Zeitschrift

Steeldoc 03+04/07
Schweizer Stahlbaupreis Prix Acier 2007
Steeldoc 03+04/07
zur Zeitschrift: Steeldoc
Herausgeber:in: Stahlbau Zentrum Schweiz

Limmatsteg mit Promenadenlift, Baden/Ennetbaden

Wegfigur zwischen den Elementen

Wo früher noch eine Seilfähre die beiden Gemeinden Baden und Ennetbaden verband, gibt es heute eine neue Wegverbindung aus einer Brücke und einem Turm. Die Raumskulptur aus einem liegenden und einem stehenden Stahlfachwerk markiert urbane Präsenz und fügt sich stimmungsvoll in die wilde Flusslandschaft ein.

10. Dezember 2007 - Evelyn C. Frisch
Wo früher noch eine Seilfähre die beiden Gemeinden Baden und Ennetbaden verband, gibt es heute eine neue Wegverbindung aus einer Brücke und einem Turm. Die Raumskulptur aus einem liegenden und einem stehenden Stahlfachwerk markiert urbane Präsenz und fügt sich stimmungsvoll in die wilde Flusslandschaft ein. Das Ensemble ist eine Wegfigur – eine begehbare Skulptur aus einem liegenden und einem stehenden Element des gleichen Typus. Stahl und die filigrane Fachwerkstruktur nehmen Bezug auf die Geschichte Badens als frühe Industriestadt und erste Eisenbahnstation der Schweiz. Das dichte Laub der alten Platanen hängt tief über das grünblaue fliessende Wasser und reicht in der Baumkrone praktisch bis hinauf auf die Stadtterrasse. Die beiden Fachwerkkörper inszenieren diese Bewegung, indem sie die Verbindung über das Wasser und durch die Baumkronen hinauf in die Stadt begehbar und erlebbar machen. Nicht umsonst ist diese Wegpassage seit dem Tag ihrer Eröffnung zur attraktivsten und meistbegangenen Promenade für die Badener und Ennetbadener geworden. Horizontale und vertikale Bewegung Das konstruktive Prinzip des Brücken- und des Turmkörpers ist dasselbe. Über dem Wasser liegt ein räumliches Fachwerk; die beiden Seiten bilden sich aus filigranen raumhohen Fachwerkbindern (Warren- Fachwerk), deren Ober- und Untergurte zusammen mit den Querträgern zu Vierendeelträgern verbunden sind. Dadurch bildet sich quasi ein offener Hohlraum. Dieser Aufbau wiederholt sich im Turm so, als wäre die Brücke lediglich aufgestellt worden. In der Vertikalen wird das Fachwerk jedoch immer körperhafter. Der stehende Fachwerkbinder nimmt zur Hangseite hin skulpturale Masse an und bildet sich oben zu einem geschlossenen Turmkopf aus. Die Passerelle, die vom Turmkopf auf die Stadtterrasse führt, hat zwar noch den Vierendeelträger als Gehweg, doch die tragenden, seitlichen Teile sind als geschlossene Kastenträger ausgebildet. Diese materielle Verdichtung verankert den Turm und die Stadt-Passerelle im Hang und spielt mit Stämmen und dem Geäst des üppigen Baumbestandes.

Die glimmende Farbigkeit

Farblich spielt die Brücke mit dem archaischen Farbton von wetterfestem Stahl (Corten-Stahl). Dieser «Naturton» kontrastiert als Komplementärfarbe mit dem grünen Laub und dem blau-grünen Wasser. Je nach Tageslicht verändert die Brücke ihre Leuchtkraft. Nachts kommt sie durch eine wunderbar inszenierte indirekte Beleuchtung zum Erstrahlen. Die Gehwege sind mit linear geführten Lichtbändern untermalt. Der Widerschein vom engmaschigen Gitterrost der Gehfläche erhellt wiederum indirekt das ganze Stahlskelett und bringt dieses zum Glimmen. Ebenfalls wird die Panorama-Aufzugkabine als vertikale Verbindung mit einem vollflächigen Deckenlicht erhellt. Mit punktuellem Licht wurden die «Orte» markiert, das heisst Vorplätze, Podeste der Evakuationszone, die Schachtgrube des Aufzuges sowie der Aufzugsmaschinenraum.

