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hochparterre 09|2008
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 09|2008
zur Zeitschrift: hochparterre

Eine Hülle licht und dicht

Die Umnutzung des Sulzer Areals in Oberwinterthur geht langsam, dafür nachhaltig voran. Einer der Pioniere auf der Industriebrache ist die Überbauung Eulachhof. Nur erneuerbare Energien versorgen die 136 Wohnungen der ersten grossmassstäblichen Minergie-P-Eco-Siedlung. Schlüsselrolle beim «Null-Energie-Haus» spielen die lichtdurchlässigen Wärmedämm-Elemente der Südfassade.

15. September 2008 - Roderick Hönig
Im Hochparterre 6-7/08 schrieb der Architekt Ueli Schäfer in seinem Artikel «Von Solar nach Polar», dass die Zeit der so genannten Solararchitektur abgelaufen sei. Sonnenfänger-Häuser mit ihren grossen Fensterflächen seien von Thermoskannen-Typen abgelöst worden, also Häuser bei denen die Wärmeschutz vor dem maximalen Sonneneinfall steht. Dietrich Schwarz, der sich auch seit Jahren mit Solararchitektur auseinandersetzt und sie bereits in mehreren Bauten umgesetzt hat, verfolgt einen anderen Weg. Das Verhältnis von Aussenhülle zu Volumen, sei zwar ausschlaggebend für die Energiebilanz, so Schwarz, doch der Weg zum energiesparenden Bauen führe nicht zwingend nur über die Thermoskanne, sondern liege in der Balance zwischen Sonnenfänger und Thermoskanne. Auf dem Sulzer-Areal setzt der Architekt seine These konsequent um.

Beim Eulachhof sind drei Dinge bemerkenswert: Erstens das intelligente Energiekonzept, zweitens die Wirtschaftlichkeit, drittens dass die Kombination der beiden keine Einbussen beim Wohnkomfort zur Folge hat. Zuerst das Energiekonzept. Es gehorcht mit seiner hoch isolierten Gebäudehülle, der Komfortlüftung, den Abluft- sowie Abwasser-Wärmepumpen im Boden und der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach allen Regeln der Energiespar-Kunst. Doch Nachhaltigkeit und Energiesparen fängt bei Schwarz vor dem Haustechnik-Konzept an – bei der Gebäudeform und der Fassadengestaltung. Der Eulachhof ist vom Prinzip her ein Sonnenfänger. Er besteht aus zwei u-förmigen Riegeln mit jeweils einem sechsgeschossigen Hauptbau an dem zwei zweigeschossige Flügel hängen. Diese beiden Klammern bilden zusammen eine Art einseitigen Blockrand, der sich fast exakt gegen Süden öffnet. Die Abstände zwischen den Hauptbauten bestimmte der Sonneneinfallswinkel am kürzesten Wintertag: Auch am 21. Dezember muss die Sonne noch direkt in die Erdgeschosswohnungen scheinen können.

Der Architekt verglast die Südfassade zu drei Viertel: «Der Solargewinn auf der Südseite ist immer grösser, als der Transmissionsverlust, den ich nur bedingt durch dickere Isolation reduzieren kann», erklärt der Architekt. Die Überhitzungsgefahr der Wohnungen, die bei einem Fensteranteil von über fünfzig Prozent entsteht, geht Schwarz mit seiner eigenen Erfindung an: «Die Differenz zwischen den Prinzipien Sonnenfänger und Thermoskanne gleichen meine GlassX-Elemente aus», erklärt er. Insgesamt sind 910 Quadratmeter dieser lichtdurchlässigen Solarspeicherwände an der Südfassade verbaut. Sie sehen von aussen aus wie Gläser aus Kunststoff-Stegplatten, innen wie blinde Scheiben. Im ersten Zwischenraum der Vierfach-Gläser ist innerhalb der Gasfüllung eine Prismenplatte eingebaut, welche die hoch stehende Sommersonne reflektiert, die Wintersonne aber durch lässt. Im zweiten Zwischenraum liegt eine weitere Gasfüllung, im dritten ein so genannter Latentspeicher, ein in Polykarbonatbehältern eingeschweisstes Salzhydrat, das solare Energie aufnimmt, speichert und zeitverzögert als Strahlungswärme in die Wohnungen wieder abgibt. Nur dank dem kontrollierten solaren Energieüberschuss, den die High-Tech-Wärmespeicher produzieren, erreicht Schwarz die von Minergie geforderte Wärmebilanz über die gesamte Gebäudehülle. Der Eulachhof ist also Mischung aus Thermoskanne und Sonnenfänger, was sich positiv im Wohnkomfort äussert, konkret in grossen Fenstern statt Gucklöchern gegen Norden.

