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Metamorphose 01/08
Energie sparen
Metamorphose 01/08, Foto: Christian Schönwetter
Metamorphose 01/08, Foto: Jean-Luc Valentin
zur Zeitschrift: Metamorphose

Freude am Sparen

Energiebewusstes Bauen – nur lästige Pflicht?

Wann endlich erkennen Architekten die ungeheuren Chancen, die in der Energiespar-Thematik stecken? Sie erschließt nicht nur neue Geschäftsfelder, sondern sorgt auch dafür, dass baulich-architektonische Fragen wieder in den Fokus öffentlicher Aufmerksamkeit rücken. Und sie kann einer neuen regionaltypischen Architektur den Weg ebnen.

7. Januar 2008 - Christian Schönwetter
Alle Welt redet vom Energiesparen, nur eine Gruppe hält sich vornehm zurück: Architekten. Dabei sitzen sie an den Schalthebeln, mit denen sich der Gesamtverbrauch deutlich verringern ließe. Rund 40 Prozent der Endenergie entfallen auf Gebäude. Die Planungsentscheidungen eines Architekten haben also nicht unwesentlichen Einfluss darauf, ob wir es schaffen, die ehrgeizigen Ziele zur Reduktion des Treibhauseffekts zu erreichen.
Gewaltige Förderprogramme unterstützen bauliche Maßnahmen zum Energiesparen, vor allem in den Bestand fließen erhebliche Summen. Hier tut sich ein ganz neues Betätigungsfeld für Architekten auf, es öffnet sich eine Tür für eine Berufsgruppe, die zuletzt nicht unbedingt unter einem Übermaß an Planungsaufträgen litt. Und ihre Kompetenz wird dringend benötigt, denn die durchschnittliche energetische Modernisierung – meist ohne Architekt durchgeführt – ist eher selten mit Gestaltverbesserungen verbunden (siehe Seite 18,19). Anspruchsvolle Lösungen, die bauhistorische, gestalterische und energetische Anforderungen gleichermaßen erfüllen, muss man suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Es gibt noch viel zu tun.

Existenz sichern

Zugleich erlegt die Energiefrage dem Architekten jedoch eine neue gesamtgesellschaftliche Verantwortung auf. Sie ist nicht irgendeine, sondern vermutlich die entscheidende Herausforderung der Zukunft, sowohl aus Klimaschutzgründen, als auch, weil der Energiehunger immer schwerer zu stillen sein wird. Öl und Gas sind endliche Energiequellen und werden uns in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend zur Verfügung stehen. Schon jetzt treibt das Zusammenspiel von sinkendem Angebot und steigender Nachfrage durch die Schwellenländer den Preis in die Höhe. Für den Zeitpunkt, an dem die weltweiten Vorräte knapp werden, sagen pessimistische Stimmen gar einen Krieg um Öl voraus, ein Gemetzel um die letzten Reserven an fossilen Brennstoffen. Mag dieses Schreckensszenario gegenwärtig auch übertrieben erscheinen, so kann es nicht schaden, den Verbrauch rechtzeitig zu senken und sich ein Stück weit unabhängiger zu machen. Energieeffiziente Gebäude können dazu einen wesentlichen Beitrag leisten. Plötzlich geht es beim Bauen und Modernisieren um Existenzielles.
Bedenkt man, dass der Primärenergiebedarf Deutschlands zu 95 Prozent von fossilen Energieträgern gedeckt wird, und dass drei Viertel davon importiert werden müssen, so wird deutlich, dass sparsame Architektur auch helfen kann, unsere Abhängigkeit von jenen Staaten zu reduzieren, in denen nicht immer ganz lupenrein demokratische Verhältnisse herrschen. Salopp gesagt: Wer in einem Passivhaus wohnt, das kaum noch Heizenergie verbraucht, kann sich entspannt zurücklehnen, wenn Russland der Ukraine wieder einmal den Gashahn zudreht. Bauen erhält eine politische Komponente.
Und zu guter Letzt wird bei der energetischen Sanierung Geld für Arbeit und Ingenieurskunst im Inland, statt für Brennstoff-Importe aus dem Ausland ausgegeben. Bauen bekommt eine stärkere volkswirtschaftliche Bedeutung.
Es geht wieder um die großen Fragen in der Architektur. Die Arbeit des Architekten erhält eine Relevanz für die Allgemeinheit wie lange nicht mehr. Zuletzt hatte sie diese Bedeutung vielleicht in der Nachkriegszeit, als es darum ging, die zerbombten Städte wieder aufzubauen und Antworten auf die Frage zu geben, wie mit knappen Mitteln ausreichend Wohnraum geschaffen werden kann. Heute geht es darum, wie mit knappen Energiereserven umzugehen und der Klimawandel aufzuhalten ist. In diesem Kontext bietet sich die Chance, architektonische Debatten in die Öffentlichkeit zu tragen und damit mehr Menschen zu erreichen als bisher. Und vielleicht gelingt es, sie dabei auch für die ästhetischen und kulturellen Aspekte des Bauens zu interessieren, die bei einer ganzheitlichen Betrachtung von Gebäuden immer dazugehören, bislang aber außerhalb der Fachszene kaum Beachtung fanden.

