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zur Zeitschrift: Hintergrund
Herausgeber:in: Architekturzentrum Wien

In der Schule wird mit Platzpatronen geschossen ...

20. November 2008 - Gabriele Kaiser, Sonja Pisarik
„In der Schule wird mit Platzpatronen geschossen, im Büro aber scharf …“

Das 1973 eröffnete Verwaltungsgebäude der BMW München ist mit seinem kleeblattförmigen Grundriss wohl einer der signifikantesten Bauten von Karl Schwanzer. Dass der charismatische Architekt nicht nur im Entwurf und in der Hochschullehre, sondern auch in der Projektakquisition unkonventionelle Wege ging, wird in der Projektgenese des Vierzylinder-Turms deutlich. So ließ er im Dezember 1968 – nach einer Stippvisite bei sämtlichen BMW-Aufsichtsratsmitgliedern (mit Modellen und Projektunterlagen im Gepäck) – auf eigene Kosten in den Bavaria Filmstudios ein Funktionsmodell eines Etagensegments im Maßstab 1:1 nachbauen, um den noch zögerlichen Vorstand endgültig von seiner Projektidee zu überzeugen. Laurids Ortner, der zur Zeit des BMW-Wettbewerbs im Büro Schwanzer gearbeitet hat, erinnert sich an diese ungewöhnliche Überzeugungstat …

Ich kann mich an diese Pattstellung beim Wettbewerb erinnern. Die Entscheidung stagnierte irgendwie, und da hatte Schwanzer die Idee, das Ganze 1:1 in Geiselgasteig aufzubauen, in den Filmstudios der Bavaria. Ein volles Büro mit Blick auf München. Es sollte ein Geschoß ziemlich hoch oben sein. Man blickt hinaus über das künftige Olympiagelände, drinnen spielen die Leute Büro. Schwanzer meinte, ich soll diese 1:1-Geschichte übernehmen, aber ich konnte oder wollte – oder traute mich nicht. Eigene Projekte waren für mich schon wichtiger, Haus-Rucker-Co war im Entstehen. Ich hab abgesagt und war dann zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr bei ihm im Büro. Ich weiß aber noch, dass er sich diese Installation für damalige Verhältnisse ungeheure 400.000–500.000 Schilling kosten hat lassen. Das war eine Riesensumme. Und das noch vor Auftragsvergabe! Später hat mir Schwanzer dann einmal erzählt, dass der Vorstand in die Etage kam und vollkommen von den Socken war.

Waren das Schauspieler, die da mitgespielt haben?

Ja natürlich, bzw. Statisten, die auf Schreibmaschinen geklopft und irgendwelche Akten durchs Büro getragen haben. Alles vollkommen realistisch, eine perfekte Kulisse, auch die simulierte Aussicht. Der Vorstand kam herein und schaute quasi zu ebener Erd’ auf München hinunter und meinte dann, wenn das schon so weit gediehen ist, können wir das ja nur mehr bauen! Es war vollkommen überzeugend. Für Schwanzer war das eine ganz gerade, unternehmerische Angelegenheit. Schwanzer war wirklich der prägende Mann für meine Generation, auch in einem über die Architektur hinausgehenden Sinn, in seiner ganzen Art, an die Dinge heranzugehen. Schwanzers Büro war ein völlig anders organisierter Laden als die damaligen Architekturbüros. Bei ihm gab es einen gewissen Glamour, eine speziell aufgeladene Atmosphäre von großer Welt. Man hatte immer das Gefühl, am Drücker zu sein – jetzt passiert es. Eigentlich war er der erste Architekt – auch in dem Sinne, wie man ein Architekturbüro modern führt. Er meinte damals, in der Schule wird mit Platzpatronen geschossen, im Büro aber scharf …

Würden Sie sagen, dass ihm beim BMW-Projekt auch seine rhetorischen Fähigkeiten zugute kamen?

