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TEC21 2007|51-52
Schutzengel
TEC21 2007|51-52
zur Zeitschrift: TEC21
Verlag: Verlags-AG

Fittiche aus Stahl

24. Dezember 2007 - Christian Kammann
Blitzschutzanlagen schützen seit über 250 Jahren Architektur und Mensch bei Blitzeinschlägen. Dabei werden die bei Gewitter entstehenden elektrischen Entladungen auch noch ein Stück weit angezogen. Ein kulturhistorischer Rückblick zeigt, wie es zu dieser Methode der «kontrollierten Entschärfung » kam – und warum sich heute der wissenschaftliche Diskurs an der Frage entzündet, ob der Einschlag selbst nicht vermieden werden kann. Der Film «Am Anfang war das Feuer» von Jean-Jacques Annaud über die kulturelle Kinderstube des Menschen schildert unter anderem das menschlich ambivalente Verhältnis zu Naturgewalten, das im Gefühl einer bis heute anhaltenden Faszination Ausdruck fi ndet: Der Blitzeinschlag wird als furchteinfl össend und zerstörerisch empfunden, doch das zurückbleibende Feuer war schon zu Urzeiten eine überlebensnotwendige Quelle der Wärme und eine Waffe im Kampf gegen Feind und Tier. Das Feuer bedeutete in der Steinzeit ökonomische Macht, und somit waren auch Blitze lange Zeit Machtsymbole.

Geistesblitze im Mantel der Mythologie

Eine naturwissenschaftliche Annäherung an das Phänomen «Blitz» erfolgte auf unterschiedlichem Niveau erst bei den frühen Hochkulturen. Bei den alten Griechen entwickelten die Thales-Schüler Anaximander und Anaximenes im 6. Jahrhundert vor Christus eine Theorie von der Entstehung eines Gewitters, wonach sie den Wind in einer Wolke als Ursache ansahen. Das Pressen gegen die Wolkenmasse verursache Donner, und das Hindurchpressen führe anschliessend zur Entzündung der Luft. Ähnlich erklärte auch der Aristoteles- Schüler Theophrast (371–287 v. Chr.) das Gewitterphänomen, näherte sich aber auch indirekt der Erkenntnis, dass Licht sich schneller fortbewegt als der Schall: «Der Blitz geht aber dem Donner voraus aus zwei Gründen: entweder weil das Feuer besonders schnell aus der Wolke herauskommt oder weil zugleich der Blitz und der Donner stattfi nden: besonders schnell sehen wir den Blitz, langsamer aber hören wir den Donner.»1 Wenn auch viel diskutiert, so fi nden sich in der hellenischen Kultur bisher keine Hinweise, dass man versucht hätte, auf technische Weise Blitze an Gebäuden abzuleiten. Im Gegenteil, ebenso weit verbreitet wie die Philisophie und der naturwissenschaftliche Forschergeist war bei den Hellenen der Glaube an eine göttliche Macht hinter jeder Naturgewalt. So steht in der Theogonie von Hesiod (ca. 700 v. Chr.) über Zeus: «Im Himmel thront er donnergebietend und sendet fl ammende Blitze, seit er den Vater Kronos besiegte.» (Verse 71–73) Noch weitreichender war die Vorstellungskraft der Römer: Vom Blitz getroffene Orte galten als Heiligtümer des Jupiter, und das Überleben eines Blitzschlags wurde als Gunstbezeugung des Hauptgottes interpretiert.

Neben solchen Quellen und Überlieferungen weisen archäologische Funde aus Ägypten und China darauf hin, dass andere frühe Hochkulturen gezielte Massnahmen trafen, um der Brandgefahr durch Blitzeinschlag zu entgehen. Goldene Masten am Tempel von Madinat Habu und am Chontempel von Theben, die um 1170 v. Chr. unter Ramses III. errichtet worden waren, sollen diese Funktion innegehabt haben. In China versprach man sich Brandschutz im Falle eines Blitzeinschlags durch glasierte Dachziegel und Firstschmuck: eine architektonisch ansprechende Lösung, deren individuelle Ausführungsformen auch immer etwas über mythologische Vorstellungen der damaligen Zeit verraten. Angesichts der durch Blitzeinschlag kurzfristig erzeugten Temperaturen, die im fünfstelligen Bereichliegen können, darf jedoch die Funktionstüchtikgkeit dieser isolierenden Massnahme ohne Ableitungs- und Erdungsanlage stark bezweifelt werden. Das Phänomen «Blitzeinschlag» befl ügelte jedoch stets die religiöse Vorstellungskraft der Menschen, die es fast durchwegs als Zeichen von Gewogenheit oder Strafe werteten. Erst am 15. Juni 1752 gelang es Benjamin Franklin durch seinen anschaulichen Versuch mit einem Kinderdrachen, die elektrische Natur des Blitzes nachzuweisen, 1760 erstmals das bis heute verwendete, dreiteilige Blitzschutzsystem aus Fangeinrichtung-, Ableitungs- und Erdungsanlage zu entwickeln und somit das Phänomen mit einem Schlag nachhaltig zu «entmystifi zieren».