Dass die Überbauung kein Experiment von Öko-Gutmenschen ist, zeigen die Renditeüberlegungen der beiden Besitzer Allianz Suisse und Profond. Die beiden Grossinvestoren haben das Projekt der Allreal Generalunternehmung abgekauft. Sie rechnen, laut der Zeitschrift Faktor, kurzfristig zwar mit einer Minderrendite von 0.3 Prozent gegenüber einem konventionellen Neubau, aber immer noch mit einer Nettorendite von vier Prozent. «Je höher die Energiepreise steigen, umso interessanter werden die Wohnungen für die Mieter. Wir können also mit tieferen Leerständen rechnen» lässt sich Rainer Gfeller von der Allianz in der Zeitschrift zitieren. Die fünf bis zehn Prozent Mehrkosten, die beim Minergie-P-Eco-Standard entstehen, bezahlen die Mieter gut zur Hälfte. Sie profitieren dafür von tiefen Nebenkosten – für viele ein wichtiges Entscheidungskriterium, vor allem wenn sie planen, länger im Eulachhof zu bleiben. Konkret beträgt bei einer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung die Nebenkostenpauschale 130 Franken pro Monat – inklusive Kabelanschlussgebühren notabene.

Schwarz musste, um Kosten zu sparen, zwar ein paar Gestaltungs-Kompromisse eingehen, beispielsweise die lieblose und billige Ausgestaltung der Treppenhäuser oder die klobige Ausführung der Schiebewände in den Wohnungen, doch konnte er den Generalunternehmer auch von architektonischen Details überzeugen, die normalerweise nicht auf dem Tagesprogramm von Allreal stehen: Der Architekt motivierte seinen Auftraggeber beispielsweise dazu, nur je zwei Wohnungen pro Geschoss mit einem Treppenhaus zu erschliessen, was sechs Liftanlagen für 62 Wohnungen bedeutet. Die Mehrkosten dafür spart er durch effiziente Wohnungsgrundrisse und konsequent zweiseitig belichtete Einheiten ein: Im Eulachhof haben die Wohnungen keine Korridore und alle Einheiten haben von der Süd- bis zur Nordfassade durchgehenden Wohn-Ess-Räume. Auch die 2.60 Meter Raumhöhe sind bei einem GU nicht Standard. Doch auf die Gesamtkosten von 55 Millionen Franken gerechnet, schlägt die überdurchschnittliche Raumhöhe kaum zu Buche, die höhere Wohnqualität, die vor allem in den 15.5 Meter langen Wohn-Ess-Räumen daraus erwächst, hingegen schon.

Energiesalon

Der Eulachhof – zusammen mit weiteren Bauten im Spannungsfeld zwischen Nachhaltigkeit und Architektur – ist auch Thema des Energiesalons. Diese Veranstaltungsreihe führt Täter, Expertinnen und Forscher aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Sie reden über Innovationen im Bereich Architektur und Nachhaltigkeit, stellen Projekte, Erfahrungen und Denkweisen vor und tauschen Wissen aus. Der Energiesalon ist eine Initiative von Hochparterre, dem Architekturbüro Bob Gysin und der Firma Energiekonzepte. Die Veranstaltungsdaten: 24.9., 22.10., 12.11. und 3.12., jeweils 18 Uhr in der Galerie Bob Gysin in Zürich.
Der Energiesalon wird unterstützt von Archimedia, Zumtobel, Bundesamt für Energie, Gasser Passivhaustechnik, Erne und Alternative Bank.
Infos und Anmeldung: www.hochparterre.ch/energiesalon

Energiekonzept

Die Energien, welche die 20000 Quadratmeter grosse Energiebezugsfläche des Eulachhofs verbraucht, sind zu 100 Prozent erneuerbar. Die Heizungs-Wärmepumpe wandelt warme Abluft aus den Wohnungen in Heizungswärme um, Wasser für Küche und Bad wird mit einer Abwasser-Wärmepumpe erwärmt. Die Spitzen-Verbrauchszeiten deckt ein Anteil von 20 Prozent Heizenergie aus der Kerichtverbrennungsanlage. Der Abfall, den die Bewohner produzieren (180 kg/Jahr/P), produziert bei seiner Verbrennung mindestens viel Wärme, wie der Eulachhof zu Spitzenlastzeiten zusätzlich verbraucht. Die Photovoltaikanlage auf dem Dach deckt den Strombedarf der Wärmepumpen und des Lifts, Treppenhausbeleuchtung und Lüftung, nicht aber der einzelnen Wohnungen.

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Für den Beitrag verantwortlich: hochparterre

Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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