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hochparterre 10|2008
Zeitschrift für Architektur und Design
hochparterre 10|2008
zur Zeitschrift: hochparterre

Ein Wellenboden für den Geist

Auf dem Campus der EPFL (Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne) wird 2010 das Learning Center seine Türen öffnen. Doch vor den Türen liegt im Moment noch eine riesige Armierungseisen- und Betonlandschaft. Ein Augenschein in die Planung und auf die Baustelle.

13. Oktober 2008 - Roderick Hönig
Das Learning Center soll die Bibliothek der Zukunft werden. Der Bau basiert auf einer hügelartigen Fläche, in der Wissen und Informationen möglichst ungehindert und frei ausgetauscht und zugänglich gemacht werden sollen. Das rechteckige Gebäude ist 160 Meter lang und 120 Meter breit. Es besteht aus einem Untergeschoss mit Parkplätzen und einem Hauptgeschoss mit Arbeitsplätzen, Café, Lese- und Hörsälen. Rund 30 blasenförmige, verglaste Raumzonen unterteilen die eingeschossige Betonlandschaft und bieten Rückzugsmöglichkeiten. Elf Patios durchlöchern das ‹Raumsandwich› wie einen Käse. 700 Arbeitsplätze wird das Learning Center bieten, sie sollen rund um die Uhr zugänglich sein und so die Bibliothek nicht nur zum Bücherherz, sondern auch zum sozialen Mittelpunkt des Campus machen.

Die Geschichte des ‹Making of› ist gebogen und hügelig – wie die Betonlandschaft selbst. Als 2004 das Wettbewerbsprojekt der japanischen Architekten Sanaa / Sejima Nishizawa gekürt wurde, haben als erste einige Ingenieure ihre Stimme erhoben: So eine in zwei Richtungen frei gebogene Schale liesse sich nur auf Stützen stellen. Die von den Architekten entworfenen stützenfreien Gewölbe unter dem Hauptgeschoss – sie ermöglichen den ebenerdigen Zugang und spannen bis zu 90 Meter – widersprächen der wirtschaftlichen Vernunft, so der Tenor. Das tun sie noch heute, doch wenigstens haben die Bauingenieure Bollinger Grohmann aus Frankfurt zusammen mit Walther Mory Maier aus Basel eine Lösung gefunden, die das architektonische Konzept des freien Raumflusses überhaupt erst möglich macht. Dabei hat der Beton nur noch Symbolwert: Die Hügellandschaft des Learning Centers ist eine Stahlkonstruktion im Zement-Negligée.

Mehr Eisen als Beton

Das Misch-Tragsystem, welches das Bauingenieur-Team entwickelt hat, ist in die sichtbare Schalenstruktur integriert. Es besteht aus Stahlbeton-Bögen mit Zugbändern aus Spannkabeln, die sich in der Decke über dem Tiefgaragengeschoss befinden. Die sich zwischen den Bögen spannenden Stahlbeton-Elemente haben eine kombinierte Schalen- und Plattenwirkung. Kein Aufwand wird gescheut: Insgesamt 11 dieser Bögen sind in die Schalen eingelassen, 4 in der kleineren, 7 in der grösseren Schale. Die Schalenränder sind in die vorgespannte Stahlbeton-Decke über dem Tiefgaragengeschoss eingespannt. In den Schalen sind gewaltige Mengen an Armierungseisen eingelegt: 850 Tonnen Rundstahl mit einem Durchmesser von 5 Zentimetern und einer Länge von 21 Metern sichern die Stabilität und Tragfähigkeit. Das sind rund 450 Kilogramm Stahl pro Kubikmeter – mindesten vier- bis fünfmal so viel, wie für eine konventionelle Stahlbeton-Konstruktion verwendet wird. Da das statische System nicht viel räumlichen Spielraum liess, mussten die Architekten ihren Grundriss und die Raumgrössen anpassen: Einige Patios wurden kleiner und mussten in die Restflächen zwischen den Armierungsbögen geschoben werden, einige Hügel wurden steiler oder flacher, das heisst, rückten näher an die ideale Bogenform. Das System garantiert zwar die Tragfähigkeit und Stabilität, sagt aber noch nicht viel darüber aus, wie die doppelt gekrümmten Flächen auf der Baustelle umzusetzen sind. Dafür waren Denkarbeit und rund 1500 verschiedene Schalungstische aus Holz-Grobspanplatten (OSB) nötig. Die Ansprüche an die Ausführung der Schalung waren hoch, denn die höhlenartigen Räume unter den Hügeln sind Teil der Aussenfassade und des Eingangs und somit für jedermann zugänglich.
Die Schalungstische bilden exakt die im CAD-Plan der Architekten definierte Hügelform nach. Toleranz: plus / minus 5 Millimeter. Sie setzen sich aus rund 10 000 verschiedenen, 18 Millimeter dicken Einzelteilen zusammen. Immer 7 vertikale Konsolen bilden ein Gerüst, auf welche die Schaltafeln geschraubt sind. Sie werde plan angeliefert, ihre doppelte Krümmung entsteht bei der fixen Verschraubung mit den unterschiedlich hohen und schrägen Konsolen. Die Dimensionen der Tische (Quadrate von 2,50 auf 2,50 Meter) basieren in erster Linie auf der Tragfähigkeit der Gerüsttürme, welche mit maximal 20 Tonnen belastbar sind. Sie sind aber auch so bemessen, dass möglichst wenig Verschnitt aus den 2,50 auf 3 Meter grossen Ausgangsplatten entsteht.