Blitzschnelle Vermarktung

Aus rein wissenschaftlichem Interesse liess Franklin an jenem Sommertag 1752 einen Drachen aus Holzstöckchen und zwei Taschentüchern steigen. Er hängte einen Schlüssel ans Ende der mit Seidenband isolierten Hanfl eine, befestigte diese an einen Pfosten und zog dann Funken aus dem Schlüssel. Er selber war dabei die Erdung. Einem Brief Franklins vom 12. Oktober 1752 ist zu entnehmen, dass er in einem weiteren Schritt mit Leyden’schen Flaschen die Funken am Schlüssel einfi ng und dann mit ihnen Weingeist entzündete – er sah damit die elektrische Natur des Blitzes als erwiesen an. Obwohl François Dalibard bereits am 10. Mai 1752 mittels einer 12 m hohen Eisenstange in der Nähe von Paris Funken aus einer Gewitterfront zog, wurde Franklins vermeintlich spielerisches Experiment bekannter. Das wirtschaftliche und politische Potenzial ihrer Experimente war beiden Wissenschaftern zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht bewusst (sonst hätten sie wohl ein Patent angemeldet). Im 13. seiner Briefe an Peter Collinson (britischer Botaniker, der mit zahlreichen Wissenschaftern aus Amerika und Europa korrespondierte) formulierte Franklin dann 1753 die Idee, Gebäude vor Blitzen zu schützen, indem auf und neben ihnen Eisenstangen errichtet werden, die man mit dem Boden verbindet. Bereits 1754 entstand hierauf am mährischen Kloster Prenditz (bei Znaim, Tschechien) die erste Blitzschutzanlage Europas. Nach und nach wurden öffentliche Gebäude geschützt, und bald wählten auch fi nanzkräftige Bürger diesseits und jenseits des Atlantiks diese Möglichkeit, ihr Hab und Gut zu schützen. 1840 gab es in Amerika schon mindestens 15 Fabriken, die Blitzschutzanlagen herstellten und diese an Privathaushalte vermarkteten.Unter diesen Prozess der zunehmend seriellen Fertigung mischten sich von Anfang an politische Streitfragen, die man im 18. Jahrhundert nur allzu gerne auf wissenschaftliche Kontroversen projizierte. Die Rivalitäten zwischen England und seinen nach Unbhängigkeit strebenden amerikanischen Kolonien gipfelten symbolisch auch in der Form der Fangvorrichtung des Blitschutzsystems. George III. von England behauptete, dass eine abgerundete Metallstange vorzuziehen sei, da sie Blitze im Gegensatz zu Franklins spitzer Variante nicht unnötig anziehe. Doch ebenso wenig wie sich diese Aussage damals wissenschaftlich belegen liess2, konnte der König hierdurch dem sich verschärfenden politischen Konfl ikt zwischen dem Mutterland und seinen abhängigen Gebieten die Spitze nehmen. Nur wenige Monate nach der Unabhängigkeitserklärung 1776 reiste Franklin als einer der ersten Diplomaten der Neuenglandstaaten nach Frankreich. Hier genoss er grosses Renomée aufgrund seines gewagten Drachenversuchs, der ihn schnell zum Inbegriff des unabhängigen Wissenschafters seiner Zeit gemacht hatte. Dieses Ansehen wurde in direktem Zusammenhang mit seiner Rolle als einem der Gründungsväter der Neuenglandstaaten wahrgenommen. Im Ergebnis bestärkte Franklins blosse Anwesenheit in Frankreich alle heimlichen und öffentlich bekennenden Gegner der Monarchie. Turgots3 Epigramm «Erepuit caelo fulmen sceptrumque tyrannis» (Er entriss dem Himmel den Blitz und den Tyrannen das Zepter) ist ein Beispiel hierfür, ebenso wie Robespierres Verteidigung eines Mandanten vor Gericht, der die Installation einer Blitschutzanlage an seinem Privathaus durchsetzen wollte. Letzteres dürfte Franklin gefallen haben, da er alles andere als ein schicksalsergebener Mensch war – eher ein ideenreicher Pragmatiker, der sich stets verärgert über gesellschaftlich chaotische Zustände zeigte. An seinerzeit absurden Modeerscheinungen in Frankreich wie dem «Blitzableiterhut» und dem «Blitzableiterregenschirm » mit Metallketten dürfte er allerdings wenig Gefallen gefunden haben.