Aufgelöste Strukturen

Der Brückenkörper ist als aufgelöster Kasten ausgebildet. Läuft man über den Gehweg aus Gitterrost, bemerkt man die Verjüngung der Querschnitte der Ober- und Untergurtprofile. Diese «Ausdünnung» ergibt sich durch die geringere statische Anforderung in der Brückenmitte und führt zu einer höheren Filigranität und Leichtigkeit der Struktur. Auch die Profile des Aufzugsturmes verjüngen sich mit zunehmender Höhe stufenweise, so dass sie der Perspektive entgegenwirken und den Turm optisch verkürzen. So gleicht der Turm in der Ansicht einer Jakobsleiter – aus der Sicht der Aufzugskabine gleicht die Limmatbrücke in analoger Weise einer Wasserleiter, deren verstärkte Enden und die schlanke Mitte den Kräfteverlauf in der Horizontalen abbilden. Hochtransparente Verglasungen trennen beim Turm den eigentlichen Aufzugsschacht von der Evakuationszone. Die lautlose Fahrt durch die Turmstruktur von der Stadtterrasse über den Ölrainhang hinunter zur Limmatpromenade hat etwas Befreiendes und eröffnet dem Betrachter verschiedene Perspektiven auf den Flussraum, die üppige Vegetation und die Konstruktion selbst. Bei der Brücke bilden die gleichen Verglasungen die Geländerbrüstungen. Das Glas wurde zum Schutz der Vögel mit Ornamenten bedruckt – ein Beitrag des Künstlers Beat Zoderer an die «Kunst am Bau». Durch die Gitterroste des Gehbelags sieht man das Wasser fliessen.

Spektakuläre Montage

Der Einsatz von Stahl ermöglichte die Vorfabrikation der Bauteile in der Werkstatt, was den beengten Platzverhältnissen und der schützenswerten Umgebung Rechnung trug. Durch die gewählten Querschnittsabmessungen konnte beim Steg auf einen Mittelpfeiler in der Limmat verzichtet werden. Der Steg wie auch der Liftturm wurden in je zwei Teilen mit Spezialtransporten auf die Baustelle gebracht. Die zwei Teile des Steges wurden auf dem Montageplatz auf Ennetbadener Seite verschweisst. Dann erfolgte die Montage des 52 Tonnen schweren Steges mit Hilfe eines 500-t-Raupenkranes. Dank dem Einsatz eines so grossen Kranes konnte auf ein Hilfsjoch in der Limmat verzichtet werden. Die beiden Teile des Liftturmes (je 24 Tonnen schwer) wurden ebenfalls von der Ennetbadener Seite aus versetzt und erst in ihrer endgültigen Lage miteinander verschweisst. Das Versetzen der 12 Tonnen schweren Passerelle erfolgte mit einem 120-t- Pneukran von der Oelrainstrasse aus.

Laudatio der Jury

Von der Jury gewürdigt wurde die Angemessenheit des Eingriffs in einem sensiblen Gefüge aus Urbanität und Naturlandschaft. Die Wahl des Tragsystems, die Materialisierung sowie die sorgfältige und detailgenaue Ausformulierung der architektonischen und strukturellen Idee trägt dieser Lage Rechnung. Die Vorfertigung im Werk und die spektakuläre Montage am Stück zeigen die Qualitäten des klassischen Stahlbaus auf, die jedoch zu einer eigenständigen, bewegenden Interpretation des Ortes und seiner Erschliessung geführt haben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Steeldoc

Ansprechpartner:in für diese Seite: Evelyn C. Frischinfo[at]szs.ch

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