Vom Plan auf die Fräse

Hätte man die Werkzeichnungen für die Schalungstische von Hand gezeichnet, wären dafür 10 000 Detailpläne nötig gewesen. Das ETH-Spin-off Designtoproduction hat den Fertigungsprozess abgekürzt, indem es die digitale Kette zwischen CAD-Plan und CNC-Fräse geschlossen hat. Die kleine Firma mit Sitz in Zürich und Stuttgart hat in einer ersten Phase die Detailgeometrien der Tische berechnet und in einer zweiten Phase diese in Fertigungsdaten umgewandelt, mit welchen die CNCFräse direkt angesteuert werden konnte. Aufgrund der Maschinendatensätze hat die auf Holzwerkstoffe spezialisierte Firma Kronoply aus Heiligengrabe in Deutschland die Einzelteile geschnitten und sie dann zu Rauh nach Uetendorf bei Thun transportieren lassen.

In der Werkstatt des Spezialisten für Betonschalungen haben die Arbeiter daraus die 1500 Schalungstische gebaut. Um den Transport von der Werkstatt auf die Baustelle möglichst effizient über die Bühne gehen zu lassen, baute Rauh ein spezielles Gestell auf die Ladefläche seines Lastwagens: So konnten 15 Tische pro Fahrt transportiert werden. 110 Arbeiter haben auf dem Campus der EPFL rund 30 Tische pro Tag aufgebaut. Nachdem sie die Tische, welche bereits werkseitig mit einer dünnen Kunststoffschicht überzogen wurden, zur grossen, weich gewellten Fläche zusammengesetzt hatten, gossen die Arbeiter die rund 5 Millimeter grosse Fuge zwischen den Tischen mit Silikon aus. Dann begannen die Eisenleger, die unzähligen Armierungseisen darauf zu verteilen. Die zwei Schalen wurden in zwei Etappen betoniert. Resultat langwieriger Tests war auch die Betonmischung: Sie durfte nicht zu flüssig sein, sodass der Beton nicht die ‹Hügel› hinunter fliesst. Sie durfte aber auch nicht zu zäh sein, weil der Beton teilweise 200 Meter gepumpt werden musste.

Und das Resultat? Der Wunsch der Architekten nach einer glatten, glänzenden Betonuntersicht wurde grundsätzlich erfüllt: Die 7500 Quadratmeter grossen Hügel kommen wie aus einem Guss daher und schlagen weiche und stufenlose Bögen. Anspruchslos ist die Ausführung der Oberseite, denn sie wird mit einem Hohlboden verdeckt werden. Wichtig ist jedoch die Untersicht. Hier ist aber nicht nur der Fugenraster sichtbar, sondern auch die Abdrücke der Löcher, welche die Schrauben auf den Holzplatten hinterliessen. Und wer genauer hinschaut, merkt auch, dass die Silikonfugen nicht so dicht waren, wie sie hätten sein sollen: Es drang Wasser ein und liess die Kanten der Schalungstafeln leicht aufquillen. Die Folge: Die mäulchenförmigen Einrisse hinterliessen kleine Rümpfe entlang der Fugenlinie.
http://learningcenter.epfl.ch

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Ansprechpartner:in für diese Seite: Roderick Hönighoenig[at]hochparterre.ch

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