Absolut! Er hat Qualitäten gehabt, so ein bisserl wie der Qualtinger. Diese massigen Leute, die haben oft etwas unerhört Leichtfüßiges. Qualtinger hatte das, und Schwanzer hatte das auch. Er konnte blendend Leute und Situationen nachmachen. Ich hab ihn zwar nie als großen Redner erlebt, aber so im Gespräch mit anderen Leuten, da hast du alle fünf Sinne zusammennehmen müssen, dass er dich nicht plattgemacht hat.

Auf einer Website (www.7-forum.com) wird in einem Leserbrief eines ehemaligen BMW-Mitarbeiters behauptet, dass dieses 1:1-Modell lediglich als Musterraum für die künftige Möblierung des BMW Verwaltungsgebäudes installiert worden sei.

Blödsinn! Das ist vollkommener Plunder! Das ist als echtes Risikoprojekt dort gestanden. Und es war nicht irgendwo im halbfertigen Bau eine Bemusterung, das wäre ja nicht so unüblich gewesen. Dort ist wirklich eine Bühne aufgebaut worden. Es wurde sozusagen auf Erfolg gespielt. Das war der absolute Kick. Man muss sich vorstellen, allein die runden Formen, da kriegt doch jeder aus dem Vorstand Bauchweh, dass da alle möglichen Probleme auftauchen, auch mit der Möblierung. Dann waren diese Zylinder auch noch konstruktiv von oben abgehängt, das waren alles Probleme für einen Vorstand, der in der Regel, und damals erst recht, recht konservative Vorstellungen hat. Eigentlich waren die mit dem Projekt überfordert. Und wenn man ihnen nicht vorgeführt hätte, dass es nicht nur funktioniert, sondern auch noch unerhört attraktiv ausschaut, hätte das Projekt vielleicht gar keine Chance gehabt. Das 1:1-Modell, das war der Zug zum Tor!

Diese Geschichte mit dem Bau in den Filmstudios beweist ja auch einen sehr hohen Grad an Emotionalität, weil sonst würde man ja gar nicht so viel Geld in ein Projekt hineinstecken, um andere Leute davon zu überzeugen, dass das, was man macht, das Richtige ist.

Aber es ist auch so eine Art Jägerinstinkt. Da ist die größtmögliche Beute, der größte Fisch, den es überhaupt gibt. Also, den zu erlegen, das ist der Schuss fürs Leben. Und so war es dann ja auch. Dieser Auftritt in Deutschland hatte ja damals noch eine ganz andere Dimension. Man muss bedenken, Schwanzer hat das wichtigste und größte Bürogebäude für den besten Konzern realisiert, den es in Deutschland damals gab. Das war eine Riesengeschichte, erstmals konnte sich ein Gebäude mit derartiger Signifikanz durchsetzen und zu einem Markenzeichen werden. Wenn heute Leute wie Ben van Berkel oder Zaha Hadid für so etwas geholt werden, dann ist das vergleichsweise ein kleiner Fisch. Eigentlich hätte man sich denken müssen, da kriegen jetzt bestimmt auch ein paar andere Vorstandsvorsitzende Appetit – so wie sie jetzt alle Appetit haben, sich zu verwirklichen. Aber das war erstaunlicherweise damals nicht der Fall.

Auch in diesem Sinn ist das Schwanzer-Projekt eine singuläre Geschichte.

Ganz sicher. Aber ich habe gar nicht gewusst, dass das mit dem Modell wie ein Mythos durch die Zeiten geistert.
Es ist jedenfalls gut, wenn die Sache ausgegraben wird, weil sie natürlich ein Licht auf diverse Strategien wirft, die theoretisch nach wie vor möglich wären.
Der Zeitpunkt für eine Aufarbeitung von Schwanzers Tätigkeit ist jetzt schon überreif, bevor die nächsten wegsterben, die noch etwas erzählen könnten.


[Auszug aus einem längeren Gespräch über Karl Schwanzer, das Gabi Kaiser und Sonja Pisarik am 27. August 2008 mit Laurids Ortner geführt haben.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Hintergrund

Ansprechpartner:in für diese Seite: Martina Frühwirthfruehwirth[at]azw.at

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