Aufklärung - Vermarktung - neue Mythen?

Was hätte Franklin wohl vom heutigen Tempo der Vermarktung technischen Know-hows gehalten? Nicht jeder Schritt ist bekanntlich ein Fortschritt, und ein «technischer Schutzengel » wie eine Blitzschutzanlage entpuppt sich im Nachhinein auch schon mal als «Luzifer ». Radioaktive Blitzableiterspitzen, die durch Ionisierung der umliegenden Luft Blitzenoch gezielter anziehen sollten, wurden bis vor kurzem in der Westschweiz4, in Spanien und in Serbien verwendet. Ihre angeblich verbesserte Wirksamkeit gegenüber Franklins Blitzableiter ist bis heute nicht bewiesen, und aus Umweltschutzgründen wurden sie konsequenterweise demontiert. Doch wie kommt es, dass gerade bei Neubauten heute sprichwörtlich oft «am falschen Ende» unnötig viel Geld ausgegeben wird? Denn der sogenannte «innere Blitzschutz», dessen Massnahmen Installationen, elektrische und elektronische Anlagen vor dem Blitzstrom und der Blitzspannung schützt, ist im heutigen Computerzeitalter besonders relevant geworden. Statt sich mehr auf diesen optisch weniger an einem Gebäude in Erscheinung tretenden Teil des Blitzschutzes zu konzentrieren, wird derzeit vor allem in Nordamerika mit vermeintlich verbesserten Fangeinrichtungen geworben. Entsprechend zielt die Kritik führender Forscher5 auf die Vermarktung von wissenschaftlich zweifelhaften Funktionen – wie der, dass ein Blitzeinschlag gänzlich vermieden werden kann.

Sogenannte «Charge Transfer Systems» (CTS) und die «Early Streamer Emission» (ESE) sind in ihrer Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt. Beim CTS-System lautet die Behauptung, dass die Fangstangen eine Spannung erzeugen, die jene der Gewitterwolke neutralisieren oder zumindest eine Art eigene Schutzwolke produzieren. Dies wurde durch eine umfangreiche Studie von Wissenschaftern der Universität Florida 2002 widerlegt.6 Dazu muss gesagt werden, dass eine gewöhnliche Fangstange, die in den USA 6–10 Dollar kostet, als CTS-Modell bis 100 Dollar und mehr kosten kann – bei gleicher Schutzleistung. Bedenklicher wird die Angelegenheit bei der Verkaufsstrategie der ESE-Devices. Diese Nachfolger der radioaktiven Stangen kosten über 1000 Dollar. Verkaufsargument ist, dass man nur eine bis zwei Stangen brauche, wo sonst Dutzende auf einem Gebäude verteilt werden müssten, um einen effektiven Schutz zu garantieren. Denn angeblich antizipiert dieses Hilfsmittel den Blitz und formt nach oben einen Strom (= giant upward streamer), der den Blitz einfängt und ihn zur Stange leitet. Auch dies ist nicht wissenschaftlich belegbar. Somit ist beim Kauf eines ESE-Devices der Blitzschutz für ein Gebäude im Vergleich zur Verwendung herkömmlicher Fangeinrichtungen vermindert. Die Gewinnspanne des Herstellers hingegen vergrössert sich, da er zur Sicherung eines Gebäudes weniger Material bei gleichem Paketpreis aufwendet.

Weder eine ästhetisch oft störende noch eine (wenn auch nicht preislich) attraktiv minimalistische Blitzschutzanlage gewährleisten für eine Architektur mit Sicherheit einen guten Schutz. Will man sich nicht auf herkömmliche Schutzengel verlassen, sollte man deshalb beim Blitzschutz auf wissenschaftlich belegte Funktionsweisen achten und sich unter die Fittiche unabhängiger, fachlicher Expertise begeben. Was sich in Exptertenkreisen Neues tut, wird in diesem Jahr vor allem die folgende Veröffentlichung zeigen, die vielleicht so manche «elektrische Heilsbotschaft» aus der Neuen Welt auf den Prüfstand setzen wird: «Playing with Fire: Histories of the Lightning Rod», von Peter Heering, Oliver Hochadel und David Rhees (EDS, Philadelphia: American Philosophical Society).

[ Christian Kammann Dr. sc. ETH, Architekturhistoriker und Sinologe ]

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