt werden kann. Bei Tageslichtmaterialien kommt oft die Frage der langjährigen UV-Stabilität hinzu.

Gemäss Statistik werden in den USA tagsüber für die Beleuchtung von Gebäuden ca. 10 % des gesamten Strombedarfs des Landes aufgewendet, also bei vorhandenem Tageslicht. Es sind dementsprechend noch einige Entwicklungen hin zu besserer Tageslichtnutzung zu erwarten. Eine Möglichkeit könnten auch Baumaterialien sein, die bei gleich bleibenden Eigenschaften lichtdurchlässiger werden – intelligente Verglasungen, die nicht nur ein dynamisches Transmissionsverhalten aufweisen, sondern auch eine dynamische Lichtumlenkung beinhalten. Bereits heute sind erste Produkte auf dem Markt, die ein jahresdynamisches Speicherverhalten aufweisen: wenig Wärmeaufnahme im Sommer, viel Wärmespeicherung im Winter (Bild 5). Für die Schnittstelle von Kunst- und Tageslicht werden in Zukunft ökonomisch interessante Systeme gebraucht werden, die beide Lichtarten verteilen und damit Tag und Nacht genutzt werden können.

Durch tageslichtabhängige Steuerungen ist bereits in den letzten Jahren der digitale Zustand – Ein / Aus – der Beleuchtung verlassen worden. So genannte «biodynamische» Steuerungen versuchen nun, die Kunstlichtsituation noch mehr dem natürlichen Verlauf anzupassen, wobei dies durchaus auch in der Nacht sein kann. Mit der Computertechnologie ist es heute einfach, den Sonnenuntergang im Innenraum auf zwei Uhr nachts zu verschieben. Es scheint immer noch gängig zu sein, durch eine ideal gesteuerte Beleuchtungsanlage Tageslicht zu ersetzen, anstatt es sinnvoll einzuplanen.
Anmerkung:
[1] Zum Beispiel Simulation-Wizard von alware.

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Für den Beitrag verantwortlich: TEC21

Ansprechpartner:in für diese Seite: Judit Soltsolt[at]tec21.ch

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