An den Ort binden

Ein solcher Aspekt könnte die Frage sein, welche Auswirkungen das Energiesparen auf die Gestalt der Gebäude haben wird. Den Internationalen Stil und seine heutigen, späten Nachzügler müssen wir endgültig zu den Akten legen. Denn er entwickelte sich, als Energie im Überfluss vorhanden war. Die riesigen Glasflächen eines Seagram Building oder eines Farnsworth House, eine Architektur, die sich in solchem Ausmaß von den Gegebenheiten des Orts löste, wären vorher undenkbar gewesen. Jahrtausendelang bedeutete Bauen, sparsam mit Energie umzugehen, weil sie ein kostbares Gut war. Die Zeitspanne, in der wir uns keine Sorgen um die Energieversorgung machen mussten, neigt sich zu Ende und dürfte nur ein kurzes Kapitel in der Menschheitsgeschichte gewesen sein.
Energiebewusst Bauen heißt klimagerecht Bauen, und das Klima wechselt von Region zu Region. Die Architektur wird wieder stärker auf den Ort eingehen. In milden, sonnigen Gegenden wird man etwa bemüht sein, Solarenergie aktiv und passiv zu nutzen, die Gebäude können großzügig nach Süden verglast sein, und auf den Dächern lohnt es sich, Kollektoren zu installieren – Maßnahmen, die in kühlen, nebligen Gegenden mit geringerer Sonnenscheindauer weniger sinnvoll sind. Es dürfte ein neuer Regionalismus auf technisch höherem Niveau entstehen, ein Regionalismus 2.0, nicht aus Heimatschutz-, sondern aus Wärmeschutzgründen.
Nicht nur beim Neubau, auch beim Bauen im Bestand bietet die Energiefrage die Chance, Bauwerke besser zu verorten. Findet man etwa ein konventionelles Wohngebäude vor, dessen Öffnungen nach allen Himmelsrichtungen gleich gestaltet sind, so besteht die Möglichkeit, sie bei einem Umbau zu differenzieren und die Südfenster größer auszubilden. Ein Bau, der vorher möglicherweise beziehungslos auf dem Grundstück „schwamm“, wird auf diese Weise „festgezurrt“, steht in Beziehung zur Sonne, bietet Orientierung.

Neue Aufgaben angehen

Es gibt also viele Gründe, die momentan häufig noch etwas stiefmütterliche Behandlung der Energiesparthematik in der Architektur aufzugeben. Wem es als Motivation nicht ausreicht, am großen Ziel Klimaschutz mitzubauen, wird sich vielleicht für die Auseinandersetzung mit Energiefragen erwärmen können, wenn er die Aussicht hat, Formentscheidungen künftig energetisch begründen zu können und damit schlagkräftige Argumente für seine – nicht zuletzt auch gestalterisch motivierten – Konzepte in der Hand zu haben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Metamorphose. Bauen im Bestand

Ansprechpartner:in für diese Seite: Doris Baechlerdoris.baechler[at]konradin.de

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